Im Gespräch: Electroboy Florian Burkhardt
"Du machst dir wirklich einen riesen Aufwand, wenn du hier jetzt zwei, drei Stunden unser Gespräch aufnimmst und dir danach alles nochmals anhören und sinnvoll ordnen bzw. niederschreiben musst."
Dies war einer der ersten Sätze, die Florian Burkhardt aka Electroboy zu uns sprach, als wir ihm anfangs Januar im Berliner Café Liebling begegnen. Er habe seit der Schule nicht mehr verschlafen, aber nun ist es ausgerechnet heute passiert und er entschuldigt sich dafür. Als er schliesslich mit kleiner Verspätung und leicht erkältet im Café eintrifft, werden aus den besagten zwei, drei schlussendlich fünf wunderbare Stunden Sprachaufzeichnung über Gott, Sex, die Liebe und andere menschliche Krankheiten.
Nachträglich liess uns Florian private Bilder zukommen, die wir in diesem Artikel zeigen - teilweise mit Originalbetitelungen (gekennzeichnet mit .jpg), weil wir es wunderbar selbstironisch finden, unter welchen Namen er diese auf seinem Computer abgespeichert hat.
Wer hier aber grosse Headlines wie Glücklos in der Traumfabrik oder Er war Gott und stürzte tief sowie Etiketten wie Opfer der Reizüberflutung oder Ähnliches erwartet, könnte im positiven Sinne enttäuscht werden. Wir lassen nämlich Florian selbst zu Wort kommen. Und nein, liebe Leute, er bricht nicht gleich zusammen, wenn man ihn anfasst und ist aufgrund seiner psychischen Erkrankung noch lange kein Alien, welches anders behandelt werden sollte als ein "gesunder" Mensch.
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Florian Burkhardt, geboren am 13. März 1974 in Basel
Lieber Florian, mit dem Dokumentarfilm Electroboy, welcher von deinem Leben handelt, gingen bestimmt auch stressige Pressetermine einher. Wie fühlt es sich an, wieder im Rampenlicht bzw. auf einer Bühne vor Leuten zu stehen und die ganze Aufmerksamkeit abzubekommen?
Ich bin tatsächlich bei Filmvorpremieren zu Electroboy auf der Bühne gestanden und habe private Fragen beantwortet, das hätte ich auch nicht gedacht. Es ist eine Situation, in welcher sich auch gesunde Menschen unwohl fühlen würden. So ausgestellt vor einem Publikum auf der Bühne zu stehen und dann auch noch über persönliche Dinge zu sprechen. Aber ich habe es gemacht und es ging sogar ganz gut. So viel positives Feedback gibt einem halt schon einen Flash.
Aber Schweizer sind so zurückhaltend. Zum Beispiel bei der Vorpermiere im Kult.Kino Atelier. Da stehst du auf der Bühne, alle fragen ihre Fragen und wenn das Ganze vorbei ist, gehst du ins Foyer und stehst da und keiner traut sich mit dir zu sprechen.
Eine Frau erschrack und entschuldigte sich als sie aus Reflex meine Schulter anfasste beim Ansprechen. Es kommen dich höchstens zwei Leute anquatschen aus Neugier. Ich glaube sogar wenn Michael Jackson persönlich neben einem sitzen würde, spräche keiner mit ihm. Deshalb gibts in der Schweiz keine wirklichen Stars.
Ich fands witzig, dass ein Redaktor im Zusammenhang mit dem Film Electroboy meinte "Nein, das geht so nicht, das ist doch keine Schweizer Familie, das sind alles Psychos." (Lacht). Aber genau so sind doch die Schweizer, nach aussen heil aber wenn mal niemand schaut, lassen sie die Manieren fallen. Genauso wie bei der Szene mit meinen Eltern im kitschigen Tessin als sie sich unbeobachtet fühlten und meine Mutter zu meinem Vater sagt: "Sprich nicht so dummes Zeug, sonst lauf ich dir davon.".
Es ist spannend, wenn du als Privatperson auf der Leinwand bist und dann die Kritiker kommen und in dir eine Figur sehen. Sie reden dann über mich genauso wie über den Hobbit. Ich werde einfach knallhart beurteilt. Meine Eltern auch. Und was da teilweise Lustiges und Falsches in der Presse steht, ist sehr amüsant.
