Alltag und Menschen: Im Gespräch mit Fotografin Pati Grabowicz

«Überall wo Menschen sind, dort ist meine Welt.», so Fotografin Pati Grabowicz über ihre Leidenschaft und Arbeit: die Fotografie. Was sie an dem Medium reizt, wie sie dazu kam und weshalb sie Rapper Alligatoah vor der Linse haben möchte, erzählt sie uns im Gespräch.


Hey Pati, wer bist du und was beschäftigt dich?
Ich bin leidenschaftliche Kaffeetrinkerin, Motorradfahrerin, Menschenbeobachterin sowie Momente- und Bildersammlerin. Ich liebe es, Geschichten fotografisch festzuhalten und durch die Fotografie in vielschichtige Welten eintauchen zu können. Mich beschäftigt, woher wir kommen und wohin wir gehen, aber vor allem, was wir am Ende hinterlassen können. Dies schlägt sich wohl am deutlichsten in meiner Street Photography nieder: Sie ermöglicht mir, nicht bloss die Momentaufnahme, sondern den Zeitgeist einzufangen. Dabei interessiert mich hauptsächlich der Mensch und sein Augenblick, die Szene als Ganzes. Diese möchte ich beide so echt und authentisch wie nur möglich wiedergeben und durch das Medium der Fotografie festhalten. Diese Prozesse erlauben es mir, Geschehenes später erneut erlebbar zu machen. Die Fotos fungieren dabei wie Tagebucheinträge und werden zu wertvollen Momenten, die ich dadurch bewahren und wiederaufleben kann.

Was wolltest du als Kind werden und was willst du heute sein?
Im Kindergarten wollte ich Tierärztin werden. So zumindest, steht es in meinem Malbuch, welches wir beim Eintritt als Kennenlernen–Broschüre von uns selbst gestalten sollten. Später habe ich davon geträumt, als Motorrad-Rennfahrerin, Feuerwehrfrau oder beim Rettungsdienst zu arbeiten. Heute möchte ich genau das sein, was ich bin – eine Fotografin mit Herzblut, die viele spannende Projekte realisieren kann und zukünftig vielleicht sogar als Reporterin um die Welt reisen wird.


Wo siehst du darin Parallelen zu deiner heutigen Arbeit?
Technisches Equipment hat mich schon als Kind immer fasziniert. Ich mag es, der Mechanik verschiedener Geräte auf den Grund zu gehen. Einen Teil meiner Kindheitsträume habe ich mir mit dem Motorradfahren und meinem Einsatz bei der Jugendfeuerwehr und als Krankenschwester sogar erfüllen können. Das Interesse an den Menschen selbst, ihnen zu helfen und für sie da sein zu können, ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil meines Wesens. Heute zählt jedoch die Kamera zu meinem wichtigsten technischen Equipment und meine Faszination besteht darin, mit diesem «Werkzeug» Bilder festhalten zu können.


Was inspiriert dich?
Mich inspiriert in erster Linie meine unmittelbare Umgebung und Umwelt. Wenn ich an einem Ort ankomme und die Person kennenlerne, die ich ablichte, dann kann ich mich sofort uneingeschränkt auf beide einlassen. Und je länger ich mich dann mit diesem Menschen oder Ort beschäftige, desto mehr wächst auch die Beziehung zu Raum und Umgebung, in denen wir uns befinden. Die Zeit dieses Kennenlernens empfinde ich als Quelle meiner Inspiration. Und daraus entspringt dann ein Bild. Dabei gibt es eigentlich keine Situation, die mich nicht interessiert – überall wo Menschen sind, dort ist meine Welt.
 

Was hast du geschafft, worauf bist du stolz?
Ich bin stolz und dankbar, dass ich in die Schweiz kommen und hier meine Kunst- und Designausbildung absolvieren konnte. In einer derart kreativen Welt arbeiten zu dürfen, erfüllt mich mit Glück. Besonders in der Fondation Beyeler war ich der Kunst, Kultur und den Menschen sehr nahe, was meinen Wunsch geweckt hat, diese Kulturlandschaft und ihre interessanten Charaktere abbilden zu wollen. Nun setze ich meine eigenen Projekte um, kann meiner Kreativität freien Lauf lassen und sogar meinen Lebensunterhalt damit bestreiten. Das alles macht mich sehr stolz.

Was hast du noch nicht erreicht, was steht noch auf deiner Bucket List?
An einen fernen oder besonderen Ort zu reisen, um dort ein grösseres und längeres Dokumentations-Projekt zu realisieren. Ob in einem Krisengebiet oder im Rahmen einer Tierschutzaktion – mein Interesse besteht auch darin, Dinge abzubilden, die es zu hinterfragen gilt. Dabei würden meine Kamera und ich als Zeitzeuginnen fungieren und bedeutende und wichtige Ereignisse einfangen.


Erzähle uns von für dich ganz besonderen Shootings.
Das Verrückteste erlebt man wahrscheinlich auf der Strasse. Dort passieren so viele Dinge zeitgleich in ganz vielen kleinen, einzigartigen und skurrilen Momenten. Ich erinnere mich an eine Szene während einer Basler Fasnacht: Ich habe einen Jungen abgelichtet, der unentwegt mit seiner Spielzeug-Knarre Leute «abgeschossen» hat. In Kombination mit all den ausgelassenen Menschen, hat das ein schräges und gleichzeitig lustiges Bild abgegeben. Absurde Momente habe ich auch in den Schweizer Bergen erlebt, wo technisch top-ausgerüstete Tourist*innen auf eine rurale Schweiz treffen. Wenn sich beispielsweise Feriengäste mit ihren Smartphones neuester Technologie über eisige Wanderwege schleppen, entspringt daraus immer eine gewisse Situationskomik. Emotional wurde es, als ich meine krebskranke Tante in Polen das letzte Mal besucht und fotografiert habe. Nach ihrem Tod bekamen diese Aufnahmen auch einen ganz anderen Stellenwert für mich. Sie spiegeln meine Erinnerung und Trauer wider. Das war sehr bewegend für mich und hat eine ganze Bandbreite an Emotionen in mir ausgelöst – von Freude über Fremdschämen bis Mitleid war alles dabei.


