«Circle» The Sustainable Shop: Im Gespräch mit Mitbegründer Alessandro Ghiani

Alessandro Ghiani, Mitbegründer des Ladens «Circle – The Sustainable Shop», im Zürcher Niederdorf traf uns zu einem spannenden Austausch rund um Nachhaltigkeit und vieles mehr. Was im März 2014 mit einem Bambusvelo startete, führte die fünf Gründer bis heute zu einem Ladenkonzept mit nachhaltigem und fairem Sortiment. Wir sprachen mit Alessandro über die tragende Rolle, die jeder der fünf in der Entwicklung spielt und wie sich ein bewussterer Lebensstil im Alltag ausprägen kann.


Lieber Alessandro, würdest du uns etwas mehr über dich erzählen?
Mir ist das Zusammenspiel von Mensch und Natur schon immer sehr wichtig gewesen. Nach meiner Lehre arbeitete ich im Lebensmittelbereich. Zu Beginn wollte ich etwas gegen Foodwaste unternehmen und habe diesbezüglich die strengen Regeln des Schweizer Gesetzes kennengelernt. Seit gut fünf Jahren hat sich uns mit den Läden im Niederdörfli und im Sihlcity ein spannendes neues Projekt eröffnet.


Wie kam es zum Ladenkonzept von «Circle –The Sustainable Shop»?
Severin und ich waren mit einem Bambusvelo in der Stadt Zürich unterwegs, auf der Suche nach einem Ort, an dem wir es ausstellen konnten. Dem damaligen Besitzer dieses Ladens gefielen das Velo und die Idee dahinter sehr gut und wir durften es bei ihm im Schaufenster platzieren. Das Interesse der Kundschaft bestand von Beginn an. Es war der beste Tag von «Não» in der ganzen Shopgeschichte. Nach einer gemeinsamen Zeit konnten wir das Ladenlokal übernehmen.

Heute bietet ihr im «Circle» eine breitere Produktpallette an.
Einmal begonnen, wollten wir unsere Idee mehr vorantreiben. Die angebotenen Produkte sollen faire und nachhaltig hergestellte Alternativen zu Massenwaren bieten. Die Auswahl wurde mit der Nachfrage erweitert. Mit einem Velo gestartet, geht es heute von Zahnbürsten über Kopfhörer hin zu Schokolade, Kleidern, Taschen, Sonnenbrillen und so einigem mehr.


Was bringt euch zusammen?
Wir konnten nicht nur das Angebot vergrössern, sondern auch unser Team wuchs. Severin, Marc, Lamar, Patrick und ich teilten uns die Aufgaben untereinander auf und positionierten uns als Firma neu. Auch wenn wir alle Individuen sind, sehen wir für uns in einem nachhaltigeren Lebensstil eine grössere Zufriedenheit. Jemand lebt vegetarisch, jemand isst regelmässig Fleisch, ein anderer einmal in der Woche. Diese individuellen Vorstellungen in Bezug auf Nachhaltigkeit auf einen Punkt zu bringen, war unsere Challenge. Ein Frage, die sich uns zum Beispiel stellte, war, ob und warum Leder verkaufen? Leder kann etwas Nachhaltiges sein, wenn man die Haut der Tiere benutzt, welche für die Fleischindustrie sterben. Ich finde es nicht okay, wenn ein Tier ausschliesslich für die Leder- oder Pelzproduktion sterben muss. Wir haben regional Jäger, die den Wildbestand sichern.


Die Kadaver müssen von den Jägern weggeworfen werden, damit sie ihre Entschädigung bekommen. Man könnte diese Felle für Pelze benutzen und damit ein Statement setzen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit entstehen in meinen Augen immer wieder neue Chancen. 
Beim Leder weiter gedacht, kommt man zur Art und Weise wie es gegerbt wird. Weltweit 95% davon werden in Südamerika und Asien auf Chrom-, Laugen- und Arsenbasis hergestellt, obwohl dies auch auf einer vegetabilen Basis möglich ist. Die Chemie gelangt über die Flüsse ungefiltert ins Meer. Arbeiter*innen und Einwohner*innen dieser Regionen haben Vergiftungen mit schwerwiegenden körperlichen Folgen. Wir wiederum kaufen im Lebensmittelladen einen Pangasiusfisch, der genau aus diesen Gewässern stammt. Ich denke, jeder Mensch bildet einen Teil eines Kreislaufs, der alles wiederbringt.


