Emma Portner: Im Gespräch mit der Tänzerin und Choreografin

Die Kanadische Tänzerin und Choreographin Emma Portner performt zum ersten mal in der Schweiz im Rahmen der Ausstellung «Bacon-Giacometti» in der Fondation Beyeler. Samt Filmpremiere «Femme Debout» mit Q&A Session. Sie selber sagt über den Kurzfilm «Femme Debout»: «Die Choreographie bietet einen Einblick in die Möglichkeiten von Freiheit, während die strukturellen Grenzen uns davon abhalten vollends zu verstehen, warum gewisse Dinge ausserhalb unserer Reichweite sind. Durch die hyper-maskuline Gesellschaft wurden Frauen traditionellerweise davon abgehalten Raum einzunehmen. Meine eigene Erfahrung als lesbische Frau wurde geprägt von einer Gesellschaft, die aggressive Männer enthält, und ein Trauma entwickelte sich als Nebenprodukt von meiner Existenz. Der Versuch diese Freiheit als Individuum und als Künstlerin zurückzufordern, ist eine bewusstseinsverändernde Knacknuss. Wenn man versucht ein Leben zurückzuerobern, was man nie erlebt hatte, verlangt das nach Erfindungen und birgt Risiken – mein Leben in der Kunst hat mich zu einer von meiner Phantasie gepflasterten Strasse geführt. Dieser Film als Ganzes ist meine Reaktion auf das 20. Jahrhundert und die von Männern kreierten visuellen Kunstwerke, circa 2018.» Was uns Emma sonst noch zu erzählen hat, lest ihr im Folgenden. Scroll down for the interview in English.



Liebe Emma, beschreibe dich in einem Satz.
Ich versuche nicht mehr in nur einen Satz zu passen. Ich stehe auf komplett durchdachte Ideen und darauf, eure Aufmerksamkeit sehr lange zu halten. Ich werde mich auch noch mit 100 Jahren noch so fühlen, denn wenn das Internet doch zusammenbricht, werde ich weiterhin florieren auch ohne sofortige Konnektivität. Mit 50 noch werde ich Liveshows machen und hoffe, dass Leute daran teilnehmen. Auch wenn es nur drei Personen sind.
Ich bevorzuge es nicht zu sprechen. Bin dynamisch und entschlossen. Ein kleiner Junge im Körper einer Frau. Ich empfinde sehr intensiv und tief. Ich liebe meine Arbeit und meine Frau mehr als alles andere. Ohne die beiden und allgemein werde ich eher missverstanden und fühle mich so, als würde immer eine dunkle Wolke vor meinen Augen lauern. Nie hielt ich mich für besonders, bis ich realisiert habe, dass ich es bin.




Performance und Tanz – wie bereichern diese dein Leben?
Tanzen ist mein Leben. Es hielt mich am Leben. Und Performance ist eine natürliche Erweiterung davon, dadurch habe ich meine wertvollsten menschlichen Verbindungen gemacht. Je mehr ich performe, umso besser verstehe ich, was es heisst, zu choreographieren. Und je mehr ich choreographiere, umso mehr erkenne ich den wahren Wert von Performance. Ich liebe es auf einer Bühne aufzutreten, aber erhalte nur selten eine Bühne, wo meine eigenen Ideen Raum kriegen. Tanz hat mich dazu veranlasst meine eigene Bühne zu kreieren und ich bin täglich darauf – mit oder ohne traditioneller Idee von Performance. Mit Menschen, die ich liebe aufzutreten, macht mich am glücklichsten. Ich mag es gar nicht wirklich ein Solo zu haben, da ich im echten Leben eher eine Einsiedlerin bin. Das ist nicht, was ich den Leuten zeigen möchte. Ich möchte ihnen aufzeigen, was sie verpasst haben, als sie die Strasse lang gingen. Ich möchte Ihnen die ganze verdammte Strasse zeigen. Ich möchte erläutern, was ich mir wünsche, wie meine Welt aussehen soll. Was ich mir vorstelle, wie die ganze Welt aussehen soll. Nicht nur meine Welt.

Was tust du sonst so, wenn du gerade nicht tanztst oder performst?
Ich weiss es gar nicht wirklich. Ich gehe gerne spazieren mit meiner Frau. Tue so als könnte ich Skateboard fahren. Ich mage Livemusik. Ich könnte stundenlang einem Jazz Drummer zusehen. Einen Film bearbeiten und schneiden könnte ich auch stundenlang.