Ohne welches Equipment verlässt du nicht das Haus?
Ich verlasse das Haus nie ohne eine Kamera, aber je nach Situation und Intention, greife ich entweder zum Smartphone, das praktisch immer für Spontanaufnahmen zur Hand ist, oder ich nehme bewusst die Ricoh GR mit, wenn ich Lust auf Street Photography habe. Denn diese kleine Kamera fällt auf der Strasse nicht auf, sodass ich mich quasi als Touristin unter die Leute mischen und unerkannt meine Bilder schiessen kann. Als Dienstleisterin decke ich gerne mit meiner Canon 5D die Aufträge meiner Kund*innen ab. Da kann ich mich auf die Qualität verlassen. Und für alle Kameras gilt: immer mit Blitz. Darauf schwöre ich.

Welche*r Starfotograf*in soll dich unbedingt ablichten und wen wünscht du dir selbst vor der Linse?
Schon seit langem verfolge ich die Arbeit von Nikita Teryoshin und durfte ihm auch schon assistieren. Seine Bildsprache fasziniert und interessiert mich, denn er fotografiert in einem mir verwandten Stil und fängt die Verrücktheit des Alltäglichen sehr treffend ein. Ausserdem arbeitet er mit ungewöhnlicheren Einstellungen und besitzt ein grosses Talent, die Persönlichkeit der Menschen wahnsinnig gut einzufangen und darzustellen. Bei unserem letzten Treffen im Rahmen eines Projektes in Basel habe ich ihn dann auch gefragt, ob er mich einmal ablichten würde. Ich selbst würde mir Alligatoah vor die Linse wünschen. Er ist den meisten als Deutscher Sänger, Rapper, Gitarrist, Produzent, Komponist und Songwriter bekannt. Aber er übernimmt beispielsweise oft auch selbst die Gestaltung und Produktion seiner Texte, Covers oder Videos. Mit seiner vielschichtigen Kreativität lässt er dabei die Grenzen der einzelnen Genres miteinander verschmelzen und erfindet diese dadurch immer wieder neu.


Wenn du Aufgaben in deiner Arbeit verschwinden lassen könntest, welche wären das und warum?
Es wäre mir mehr als nur eine Freude, wenn ich das Verwalten der Festplatten, SD-Karten-Management und das Laden aller Akkus outsourcen könnte.
 
Wenn du und deine Arbeit ein Soundtrack wärt, welcher wärt ihr?
Ich habe tatsächlich eine Playlist auf Spotify erstellt: «Pati Grabowicz: Between flashlight and reality». Diese gibt sehr gut meine Arbeiten, mein Leben und mein Wesen wieder.

Was ist bis jetzt das Beste, das du dir angeeignet hast beim Fotografieren?
Ganz klar der Blitz. Dessen Einsatz definiert schon recht gut meine Skills. Und natürlich mein Gespür für das Wechselspiel zwischen Kamera und Mensch.

Was würdest du jenen raten, die noch ganz am Anfang ihrer professionellen Laufbahn als Fotograf*in stehen?
Machen, machen, machen! Einfach machen, den eigenen Weg gehen, entdecken, erfinden und (sich) finden. Oder um es in den Worten von Helmut Newton zu sagen: «Die ersten 10'000 Aufnahmen sind die schlechtesten.»


Wo in Basel oder in der Schweiz hältst du dich am liebsten auf?
In meiner Wahlheimat Basel ist das Rheinufer mein absoluter Lieblingsort. Liebend gerne kombiniere ich den Rheinspaziergang mit einem Besuch in der «Cargo Bar». Dabei sehe ich gerne dem fliessenden Wasser zu, das zwar stetig in eine Richtung fliesst, aber trotzdem immer in Bewegung ist. Das beruhigt mich. In der Schweiz halte ich mich ansonsten sehr gerne in den Bergen auf und erweitere dort schon seit Jahren mein persönliches Fotoarchiv mit Absurditäten des Schweizer Alltags. Wahrscheinlich kann jeder Ort dieser Welt begeistern, wenn man ihm mit offenen Augen begegnet.

Was wäre eine ausgefallene Kollaboration, die du sofort eingehen würdest?
Gerne hätte ich die Chance gehabt, mit Vivian Maier (1926-2009) zu arbeiten. Vivian Maier ist heute als «das fotografierende Kindermädchen» bekannt, da sie hauptberuflich als Kindermädchen in Chicago und New York arbeitete. Postum entdeckte man jedoch ihr umfangreiches Werk und anerkannte ihr grosses Talent als Fotografin. Sie verstand es, ihre Umgebung in Momentaufnahmen festzuhalten, die von der Schönheit des Alltags erzählen und von Besonderem in scheinbar Banalem. Maier machte anhand ihrer Fotos und mit einer an Besessenheit grenzenden Leidenschaft, die Strasse zu ihrem Theater. Das hätte ich gerne miterlebt.

Wie wär’s mal mit...
...ein paar Lux voller Blitz?



Vielen Dank Pati für das persönliche Gespräch über dich und deine Arbeit als Fotografin.


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von Catherin Iselin
am 12.02.2024

Fotos
© Ketty Bertossi für Wie wär's mal mit


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