Die Kritiker stellen auch immer die Frage, wie es mir nun geht. Ich sag da meistens blendend. Das interpretieren die dann aber komplett falsch. Sie meinen ich sei gesund, habe keine Probleme mehr und verstehen nicht, dass ich mich einfach wohl fühle in meiner aktuellen Situation. Aber gesund bin ich deshalb nicht. Ich habe immer noch Mühe in die U-Bahn zu gehen, in Begleitung gehts gerade so.
Die Leute haben immer das Gefühl, ich sei total gestört und haben Angst mit mir zu reden oder mich anzufassen. Das kommt halt vom Filmschnitt und den damit erweckten Assoziationen. Wir haben aber bewusst keinen Partyfilm daraus gemacht. Im Basler Kult.Kino Atelier lief beispielsweise die Laufschrift "Von der Überholspur in den Abgrund" und ich dachte nur so, Wow, was für ein Horrorfilm muss das sein. Einfach der Totalabsturz, kein Wunder reagieren die Leute entsprechend komisch auf mich (Lacht).
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Es war einmal ein kleiner süsser Luzerner Junge
Du hast dich damals nach deiner Modelkarriere und nach monatelangem isolierten Ausharren in deiner Wohnung schlussendlich selber in die Psychiatrie eingewiesen...
Ich musste freiwillig in die Psychiatrie, weil es nicht mehr ging. Ich hielt die Panikattacken nicht mehr aus. Damals wars für mich das Ende der Welt. Die Psychiatrie war deshalb meine letzte Möglichkeit. Ich habe jedoch positive Erinnerungen an den Aufenthalt. Es ist bisher das spannendste Erlebnis in meinem Leben. Da geht's um die Substanz, um Geburt, um Entscheidungen treffen, um das eigene Leben.
Diese psychischen Krankheiten sind alle nicht vergleichbar miteinander. Angst ist nicht gleich Angst, es ist je nach Person unterschiedlich. Wir haben im Film Electroboy bewusst keine Aussagen von Wissenschaftlern und Ärzten drinnen, weil das beim Zuschauer den Aha-Effekt ausgelöst hätte und die Thematik dann zu einfach abgetan worden wäre. Wir wollten diese objektive Sichtweise auf die Krankheit nicht.
In der Klinik hat es mir sehr geholfen, dass ich in einen Typ ausserhalb der Psychiatrie verliebt war. Das gab mir die Motivation weiter zu machen, raus zu kommen und mein Leben mit ihm verbringen zu können. Der Psychiatrieaufenthalt an sich war jedoch harte Arbeit. Arbeit an mir selbst. Ich als Konzepter und Stratege hatte irrationale Ängste und musste mich nun täglich mit diesen auseinander setzen. Täglich Übungen machen. Drei Schritte vor die Tür setzen, ohne dabei Panik zu bekommen. Juhu. Geschafft. Am nächsten Tag die gleiche Tortur nochmals von vorne.
Im Irrenhaus kannte ich sogar bereits ein paar Menschen von draussen, vor allem aus dem Gastrobetrieb sowie Künstler. Als ich beispielsweise einmal den Schweizer Regisseur Rolf Lyssy traf, meinte er zu mir "Genau in deiner Abteilung war ich ebenfalls." - schon krass, wie alltäglich der Gang zur Heilstätte ist. Es ist eine spannende Kur in diesen Heilhäusern. Da gab es beispielsweise eine Patientin, die war mal selber Psychiaterin und hat dann Depressionen bekommen. Sie war also einerseits Therapeutin und anderseits selber krank. Und auf einmal sagte ausgerechnet sie im Aufenthaltsraum völlig genervt und wütend: “Das ist ja hier wie im Irrenhaus!" Und wir alle so: “Ähm, ja. Das ist ja schliesslich auch eins." (Lacht).
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Hollywood? Kein Problem
Es ist schön, wenn man sich geheilt fühlt. Egal auf welche Art und Weise, hauptsache es wirkt. Apropos Heilung. Kommen wir nun zum Thema Religion, mit welcher du durch deine katholischen Eltern bereits in der Kindheit in Berührung kamst...
Gott ist doch eine schwarze Lesbe. Immer dieses "er" dort oben, das nervt mich (Lacht).
Nein mal ehrlich. Jede Religion ist irgendwie eine Vergewaltigung. Das grösste an der Religion ist doch die Gemeinschaft und die kann man ja irgendwo und überall finden. Religion an sich hingegen ist reiner Sinnkonsum. Ich selber bin überzeugter Atheist, es gibt in meiner Welt keinen Gott. Die meisten Leute sind heute aber wahrscheinlich Agnostizisten. Sie halten die Gottesfrage für ungeklärt oder nicht zu klären.
