Graf Seismo: Im Gespräch mit dem Basler Vintage Store Besitzer

„Noch 100 Tage bis zum Abriss-Blues; nimm das in die Einleitung!“ spricht die stets leicht zynische Stimme. Frank – besser bekannt als Graf Seismo – erweist uns in seinem Vintage Store am Messeplatz in Basel die Ehre. Nicht mehr lange kann dort Franks Spätwerk die neugierigen Passanten begeistern. Die ganze Häuserreihe wird dort nämlich dem Erdboden gleichgemacht – sie muss dem Claraturm weichen. Wir sprachen mit Graf Seismo über seinen Laden in Basel und das Menschsein.


Lieber Frank, wer bist du und was machst du so im Leben?
Ich sage von mir selber, dass ich der Alte mit Feuer bin. Das bedeutet, dass ich Feuer habe. Ich frage manchmal die Jungen: „Hast du dein Feuer schon gefunden?“


Wann hast du dein Feuer gefunden?
Körper, Geist und Seele sollten einmal zusammen kommen. Dann hast du das Feuer. Und so eine grosse Klappe wie ich. Das Handfeste an diesem Spruch ist meine Musik. Der Einzige, der solch einen Groove drauf hat wie ich, das bin ich selber. Diese Tatsache hat mir ein starkes Bewusstsein gegeben.

Du sagst der Vintage Store sei ein Tempel.
Ein Tempel und ein Gefängnis. Man rechne: 8 Jahre à 7 Tage die Woche; so viel Zeit verbringe ich hier. Andere sagen, es sei ein schönes Gefängnis. Zudem ist es eine Theaterfalle, weil die Leute nicht mehr rauskommen, wenn ich sie erst einmal vollquatsche. Der Vintage Store ist also dreierlei.


Tempel, Gefängnis, Theaterfalle. Es geht gar nicht in erster Linie darum, dass deine Kunden etwas kaufen?
Nein. Schön wäre das schon. Dann wäre ich jeden Tag aufgestellt. Dass ich nicht aufgestellt bin, das merken die Leute aber trotzdem nicht, denn es ist immer Showtime. Jeden Tag ist Showtime. Wie bei einem Komiker, bei einem Musiker oder eben im Theater.

Der Laden ist also deine Bühne. Und was spielt der Graf da für eine Rolle?
Graf Seismo, gestatten, Wortverdreher. Ich habe hundert Verdrehungen. Die Einleitung ist jeweils: Schlaudia Kiffer. Um wen geht es? Graf Seismo heisst demnach Seismograf. Ein Erdbeben. Spürst du mich?


Beschreibst du damit die Intensität des Feuers?
Genau. Du kannst kerzengerade durch dein Leben gehen und hast vielleicht nichts zu erzählen oder du nimmst einige Abzweigungen. Dann hast du womöglich etwas zu erzählen. Ich bin Wassermann. Der Wassermann lässt die Dinge auf sich zukommen und dann agiert er erst.

Haben Frank und der Graf eine Beziehung?
Auf jeden Fall. Ich spreche von der Tragik oder der Komödie meines Lebens. Dadurch kann ich die Leute vereinnahmen. Von dem Zusammenspiel zwischen Frank und dem Grafen habe ich vor dem Vintage Store nichts gewusst. Ich möchte diesen Laden nie missen. Hier konnte ich üben und ausloten wie frech, wie blöd, wie weit ich gehen darf mit den Leuten.


Hast du da auch Grenzen entdeckt?
Ja. Wenn den Kunden der Kragen platzt. Dann habe ich gedacht: „Ach jetzt habe ich übertrieben. Jetzt bin ich zu weit gegangen.“ Aber die verzeihen mir zum Glück. Ich habe schon einiges erlebt. (Er setzt zum Reim an) „Mit und ohne Geld, einen Teil gesehen von dieser Welt.“

Dieses Haus wird abgerissen, weil hier der Claraturm gebaut wird.
Was bedeutet das für deinen Laden?

Hinaus. Ich weiss es schon lange. Ich möchte seit längerem liquidieren; aber fähig dazu bin ich aus verschiedenen Gründen nicht. Ursprünglich wollte ich höchstens ein Jahr hier verkaufen und danach liquidieren. Zufälligerweise ist aber eine Art Kunstwerk entstanden. Einerseits wurde glücklicherweise der Mietvertrag vier Mal verlängert. Es war bequem für mich hier drin zu bleiben. Andererseits darfst du das Kunstwerk nicht auseinander reissen. Trotzdem muss ich das jetzt leider tun. Dann ist fertig mit Staunen. Eine Schande – wenn du mich fragst.