Welche Werte teilt ihr mit euren Geschäftspartner*innen?
In unseren Laden kommen Menschen aller Altersklassen, die grundsätzlich offen für bewussteren Konsum sind. Einen Wert, den wir mit unseren Partner*innen und Kund*innen in erster Linie teilen, ist sicherlich der des fairen und nachhaltigen Umgangs mit Mensch und Natur. Ausserdem ist für uns die Zusammenarbeit mit Locals wichtig, weshalb wir Produkte aus Zürich ins Sortiment mit einbeziehen.

Was bedeutet für dich persönlich Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit bedeutet für mich die Zukunft sichern. Mir ist es im Besonderen ein Anliegen auf das Thema «Konsum» aufmerksam zu machen. Die Energie von Geld würde länger halten, wenn wir nicht alles kaufen, nur weil wir es wollen, ohne es offensichtlich für unser Wohl zu brauchen. Wenn man ein T-Shirt für 5.- Fr sieht, kann man sich schon fragen, wie solch ein Preis zustande kommen kann. Statt 20 Shirts kaufe ich mir lieber zwei, die etwas mehr kosten und meinen Qualitäts- und Wertansprüchen genügen. Auch ein Nike Schuh kann zehn Jahre lang halten. Wenn man ihn gekauft hat, sollte man ihn auch wertschätzen und nutzen so lange es geht, damit sich die Herstellung gelohnt hat.


Trotz Werbung und breitem Angebot des Detailhandels entscheidet die Konsument*innen, was sie kaufen. Jede und jeder sollte selbst herausfiltern, was für sie und ihn gut ist und was nicht. Ein bewusstes Konsumverhalten von jedem einzelnen und jeder einzelnen kann in meinen Augen schier unvorstellbaren Wandel bringen.

Was hat es mit dem Namen des Ladens «Circle – The Sustainable Shop» auf sich?
Der Begriff Circle leitet sich vom Kreislauf ab, von dem wir gerade gesprochen haben. Das «C» von «Circle» ist ein Kreis, der nicht ganz geschlossen ist. Diese Öffnung steht da, weil man als Selbstversorger*in leben müsste, um hundertprozentig nachhaltig leben zu können. Ein gewisser Energieverlust geht mit dem Einkauf von Lebensmitteln und Kleidern automatisch einher. Die Öffnung des Kreises steht bei fünf vor zwölf. Es ist Zeit aufzuwachen. ‹Circle› wird spiegelverkehrt geschrieben, da wir neue Akzente setzen und gegen den Strom schwimmen wollen. Weg von diesem klassischen Konsum.

Wie meinst du das, «weg vom klassischen Konsum»?
Weg vom klassischen Konsum hin zu ethisch vertretbaren Produkten im rechten Mass. Ich hoffe, dass wir mit unseren gelebten Werten und unserem Angebot bei den Leuten einen Samen pflanzen können. Die Kunden in einer sogenannten Wegwerf- oder Konsumgesellschaft sind darauf angewiesen, sich selbst zu informieren und bezüglich eines Produktes Fragen zu stellen wie zum Beispiel: Wer hat es gemacht? Woher kommt es? Was musste passieren, damit ich dieses Produkt in meinen Händen halten kann?


Viele sagen, dass wir in der Schweiz nichts verändern können. Die rund acht Millionen Einwohner*innen der Schweiz haben genauso einen Einfluss wie jede*r andere. Neue Lebensweisen von Individuen können im Grossen viel verändern. Der Wandel ist im Gange und durch alle Altersklassen spürbar.