Für die Filmpremiere von «Femme Debout» performst du zum ersten Mal in der Schweiz. Was verbindest du mit der Schweiz und speziell mit Basel in den Bereichen Tanz, Kunst und Performance?
Ich war noch nie zuvor in Basel, aber ich habe die Art Basel über viele Jahre aus der Distanz aktiv verfolgt. Ich gehe mit offenen Augen auf die Stadt Basel zu und ich mag, dass ich all diese crazy Dinge machen kann, ohne voreingenommene Ideen davon, was sie sein sollten. Zum Beispiel habe ich eine Welttournee choreographiert, ohne je eine gesehen zu haben. Meine Unerfahrenheit ist in gewisser Weise ein Asset, denn sie injiziert jeden Raum mit einer Frische, die ich nicht hätte, wenn ich bereits wüsste, was die Welt ausmacht oder wie die Dinge zu sein haben.
Ich war bereits einmal in Zürich und bin mit den Schwänen geschwommen, was noch immer eine meiner liebsten Erinnerungen ist. Ich erinnere mich an die Tänzer, die ich unterrichtet habe. An all ihre Gesichter. An den Raum. Ich erinnere mich an die Helligkeit.




«Femme Debout» basiert auf der Ausstellung «Bacon-Giacometti» in der Fondation Beyeler in Basel und hat am 9. August 2018 seine Premiere. Was ist das Besondere an dieser Zusammenarbeit?
Meine Freunde einstellen zu können und endlich mit zwei visuellen Künstlern arbeiten zu dürfen, die mich wirklich inspirieren. Für mich bestehen grosse Teile der kommerziellen Welt darin, mich in Schachteln zwängen zu müssen, die eigentlich gar nicht meine Form haben. Diese Schachtel fühlte sich nicht einmal wie eine an und ich liebte die Form von Anfang an.

«Femme Debout» – weshalb der Titel?
Ich spreche auch Französisch, es bedeutet «Stehende Frau». Ich mag das für 2018.



Kannst du uns etwas über die Musik in «Femme Debout» erzählen?
Die Musik wurde von meinem Freund Zane Bares gemacht. In seiner Wohnung habe ich vor Jahren einst für einen Monat gelebt. Ich zog in ein Zimmer am anderen Ende des Gangs von seinem und im Wohnzimmer stand ein Klavier. Er spielte darauf und ich hörte es und es hat mich umgehauen. Wir haben nicht viel geredet und tun es noch immer nicht, aber seit ungefähr fünf Jahren macht er meine Musik. Wir sind mit einer Kraft verbunden. Ich gehe immer erst zu ihm, wenn ich etwas Musikalisches benötige.
Das erste Stück nennt er «Present Darkness» und es basiert auf dem Zitat von Francis Bacon: «In order for the light to shine so brightly, the darkness must be present.» Damit das Licht so hell strahlen kann, muss es die Dunkelheit geben.
Er scherzt gerne, dass er tanzen hasst, aber im Prozess der Musikproduktion sagte er einst, «Je mehr ich dieses Stück ansehe und Bacon und Giacometti studiere, umso mehr bin ich überwältigt. Ich sage, diese Choreographie ist unglaublich. Sehr berührend. Sogar für mich.»
Ich persönlich mag die Idee, dass dieser Tanzfilm auch bei Nicht-Tänzern und Leuten, die Tanz überhaupt nicht zu schätzen wissen, gut ankommt. Zane kann die Musik verbal viel besser beschreiben als ich. Ich denke, dass sie sehr divers ist und dich auf eine Reise mitnimmt. Sie wurde extra für diesen Film kreiert und es war meine erste Erfahrung mit Postscoring. Es war sehr interessant den Tanzfilm nur mit temporären Audiofiles oder gar ohne Musik zu drehen. Der Stelzen-Teil ist mein persönlicher Liebling. Es ist nichts, aber es ist alles.


Wie wär’s mal mit...
…netter sein und darüber nachdenken, welche Folgen unser Handeln auf einem tieferen Level hat? Wie wär’s mal mit sich für den Frieden entscheiden.



Wir bedanken uns herzlichst bei Emma Portner für ihre Zeit und die spannenden Perspektiven rund um Tanz, Kunst sowie die kleinen aber wichtigen Dinge im Leben. Wer Emma live tanzen sehen und ihr in der Q&A Session fragen stellen möchte, sollte sich möglichst bald Tickets für ihren Auftritt in der Fondation Beyeler sichern.


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von Ana Brankovic
am 06.08.2018

Korrektorat und Übersetzung: Simone Kuster
Fotos: © Alexander Black, @emmaportner

Die Rechte für die verwendeten Bilder liegen bei den genannten Parteien.




English
Emma Portner: In conversation with the dancer and choreographer

The Canadian dancer and choreographer Emma Portner has her first performance in Switzerland. She’ll be dancing in response to the work of "Bacon-Giacometti" at Fondation Beyeler. Including a movie premiere and a Q&A session. The artist herself says about her short film "Femme Debout": "The choreography gives a glimpse of the possibilities of freedom, while the confines of the structure prevent us from fully understanding why certain things are beyond our grasp. Bound by a hyper-masculine culture, women have been traditionally kept from taking up space. My own experience as a Female Lesbian has been informed by a society contained by aggressive men, and trauma came easily as a by-product of just existing at all. Trying to reclaim freedom as as individual, and as an artist, has proven to be a mind bender. Trying to take back a life never experienced, necessitates invention, and risk, and has led me, and my life in art, to a road paved by my imagination. This film in its entirety, is my response to 20th century and male-created visual art works, circa 2018." Emma has told us much more about herself, read on to discover insights into her way of working and thinking.