Und also bitte. Das alte Testament ist doch ein Horror. Es ist voller Gewalt, Terror und beinhaltet einen eifersüchtigen Gott. Man musste die eigenen Töchter als Nutten verkaufen, weil Gott dies befohlen hat. Das ist doch schrecklich. Und immer diese Heuchelei. Auch ein Pfarrer macht schlussendlich nur seinen Job in der Institution Kirche - nichts mehr, nichts weniger.
© Foto: PLAY
Geprägt von der Religion bin ich auf jeden Fall. Ich war ja mit 16 bis 21 Jahren in einem streng katholischen Männerinternat. Die Psychologin und Lehrerin dort - ja, eine Frau - hat angeordnet, dass man homosexuelle Handlungen und Neigungen sofort melden solle. Es gab da so viele Heteros, aber es wurde rumgefummelt was das Zeug hält (Lacht).
Ich habe immer mit einem Freund, dem Sämi, ein Spiel gespielt. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und dann bestraft. Bestraft haben wir uns mit Genitalkontakt und das mit 18 Jahren, da ist man ja kein Kind mehr und weiss ganz genau, was man da tut. Es war sehr unterhaltsam bis er einmal äusserte, ich könne ihm doch gleich einen runterholen. Den Satz konnte ich dann nicht einordnen. Möchte er das nun wirklich oder riskiere ich mich zu entlarven und er verpetzt mich dann? Daraufhin habe ich sogleich abgeblockt. Das Beste war aber, dass ich damals eine Freundin aus dem Frauenseminar hatte. Alle fanden die so wunderschön und sie wollte mich. Mir war sie auf sexueller Ebene sowas von egal. Aber perfekt! Ich hatte mein Heteroimage 5 Jahre lang sicher zementiert im Internat (Lacht).
Nehmen wir doch gleich das Beispiel Liebe. Liebe hat nichts mit Gott zu tun. Wenns überhaupt einen Gott geben soll, dann ist das die Gemeinschaft der Menschen. Wir allein sind für das Wohl der Welt zuständig. Und wir sind ziemlich scheisse darin.
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Früh übt sich. Florian hat mittlerweile Hörproben auf Soundcloud aus den 90ern und 2000ern
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und so landen wir im Nu von der Bibel beim Dauerthema Narzissmus...
Der Mensch ist dermassen übersteigert in seinem Ego, dass er das Gefühl hat, er müsse ewig leben. Das ist sowas von daneben. Narzissmus heisst, wir lieben uns selber in anderen. Electroboy ist ein Vorzeigefilm für den Schweizer Narzissmus.
Heutzutage kannst du ganz einfach für einen Tag ein Star sein. Es interessiert niemanden für was du berühmt bist, hauptsache ein Star. Und ich wurde in den 90ern als krankhafter Narzisst gefeiert. Lady Gaga oder Miley Cyrus machen einfach rasch ein Selfie und posten dieses auf ihren Social Media Kanälen, es gehört zum ganz normalen Alltag dazu.
Lustigerweise interessieren sich die Leute bei mir immer nur fürs Modeln, das ist doch lächerlich, oberflächlich und irgendwie total langweilig.
Ich nahm an, dass gerade diese populären Themen in Basel das junge Publikum ansprechen würden. Ich hab gedacht, Basel sei eine progressive Stadt. Aber Electroboy lief da im Gegensatz zu anderen Schweizer Städten nicht so gut an und blieb dann kurz noch im Mittagskino drinnen bis er schliesslich leider ganz von der Bildoberfläche verschwand.
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Willkommen im wilden Westen
Die abgeschlossene Ausbildung als Lehrer gefiel dir nie wirklich. Was hättest du stattdessen viel lieber gemacht?
Ich wollte nie Lehrer werden, sondern immer schon an die Kunstgewerbeschule. Ich habe schon als Kind viel gezeichnet und war kreativ. Aber ich durfte dies nie in Angriff nehmen. "Die sind da alle schwul und drogensüchtig" hiess es seitens meiner Eltern. Lustig nicht? Dass schwul sein immer gleich mit Drogen in Verbindung gebracht wird.
Genauso wie das Modelbusiness. Ich habe während meiner Karriere keine Drogen genommen, denn als Topmodel musste ich immer seriös und pünktlich sein und konnte mir keine Eskapaden erlauben. Erst recht nicht bei Grössen wie Dolce & Gabbana, David LaChapelle oder Gucci. Es wird ja generell oft gefragt, weshalb Drogen im Film Electroboy kein Thema sind. Ganz eifach: Weil es da nichts zu erzählen gibt.
