Be Aware And Share: Im Gespräch mit Bastian Seelhofer

Sei achtsam und teile, so das Motto der Schweizer Hilfsorganisation «Be Aware And Share» mit Sitz in Basel. Wie sich humanitäre Projekte selber organisieren, welche Rolle Medien bei der Krisenberichterstattung spielen und wie Kunst im Rahmen vom Charity Festival «Art For Peace Festival» für mehr Frieden sorgen kann, verrät uns Bastian Seelhofer.


Lieber Bastian, wer bist du und was bewegt dich im Leben?
Ich bin ursprünglich gelehrter Soziokultureller Animator, das habe ich in Luzern studiert und dann zehn Jahre Jugendarbeit gemacht. Es bewegt mich wahnsinnig viel. Ich bin kein ruhender Mensch, bin weder hier noch dort und fühle mich zuhause bei den Menschen, mit denen ich mich wohl fühle. Wir beeinflussen uns alle gegenseitig, das bekam ich schon von klein auf in die Wiege gelegt. Alles, was mit Förderung und Vermittlung und mit Menschen zu tun hatte, das durfte ich. Alles was mit Konsum zu tun hatte, das wurde von den Eltern verboten, so hatte ich zum Beispiel keinen Fernseher. Wenn wir alle ein bisschen auch nach links und rechts schauen, dann fördert das auch ein tolerantes und friedliches Miteinander.


Wie und weshalb kam es zu «Be Aware And Share» und was hast du davor gemacht?
Ich habe in der Schweiz schon immer mit Jugendlichen zusammengearbeitet und war in der Jugendarbeit zehn Jahre tätig. Viele Jugendliche haben es nicht einfach in ihrer Lebenswelt aus unterschiedlichen Gründen. 2015 kam die Flüchtlingskrise auf, es wurde breit medial darüber berichtet in der Schweiz. Da habe ich mich dazu entschieden Hilfe zu leisten. Wir schwimmen hier in einer Masse an Kleidung, die wir jahrelang nicht anziehen und die in Kellern verstaubt.


Ich habe einen Aufruf in den sozialen Medien gemacht, worauf ich überrannt wurde mit tonnenweise Kleidung schweizweit. Da ich dies schwer alleine bewältigen konnte war ich froh, dass 14 weitere helfende Menschen zusammenkamen. Wir sind gemeinsam die Balkanroute durchgefahren, um Kinder und Jugendliche in Not mit warmer Kleidung zu versorgen. Um etwas zurück in die Schweiz nehmen zu können und hier die Relevanz des Projektes aufzuzeigen, haben wir auch einen Dokumentarfilm zur Balkanroute gedreht. So entstand «Be Aware And Share» Ende 2015, weil ich gemerkt habe, dass Menschen ganz einfach und ohne Fachkenntnisse gemeinsam etwas Tolles machen können. 2016 ging ich dann zwei Jahre nach Griechenland.



Weshalb ist «Be Aware And Share» vor allem in Griechenland tätig?
Weil es in Griechenland politisch möglich und langfristig umsetzbar ist, Hilfe zu leisten. In anderen Ländern ist dies gesetzlich nicht möglich oder sogar verboten.

Und das ganze machst du hauptberuflich?
Nein, ich arbeite 70% in der Berufsintegration mit spätmigrierten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen und mache ehrenamtlich Projekte mit «Be Aware And Share», weil es mir am Herzen liegt.

Wie viele Menschen sind im Kernteam von «Be Aware And Share»?
Ungefähr zehn Menschen sind im Kernteam in Basel und Bern, hinzu kommen bei diversen Aktionen immer weitere Helfer*innen. So auch bei der Food Sammelaktion aufgrund der abgesagten Basler Fasnacht, wo wir ziemlich kurzfristig reagiert haben und so tonnenweise Essen in diversen Institutionen unterbringen konnten, um Food Waste zu vermeiden.



Beschreibe «Be Aware And Share» in einem Satz.
Sei achtsam und teile.

Weshalb sind gesellschaftliche Integration und humanitäre Projekte relevant?
Humanitäre Projekte sind und waren immer wichtig. Heute ist alles schnelllebiger, die Welt ist näher gerückt. Wir sind viel stärker in Kausalzusammenhängen abhängig voneinander. Wir konsumieren Güter, die aus anderen Ländern kommen, wir stimmen in der Schweiz «Ja zum Waffenexport» in Krisengebiete, da müssen wir uns auch bewusst sein, was das für Auswirkungen und Konsequenzen für die Welt hat. Das betrifft uns und macht uns verantwortlich.


Wie lebst du für dich im Alltag bewusster?
Wenn ich irgendwo hinreisen muss, dann tu ich dies mit dem Zug oder meinem VW Bus und fliege zum Beispiel nicht in die Ferien. Auch koche gerne mit meinen Schüler*innen und vermittle ihnen ein Bewusstsein für gesundes, nachhaltiges Essen und für Food Waste-Thematiken. So nutze und informiere ich auch über Apps wie «Too Good To Go» oder ähnliche Projekte. Man kann natürlich nicht überall den Perfektionismus leben, schlussendlich fährt ja auch mein VW Bus mit Diesel. Aber man kann in dem eigenen Rahmen dennoch damit etwas Gutes tun, zum Beispiel Menschen in Not Kleidung liefern oder Essen sammeln und verteilen. 



Wen trifft die Ungleichheit auf der Welt deiner Meinung nach am meisten und weshalb?
Kinder und Jugendliche sind am meisten von der Ungleichheit betroffen, denn sie werden hilflos in diese Welt geboren und müssen zum Teil unter schlimmsten Umständen leben und leiden. 