Dear Emma, please describe yourself in one sentence.
I don’t try to fit into one sentence anymore. I’m into fully developed ideas and holding your attention for a very long long long time. I’ll feel this way until I’m 100 years old because when the internet crashes. I’ll still be able to thrive without that instantaneous connectivity. I’ll still make live shows when I’m 50 and I hope people will always be able to attend. Even if it’s only 3 people by then.
I prefer not to speak. I am dynamic and determined. A young boy in a woman’s body. I feel very very deeply. I love my work and my wife more than anything. Without them – I am generally misunderstood and feel a dark cloud lurking in front of my eyes always. I didn’t think I was special until I realized that I was.




How does performing and dancing add to your life?
Dance is my life. It has kept me alive. Performance is a natural extension of it and through it. I’ve made my most cherished human connections. The more I perform, the more I understand what it is to choreograph, and the more I choreograph, the more I understand the real value of performance. I love to perform on stage, but am rarely given a stage for my “own” ideas to have a habitat. Dance has made me create my own stage and I’m just on it everyday – with or without the “traditional idea” of performance. Performing with people I love is when I am my happiest. I don’t really like to do a solo these days because I am a recluse in my real life. That’s not what I want to bring to people. I want to bring them what they don’t see walking down the street. I want to bring them the whole damn street. I want to bring them what I wish my world to be. What I wish the whole world could be. Not just my world.



What do you like doing besides performing or dancing?
I wouldn’t really know, actually. I like to go for walks with my wife. I like to pretend I can skateboard. I like live music. I could watch a jazz drummer for hours. I could edit a film for hours.

For the film premiere of "Femme Debout" you'll be performing in Switzerland for the first time. What do you associate with Switzerland and especially Basel in respect to dance, art, performance?
I've never been to Basel before, but of course I've been following the action of Art Basel for years now from afar. I'm walking into Basel with open eyes and I like that I get to do all of these crazy things without any preconceived idea of what they really are. For example: I choreographed for a world tour without ever seeing one. My lack of experience is sort of an asset in this way because it injects any space with this kind of freshness I wouldn’t have if I knew more about what the world has already decided that “things are”.
I’ve been to Zurich before and I swam with swans and I still think of it as one of my fondest memories. I remember the dancers I taught. I remember all of their faces. I remember the space. I remember it’s lightness.




"Femme Debout" is based on the exhibition "Bacon-Giacometti" at Fondation Beyeler in Basel, Switzerland, and will premier on August 9, 2018. What is most exciting about this collaboration?
Getting to hire my friends and finally getting to work off of two visual artists that I am genuinely inspired by. A lot of the commercial world, for me, is forcing myself into boxes that aren’t really my shape. This box didn’t even feel like one and I already loved the shapes.

"Femme Debout"– why did you choose this title?
I can speak French and it means “Woman Standing” in English. I like that for 2018.



Can you tell us something about the music in "Femme Debout"?
It’s made by my friend Zane Bares who’s apartment I moved into for approximately 1 month a few years back. I moved into a bedroom down the hall from his bedroom and there was a piano in the living room. He would play and I would hear it and just be blown away. We didn’t talk much and we still don’t but he’s been making music for my work for like 5 years now? He’s connected to the force. I always go to him first when I need something musically.
Zane calls the first piece “Present Darkness”, based on the Bacon Quote: "In order for the light to shine so brightly, the darkness must be present."
He jokes that he “haaaaaates dance” but while in process making the music he said “the more I watch the piece, and study Bacon and Giacometti ... the more overwhelmed I am. In saying - this choreography is incredible. Very moving. Even for me.”
I like the idea that this dance film can reach non-dancers and even people who don’t appreciate dance at all. He describes the music (verbally) much better than I can but I just think it’s really diverse and that it takes you on a journey. It was made specifically for this film and this was my first experience in post-scoring. Very interesting to shoot a dance film with “temporary audio” or no audio at all. The “stilt” section is my personal favorite. It’s nothing, but everything.


How about...
…we all be nicer and think about the affect of our actions on a deeper level? How about we choose peace.



We would like to thank Emma Portner for taking the time and sharing with us her interesting perspectives on dance, art, and all the little yet very important things in life. If you would like to see Emma perform live and ask her questions directly, get your tickets soon for her dance performance at the Fondation Beyeler on 9 August 2018.


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by Ana Brankovic
on 06.08.2018

Proofreading and Translation: Simone Kuster
Photos: © Alexander Black, @emmaportner

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