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Geboren, um zu sterben. Gestorben, um zu leben. Dieser Satz liest sich auf dem Grabstein von Florians Bruder Andreas, welcher im Kindesalter bei einem Autounfall verstarb
Der Autounfall, in welchem deine Eltern samt deinen beiden Brüdern sassen, muss ein Trauma für alle Beteiligten gewesen sein...
Mein dabei verstorbener Bruder Andreas ist der Grund, weshalb ich überhaupt auf die Welt kam. Ich sollte die Lücke und die Leere füllen, die durch seinen Tod entstanden ist und bekam deshalb als Kind die ganze Liebe und Aufmerksamkeit ab. Ich war ein kleiner Prinz, ein Star. Weil Andreas ein Engel war, musste er schon früh zurück in den Himmel, dies war stets die religiöse Begründung meiner Eltern für seinen frühen Tod.
Es spielte sich am Unfalltag alles chaotisch ab. Mein Vater hat nach dem Aufprall auf einer Bergstrasse das halbtote Kind aufgelesenen und ging zum nächsten Bauernhof. Alles war offen, voller Blut. Er stand da, das heuchelnde Kind in den Armen haltend. Meine Mutter war irgendwo. Dann kam die Polizei und mein Vater wurde sogleich verhaftet und der fahrlässigen Tötung verurteilt. Die Mutter kam in einen Krankenwagen und wo der zweite Sohn war, weiss man nicht. Ein totales Chaos. Heute wäre man wahrscheinlich zuerst seelisch betreut worden, damals war dies nicht so.
Meine Mutter hat die vom Unfall durchlöcherte Skimütze von Andreas bis heute bei sich aufbewahrt. Hinzu kommt, dass sich meine Eltern nie wirklich über den Unfall ausgesprochen haben, so dass mein Vater immer in ihrer Schuld stand. Sie hat auch immer in der Wunde gestichelt. Wenn er mal ein bisschen mehr Gas gab, hiess es "Willst du mir auch den zweiten Sohn nehmen?". Totaler Psychoterror, das macht einen über Jahrzehnte fertig.
Mein Vater hat aber auch eine absurde Art damit umzugehen. Bei der Vorpremiere in Luzern wollte er unbedingt klarstellen, dass er nicht vom 3. in den 4. Gang geschaltet habe, denn das wäre ja Autobahngeschwindigkeit und er fuhr auf einer Bergstrasse. Ihm ist das so peinlich, dass er das im Film falsch gesagt hat. Keine Sau hätte das wahrscheinlich gemerkt, aber es war ihm wichtig dies zu korrigieren, vor allem in Luzern, wo all seine Freunde wohnen. Er erwähnte auch, dass meine Mutter Hildegard nicht wegen ihm aus dem Tessin gegangen sei, sondern aufgrund der Gefahr. Das ist peinlich, aber so ist er halt.
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Bereits in frühen Jahren gründete Florian Burkhardt sein eigenes Snowboard Magazin
Es schockiert immer wieder, wie teilnahmlos und desinteressiert deine Eltern an deinem Leben waren. Sie wussten so wenig über dich, obwohl du ja von ihnen früher als kleiner Prinz gefeiert wurdest...
Daran hat sich nicht viel geändert. Sie haben bis heute nicht wirklich Interesse an meinem Leben. Mein Vater ist so ein steifer Typ, null Humor. Er kommt nicht auf die Idee, dass seine religiösen Gedankengänge falsch sein könnten, sondern hat sich sein stures Weltbild gesetzt und lebt nach diesem - wie hirntot.
Trailer zum Film Electroboy
Der Regisseur Marcel Gisler ist ja auch mal gemein und fragt im Film "Wieso ist er schwul geworden, der Florian?" und mein Vater antwortet "Weil ich als Vater zu wenig für ihn da gewesen bin.". Marcel erwidert daraufhin: "Aha, und der Bruder? Der ist ja nicht schwul." (Lacht). Mein Vater hat sein religiöses Denksystem und ordnet sich diesem unter. Alles andere zählt nicht. Der krasse Satz "Also wenn er schon nicht an Gott glaubt, dann spielt das (schwul sein) auch keine Rolle." hat es ja sogar in den Trailer geschafft.
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Wir haben Florian als sehr aufmerksamen, humorvollen und authentischen Mensch kennengelernt
Florian, was hältst du denn selber vom Film Electroboy?