Welche Rolle spielen weltweite Medien beim Informieren über humanitäre Krisenlagen? Und über welche Plattformen gelangst du an Informationen?
Der direkte Austausch und viel Kommunikation sind sehr wichtig, da nicht alle den gleichen Informationsstand haben. Das versuche ich auch bei Lesungen und im Unterricht deutlich zu machen, also die Fakten aufzuzeigen, ohne dabei politisch wertend zu sein. Die Medien wählen schliesslich bewusst einen Ausschnitt des Geschehens, den sie zeigen wollen, dieser ist dann nicht immer repräsentativ für das tatsächliche Geschehen. Ich selber erkundige mich deshalb immer direkt bei meinem Netzwerk über Krisenlagen, über die die Medien jeweils berichten. Bei Medien ist es abhängig, welches Medium, welche*r Reporter*in gerade berichtet. Ich lasse mir das gerne von Menschen direkt vor Ort bestätigen oder revidieren, was in Medien steht, also 1:1 Infos vor Ort. Das empfehle ich auch vielen Menschen in meinem Umfeld. So gibt es Organisationen, denen ich vertrauen kann, da ich da auch Personen kenne. «Are you Serious» oder «Action For Education» finde ich persönlich gute Organisationen, die vor Ort tätig sind und man dadurch einen guten medialen Zugang findet, was gerade so los ist.


Wie definierst du Frieden?
Frieden ist für mich, wenn der Mensch sein inneres Zuhause gefunden hat, seinen inneren Frieden. Wenn er seine Liebsten um sich herum hat oder wenigstens mit ihnen Kontakt haben darf.

Wie äussert sich Solidarität deiner Meinung nach und wie kann jede*r von uns einen Teil dazu beitragen?
Jede*r kann achtsam sein und etwas verändern. Das können ganz einfache Dinge im Alltag sein. Man muss hierfür ja auch nicht in Flüchtlingsgebiete reisen, für eine solche Arbeit sind ja nicht alle Menschen mental gemacht. So kann eine Oma ein Wollkäppchen für Kinder in Not stricken, man wirft sein Zigistümmel nicht auf den Boden oder Musiker*innen treten ehrenamtlich für Menschen in Not auf und leisten so ihren Beitrag, im Rahmen des Machbaren. Am Ende des Tages füllt man damit ja auch den eigenen Karma-Topf, man fühlt sich gut, wenn man Gutes am Tag vollbracht hat.



«Art For Peace Festival» ist eines euer Projekte. Wie kann Kunst für mehr Frieden auf der Welt sorgen?
Wir wollen aufzeigen, dass man sich auf viele unterschiedliche Arten für Menschen einsetzen, dass unter anderem auch Kunst ihren Beitrag zum Frieden leisten kann. Das kann in Form von Zeichnungen, Performances oder Musik sein. Das «Art For Peace Festival» soll auch eine Begegnungszone sein für jung und alt, für Austausch sorgen, das Bewusstsein stärken. Denn seit 2015 sind noch nie so viele Menschen auf der Flucht gewesen. Nur, weil die Medien nicht mehr darüber berichten, ist das Thema nicht einfach gelöst oder von der Erdoberfläche verschwunden, im Gegenteil. Am «Art For Peace Festival» leisten Dichter*innern, Schriftsteller*innen, Künstler*innen oder Musiker*innen in ihrer Fachkompetenz einen Beitrag für mehr Frieden. Sie treten ehrenamtlich für Menschen auf der Flucht auf. Wir haben das Glück, aufgrund von Förderung und Sponsoring 100% aller Einnahmen an Menschen in Not spenden zu können.


Was war bisher in deiner ehrenamtlichen Tätigkeit für dich der schönste und der traurigste Moment?
Wir haben in Griechenland Primarschulen gebaut und dort unterrichtet. Eines Tages kam ein 15-jähriger Junge schluchzend, weinend zu mir und meinte, dass sei bisher der allerschönste Tag in seinem Leben gewesen, zur Schule gehen zu dürfen. Diese Wertschätzung zu erfahren, ist sehr schön. Das war einer der schönsten und traurigsten Momente zugleich. Da habe ich realisiert, wie wertvoll Bildung für Menschen ist, gerade für mich, der nie gerne zur Schule ging, der Wut auf die Schule hatte und das gar nie so schätzen konnte.


Traurige Momente gibt es natürlich einige. Wenn ich in einer Nachtschicht ein totes Kind aus dem Meer hole und Familien bis zur Beerdigung bei der Trauer begleite, das nagt an einem. Ebenso wie Unruhen, Kämpfe und Umstände im Camp, die man nicht ändern kann. Man ist hilflos und schockiert bei Dingen, die für die Kids dort Normalzustand sind. Ich probiere aber immer da anzupacken, wo man etwas verändern kann. So sind auch alle Lehrer*innen in Krisengebieten in einem professionellen Verfahren ausgewählt, da es etwas ganz anderes ist, in Krisengebieten zu unterrichten als in der Schweiz.


Was würdest du unseren Leser*innen gerne mit auf ihren Weg geben?
Ich fände es schön, wenn wir uns bewusst sind, dass wir Gast auf diesem Planeten sind und diesen auch als Gast wieder verlassen, er gehört uns nicht. Wir sollten ihn so verlassen, wie wir ihn vorgefunden haben, im besten Fall noch schöner.

Wie wär's mal mit...
...machen!



Wir freuen uns auf viele weitere humanitäre Projekte und danken Bastian für das tolle Gespräch.


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von Ana Brankovic
am 09.03.2020


Fotos
© Niels Franke für Wie wär's mal mit


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