Euer Laden ist mitten in der Zürcher Altstadt zuhause, kannst du uns deine Geschichte zum «Niederdörfli» erzählen?
Das schönste am Niederdorf für mich ist, dass es sich immer noch wie ein Dorf anfühlt. Wir haben einen sehr familiären Umgang miteinander. Man grüsst sich auf den Gassen und hilft sich gegenseitig aus. Ich finde es etwas sehr Wichtiges, dass wir uns wieder mehr ins Gesicht und die Augen schauen und miteinander reden, anstatt nur an das Handy zu denken. Zuneigung und Gefühle können nur durch persönlichen Kontakt wirklich erlebt werden. Ich schätze den Austausch mit den Besucher*innen und ihre Geschichten, die sie in den Laden bringen.


Brauchen eure Kund*innen eine Einkaufstasche, wenn sie bei euch einkaufen?
Viele bringen eine eigene Tasche mit. Wenn die Kund*innen zum Beispiel beim Kauf einer Jacke oder grösseren Dingen eine benötigen, bekommen sie auf jeden Fall eine Papiertasche. Im Vergleich der Standorte haben im Niederdorf geschätzt 90% eine Tasche dabei. Dieser Prozentsatz ist in einem Konsumtempel wie dem Sihlcity etwas geringer.

Wo ist dein Verhalten nicht nachhaltig?
Meine Wurzeln stammen von einer Insel, was für mich mit gelegentlichen Reisen verbunden ist. Von den zwei Möglichkeiten, nach Sardinien zu gelangen, versuche ich auf das Flugzeug zu verzichten. Das Meer und die Natur sind für mich gerade wegen meiner Herkunft sehr wichtig. Ich versuche mir bei der Planung von Reisen Gedanken zu machen, wie ich einen Trip unternehme.


Wenn man einen Monat nach Thailand reist, wäre man mit dem Velo vielleicht ein Jahr unterwegs. Da scheint es fast notwendig, per Flugzeug zu reisen. Man soll sich nicht alles selbst verbieten, vielmehr geht es für mich wie so oft um das richtige Mass. Ich lasse dort etwas weg, wo es mir möglich erscheint. Wir können nicht alles von heute auf morgen komplett drehen, aber wir können Pioniere sein und unser Verhalten für uns sprechen lassen.

Wo in Zürich bist du gerne?
Ich bin auch in meiner Freizeit gerne im Niederdorf. Historisch und kulturell gesehen ist es ein wichtiger Ort für Zürich. Hier liebe ich das Altstädtische und die Abwechslung. Als extremer Naturfreund bin ich gerne im Wald oder am See unterwegs. Dinge, die in Zürich alle zu finden sind. Ich liebe diese Stadt und sie ist tief in meinem Herzen verankert. Auch wenn ich nicht alles komplett positiv empfinde, erlebe ich in Zürich oft Respekt, Toleranz und Akzeptanz.


Machst du dir Gedanken über Glück?
Für das eigene Glück ist jede*r selbst verantwortlich. Seit ich diesen Laden mitbegründet habe, ist mir das was-im-Moment-IST noch wichtiger geworden. Ich bin auf dieser Erde geboren und möchte mir nicht vorstellen, auf einem anderen Planeten Zuflucht finden zu müssen. Deshalb will ich für Veränderung einstehen. Vieles war schon vorgegeben, als wir auf diese Welt kamen, und wir müssen nicht alles so weitermachen, wie es andere damals für sich entschieden haben. Wenn wir offen sind für die Möglichkeiten, die in der Veränderung liegen, können wir die Lösungen kanalisieren und umsetzen.

Wie wärs mal mit...
...bewusster Wertschätzung und weniger ist mehr.


Vielen Dank an Alessandro für den Einblick in sein nachhaltiges Denken und Handeln in Zürich.


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von Fabienne Steiner
am 14.10.2019

Fotos
© Marcos Pérez für Wie wär's mal mit


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