Ich finde die unterschiedlichen Phasen im Film sehr spannend. Am Ende wirds ja fast schon so eine Art Reality TV als die Kamera versucht, meinem Vater nachzulaufen (Lacht).
Und auch die Entwicklung meiner Mutter zu sehen ist toll. Sie macht eine Metamorphose durch: Von der Perücke im kitschigen Tessin zu Beginn der Dreharbeiten und am Schluss, wo sie fast schon wie ein befreiter Hippie auf Drogen wirkt. Völlig glücklich. Sie sagt am Ende auch clevere Dinge wie: "Wir sind hier ja nicht im Spielfilm." was zeigt, dass sie trotz ihres Alters noch lange nicht Gaga ist.
In Locarno meinten alle der Film sei Dokfiction, weil alles zu perfekt schien, um wahr zu sein. Die Dialoge, die Aussagen, alles schien so absurd und war doch zugleich so ehrlich. Man konnte oder wollte es nicht glauben.
Marcel Gisler selbst hat bis zum geht nicht mehr recherchiert, weil er meinte meine Geschichte sei ein Fake. Ein Jahr lang rief er Uniprofessoren und Ärzte an und erkundigte sich, ob ich wirklich existiere. Zunächst sollte ich ja gar nicht im Film vorkommen, doch dann entschied sich Marcel kurzfristig um und liess andere Figuren ganz weg, um Platz für meine Statements zu machen. Es ist ein Paradoxon, dass ausgerechnet ich als Florian Burkhardt die Story durch meine eigenen Aussagen erst glaubwürdig mache.
Zuerst hätte es ja ein Spielfilm werden sollen. Plötzlich hiess es jedoch, im Film wäre ich dann aber hetero, da es eine klassische Liebesbeziehung brauche. Das kam für mich gar nicht in Frage, das wäre eine andere Story. Und schliesslich verkaufen sich Filme viel besser, wenn es heisst "Basierend auf wahren Begebenheiten". Als dann Anne-Catherine von Lang Film auf mich zukam mit diesem super Team fasste ich rasch Vertrauen und war mit an Bord bei dem Projekt Electroboy.
Im Allgemein interessieren sich immer alle für die Regisseurperspektive und das teschnische Zeug. Da gabs ja auch zahlreiche Radiobeiträge unter anderem auf SRF.
Marcel hatte seine eigene Art zu arbeiten, völlig frei. Er sammelte zunächst einfach mal alles ganz ohne Konzept, das war mir neu. Er kam beispielsweise extra nach Bochum und hat dann aber nicht einmal über den Film gesprochen. Da dachte ich so Hallo?! Wieso nimmt der sich Zeit und redet dann nicht einmal über den Film? Irgendwann begriff ich aber seine Arbeitsweise und konnte loslassen. Man muss jemandem dermassen vertrauen können bei so einer Sache. Aus dem gleichen Filmmaterial, welches sich nach einem Jahr Dreharbeit angehäuft hat, hätte er den totalen Verriss machen können.
Die Arbeitsweise von Marcel Gisler ist erfrischend neuartig, aber dennoch sehr manipulativ und subjektiv...
Ich finde es lustig, dass Dokumentarfilme immer diesen Objektivitätsanspruch wahren wollen, wobei es schlussendlich alles Absprachen und Inszenierungen sind. Electroboy war diesbezüglich neuartig. Hier sieht man plötzlich den Regisseur mit dem Protagonisten agieren oder man hört das Kamerateam reden. Es ist so als wäre ein Freund bei dir und man würde gemeinsam ein Gespräch führen. Natürlich nie so intim, da ja stets ein Kamerateam mit von der Partie ist. So wie bei der Autofahrt nach Luzern: Bei dieser Szene sass unser 2 Meter grosser Tontechniker die ganze Fahrt über eingequetscht im Kofferraum und ich dachte nur, der Arme, wie unbequem (Lacht).
Deine Eltern scheinen allgemein interessante Persönlichkeiten zu sein...
Allerdings. Da ich meinem Vater nicht ähnlich sehe, habe ich meine Mutter mal gefragt, ob er überhaupt mein Vater sei. Sie meinte daraufhin "Spielt das eine Rolle?!" Im Sinne von: Hauptsache ich bin deine Mutter (Lacht). Sie ist eine freche Gans. Mir fällt gerade ein, dass mein Vater ein bisschen aussieht wie Julius Caesar mit seiner grossen Nase und dem kleinen Vorkopf (Lacht).
Meine Eltern sind nun wieder zusammen. Sie brauchen einander beide, ob das jetzt Liebe oder Sex ist, spielt dabei keine grosse Rolle.