An der Ladenfassade findet man Hinweise auf den Abriss-Blues.
Was ist der Abriss-Blues?

Hier an der Wand hängt eine 7“-Vinyl Single die ich vor dreissig Jahren produziert habe. Im Minimal Sound. Rhythm Talk. Dieser Song ist immer noch ein Hit; jedoch weiss niemand etwas davon. Ich habe diverse Hits und es weiss niemand davon.


Du bist ein leidenschaftlicher Musiker?
Ich bin vor vierzig Jahren Berufsmusiker gewesen. Achtung. Durchschnitt. Autodidakt. Fauler Hund. Jede Nacht habe ich gespielt in den Clubs und Dancings; hier in der Schweiz und in Deutschland. Von da habe ich meine Bühnenerfahrung. Ich habe damals Bass gespielt und gesungen. In dieser Zeit spielte ich in diversen Bands. Seit mehr als zwanzig Jahren spiele ich nun Gitarre und Mundharmonika.


Hast du davon gelebt, als du in Clubs gespielt hast?
Ja, das war professionell. Da spielst du jede Nacht; nicht nur zehn Mal im Monat. Während sieben Jahren habe ich jede Nacht gespielt. Drei bis vier Stunden pro Abend. Sieben Jahre lang habe ich das gemacht.

War das eine gute Zeit?
Das war eine gute Zeit. Die Leute zu unterhalten ist etwas Schönes. Es war gut den Leuten etwas zu geben.


Was hast du am Ende dieser sieben Jahre gemacht?
Danach habe ich komplett aufgehört. Ich hatte eine Familie und habe einen Flohmarkt aufgebaut. Ich wurde dann Aussteiger. Ein schönes Wort. Aussteiger. Zwanzig Jahre lang habe ich Flohmarkt gemacht. Gesammelt, verkauft und noch mehr gesammelt. Wie man sieht, hat meine Sammlung ein ziemliches Ausmass angenommen.

Was sind die letzten drei Dinge, die du verkauft hast?
Das waren eine Lammfelljacke und ein Instrument. Das dritte habe ich vergessen. Dreihundert Franken für eine Lammfelljacke am Donnerstag. Am Freitag ein Instrument für dreihundert Franken.


Geht dir zurzeit etwas auf den Geist?
Touristen, die unsere Stadt besuchen, wollen wissen, was es hier gibt. Die Basler sind nicht neugierig. Das finde ich enttäuschend. Sie sind voller Vorurteile. Wenn sie meinen Gerümpel sehen, dann hauen sie ab. Doch sie verpassen etwas. Manchmal schreie ich deshalb die Leute an, die in den Restaurants nebenan essen und nicht hineinkommen: „Bruchsch e Extrayladig? Wennd scho in Basel bisch, muesch mich doch cho bsueche!". Der Laden läuft sehr schleppend, obwohl er am besten Platz steht. Ich habe diese Woche schon vier Null-Tage gehabt. Gestern Null, Montag, Dienstag und Mittwoch auch null.

Und zu guter Letzt, ergänze den Satz: Wie wärs mal mit...?
...einem Gedicht von Graf Seismo.

Zu Hause

Ich geh jetzt nach Hause
Dabei hab ich keins
Trotzdem geh ich
nach Hause, mein Innerstes
ein langer Weg, ein halbes Leben
Dabei ist’s so nah
All die Umwege, die Steine
Hindernis, Berg und Tal, Wasser
Abgrund, Neuland,
Fruchtbarer Acker,
Dreck, Sand,
Du hast es in der Hand
Du bist dir dein bester Freund
Hand in Hand
in tiefer Freundschaft
A n g e k o m m e n
mein Zentrum



Wir danken Graf Seismo bzw. Frank für seine Zeit und die spannenden Einblicke in sein Leben. Sein Vintage Store in Basel wird abgerissen, wir empfehlen deshalb die letzte Gelegenheit zu nutzen, um ihn zu besuchen. Wir haben uns nämlich äusserst gerne in ein derart interessantes Gespräch verwickeln lassen.


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von Timon Sutter
am 07.05.2018

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