Der Amerikanische Agent Gregory David Mayo weint vor der Kamera als er deinen Brief liest. Da scheinen Vatergefühle hochzukommen...
Oh stimmt der Brief, in welchem ich mich oute und wo drinnen steht "The old men all just wanna fuck me". Ich musste dermassen lachen, als ich den laut vorgelesen habe (Lacht).
Was sagen denn deine Eltern zum Film?
Meine Mutter kapiert das alles noch nicht so wirklich, aber sie ist froh, dass es den Film gibt. Es war eine Art Familientherapie und sie konnte auch mit gewissen Dingen aufräumen, wie man am Ende vom Film sieht (Lacht).
Alle Beteiligten fühlen sich irgendwie befreit dank dem Film, es kam endlich zu wichtigen Aussprachen. Und mein Vater ist halt einfach loyal, er hat da gerne mitgemacht, aber mehr auch nicht.
An lustigen Momenten schien es euch während der Dreharbeiten keineswegs zu fehlen. Schade gibt es im Film keine Outtakes im Abspann...
Marcel meinte bei den Dreharbeiten mal zu meinem Vater "Ich zeig Ihnen jetzt mal was von Florian". Er drehte daraufhin seinen Mac zum Vater und da war versehentlich ein Schwulenporno zu sehen. Die Kameraleute dachten so "Spinnt der jetzt total? Oder macht einen auf Hardcore Konfrontation?". Mein Vater schaute ohne Reaktion dem Hardcore Porno zu. Kein Lachen, kein Entsetzen, nichts. Er ist wahrscheinlich so gut im Verdrängen, dass alle nicht religiösen Obszönitäten bereits an der äussersten Schicht des Auges gefiltert werden.
Da sass ich im Raum und das war mir dann also schon ein bisschen peinlich (Lacht).
Die Schwulen Klischees sind halt schon wahr. Ich bin deshalb auch nicht Fan von der Schwulenszene. An meiner 1. Electroboy Geburtstagsparty kamen nur Schwule. Irgendwann etablierten sich die Namen der DJs und es kamen auch Heteros, was ich super fand. Die Schwulen mochten das gar nicht und wollten wieder in ihre Keller zurück, was ich hingegen erbärmlich fand. Sich selbst ausgrenzen nur weil nun Heteros am Start waren und sie nicht mehr auf dem Klo koksen und vögeln konnten. Ich habe nämlich eine Frau für die Männertoilette engagiert, die schauen sollte, dass die Jungs keine Drogen nehmen und sich benehmen.
Was wurde eigentlich aus deiner ersten grossen Liebe , dem Bauernjungen, welcher im Film gezeigt wird?
Mit Matthias habe ich keinen Kontakt mehr. Wir sind zu unterschiedlich. Er hat sich nach der Veröffentlichung des Films auch nicht gemeldet oderso.
Und was hältst du sonst so von der Liebe?
Liebe ist doch per se, wenn man sich für den jemanden derart zurücknimmt, damit es dem anderen gut geht. Das ist doch die Definition von Liebe, aber das wird so nicht praktiziert. Man redet von Investitionen in eine Beziehung, um einen Gewinn daraus zu ziehen. Absurd! Das ist doch das Gegenteil von Liebe. Alle Menschen sind Egos, auch Mutter Teresa war ein Ego. Aber ich habe für die Liebe immer alles gemacht. Ich bin ja sogar ins grösste Drecksloch Bochum gezogen für meinen damaligen Freund.
Da fand ich es übrigens witzig, dass die Presse einfach schrieb, wir würden in einer Sozialwohnung leben, obwohl wir in einer der schönsten Gegenden in Bochum zuhause waren. Was für Eindrücke der Film Electroboy hinterlässt, ist schon sehr spannend.
Mittlerweile wohne ich - mit 2.5 jährigem Zwischenhalt in Bochum - seit 10 Jahren in Berlin, zusammen mit meinem Exfreund, von welchem ich mit Anfang Januar getrennt habe. Wir haben uns einfach friedlich auseinander gelebt. Nun bin ich wieder Single und am daten.
Thema Beziehungen: Die Beziehung deiner Eltern schien im Film aufgrund von Verdrängung und der fehlenden Aussprache abgestumpft zu sein. Kannst du dir vorstellen zu heiraten? Und was hältst du grundsätzlich von Beziehungen?
Ich war mal mit einem Italoamerikaner verheiratet. Ganz spontan in Zürich. Wir haben damals gemeinsam das Cabaret Voltaire in Berlin ins Leben gerufen und sassen dann 24/7 aufeinander. Das hat die Beziehung belastet, weshalb wir uns scheiden liessen.
Ich hatte immer monogame Beziehungen und war immer treu undso. Bis auf die Letzte, das war eine offene Beziehung. Er durfte machen, was er wollte. Ich hatte dazu kein Bedürfnis. Mir ist aber aufgefallen, dass das Beziehungsmodell am aussterben ist. Alle, die eine längere Beziehung haben, sind entweder offen oder haben einen Dreier - also jetzt in der homosexuellen Beziehung. Und auf der anderen Seite sind einige bereits zusammen, ohne sich je gesehen zu haben, rein übers Internet kennengelernt.
Für den Bauernjungen hast du viel investiert und deine Modelkarriere an den Nagel gehängt...
Ich bin ein Typ, der gerne Arbeit mag und neue Richtungen geht. Und dann interessieren mich Dinge nach einer Weile plötzlich nicht mehr. Ich bin ein wahnsinnig schlechter Businessmensch. Ich hätte aus den Electroboy Parties Geld machen können, aber das habe ich nie angestrebt. Auch das Modeln war eigentlich eher ein Unfall. Ich bin da so reingerutscht und habe erst dann Ehrgeiz entwickelt. Nachdem ich mit David LaChapelle und anderen Grössen wie Dolce & Gabbana gearbeitet habe, reizte es mich nicht mehr. Ich merkte es würde nur ein Wiederholung werden und diese Routine nahm mir dann auch den Spass. Nach drei Jahren in der Weltgeschichte herumreisen, macht es auch nicht mehr so Spass wie im 1. Jahr. Ich bin nebst allem auch ein Typ, der sehr gerne einfach allein für sich seinen Frieden hat.
Du warst ja sehr erfolgreich als Model. Das muss ein ziemlich hartes Business gewesen sein.
Es ist Wahnsinn, was für ein schlechtes Image Models haben. Du musst hart arbeiten, stets mitdenken und pünktlich sein als Model. Leute müssen sich innert 3 Sekunden bei einem Casting in dich verlieben.
Heute ist alles sehr schnelllebig und flüchtig. Du kannst an einem Tag für Gucci laufen und am nächsten interessiert sich keine Sau mehr für dich.
Modeln ist ein Leistungssport, das hat mir Urs Althaus damals auch schon gesagt. Du kommst beispielsweise nach London, bekommst eine Karte und eine Liste mit Namen und klapperst eine Agentur nach der anderen ab. Das ist ein Hardcore Job, die meisten hören deshalb auch ziemlich bald damit auf.
Gefragt sind vor allem der Charakter und viel Persönlichkeit, einfach besondere Menschentypen. Schönheit allein reicht da nicht aus. Du musst puren Sex verkaufen, das ist Schauspiel. Es ist eine arrogante Sexualität. Ich habe mir auch vor den Castings immer gesagt "Jetzt triffst du Dolce & Gabbana und sie müssen sich in dich verlieben", um dann diese Ausstrahlung auch beim laufen zu leben. Heute heissts eher "Oh, can I do it myself" und die Fotokünstler denken dann gleich "Okay, bye. Next.".
Ich habe die Arbeit der Fotografen und Make-up Artisten immer geschätzt. Du musst schliesslich in die Rolle schlüpfen und das können auch hässliche Charaktere sein. Du wirst dafür bezahlt, eine Dienstleistung zu erbringen, wie bei jedem anderem Job auch und nicht dafür, deinen eigenen Kopf durchsetzen zu wollen. Ich habe mich nie besonders attraktiv gefunden, auch nicht dann, wenn Gucci mich in allen Tönen gelobt hat. Dass ich nicht so eitel bin, hat mir beim Modeln bestimmt geholfen. Aber es ist auch ein hartes Business. Jedem zweiten 14 jährigen Mädchen wird heute gesagt "You're ugly. You're fat." da muss man einfach charakterstabil sein. Wenn du da labil bist, brichst du zusammen. Und die meisten Designer sind schwul, die wollen keine Brüste und weibliche Rundungen, da diese die Kleider verderben würden. Die wollen grosse, dünne Frauen, damit die Kleider schön fallen. Einfach rein pragmatisch.
Und es stimmt auch nicht, dass sich Models hinaufschlafen können. Wenn du jemandem eins bläst, wieso sollte er dich dann am nächsten Tag buchen? Das ergibt doch keinen Sinn.
David LaChapelle hat sich beispielsweise in mich verknallt. Und das hat alles nur funktioniert, weil ich nicht mit ihm geschlafen habe. Er musste mich also immer wieder buchen. Wir waren gemeinsam essen, aber das wars auch. Und klar kenne ich auch Agenten, die den ganzen Tag rumvögeln. Aber das ist nicht an der Tagesordnung.
Gibt es Hoffnung für die Menschheit?
Die Leute sind so viel wie möglichst beschäftigt. Wenn du nicht arbeitest, konsumierst du. Wir haben Computer, Maschinen und Fliessbänder erfunden, um den Mensch zu entlasten. Und dann kommt eine Merkel daher und findet einem noch irgendwo einen 1 Euro Job, um den Mensch beschäftigt zu halten. Das ist doch absurd.
Merkel ist wie mein Vater: Sie hat ein System eingekurbelt und macht alles, damit das funktioniert. Sie steht nicht für Veränderung und Revolution, sondern ordnet sich dem System unter.
Wir Wessis haben eh die Arschkarte gezogen. Wir 10%, die alles haben, leben von der Arbeit und dem Geld der ganzen Welt. Wir tragen mit unser Konsumverhalten die Verantwortung für das Wohlergehen aller anderen. Punkt.
Ich habe für mich geschaut, dass ich möglichst minimalistisch lebe. Besitz belastet nur. Etwas verliert seinen Reiz und seinen Wert, wenn man es sich ohnehin massenweise leisten kann. Ein Porsche ist auch nichts Besonders, wenn ich gleich 10 davon haben kann. Ich brauche also nicht viele Dinge im Leben und für mich funktioniert das gut so. Ich ernähre mich vegan, aber mir ist es egal, was andere machen. Ich mache einfach das, was im Rahmen meiner Möglichkeiten ist.
Die Aussagen oben erinnern uns an eine kreative Geschenkidee namens You Need Nothing - Sorry für den kurzen Unterbruch.
Zurzeit gibts einen Veganboom. Ich meine sogar Aldi hat vegane Produkte, nicht, weil er jetzt plötzlich bewusster geworden ist, sondern einfach aufgrund der Nachfrage. Rein wirtschaftlich.
Wenn wir aber mit dem jetzigen Fleischkonsum weiter machen, haben wir in ein paar Jahren unser Wasser vergiftet. Da gehts garnicht mehr um Tiere, sondern um uns Menschen, die aussterben. Wir müssten da drastisch etwas in unserem Verhalten ändern. Aber mal schauen, ob wir das schaffen.
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"Im Film scheint es, als wäre ich aus dem nichts gekommen und hätte alles an einem Tag einfach so erreicht. Es steckt jedoch bei allem, was ich mache ein Haufen Arbeit dahinter."
Was machst du zurzeit und wie schauen deine Zukunftspläne aus?
Zurzeit lebe ich in Berlin, beziehe eine IV Teilrente und mache Kunst mit Vektorgraphiken, dies aber rein zur eigenen Alltagsbewältigung. Ausstellungen habe ich keine im Sinne, obwohl ich mal nach einer Filmpremiere angefragt wurde. In Berlin hat es allein 5 Millionen Künstler und 7000 Galerien, in welche niemand reingeht. Hier Auszustellen wäre also reine Zeitverschwendung.
Auf jeden Fall bin ich momentan sehr motiviert und habe das Gefühl, bald wieder ein Projekt anzugehen. Eine genaue Inspiration, was ich angehen will, habe ich zurzeit noch icht. Da Electroboy auch mit Presseprogramm meinerseits verbunden ist, bin ich damit beschäftigt diesbezüglich herumzureisen. Mal sehen was danach kommt.
Wir danken Florian Burkhardt herzlichst für das äusserst angenehme unverbindliche Gespräch und die spannenden Themen, die er angesprochen hat. Auch würden wir gerne Queen Andy (Dieser Name wurde von der Redaktion geändert), welcher zufällig im gleichen Café sass und spontan zum Gespräch dazugestossen ist für die zahlreichen Anregungen danken. Hier ein schönes Abschlusszitat von demselben: "Man kann die Seele, das Glück und die Liebe nicht kaufen. Und genau das ist das Schöne daran."
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von Ana Brankovic
am 02.02.2015
Wir besitzen keine Urheberrechte an den oben verwendeten Bildern.
"Du machst dir wirklich einen riesen Aufwand, wenn du hier jetzt zwei, drei Stunden unser Gespräch aufnimmst und dir danach alles nochmals anhören und sinnvoll ordnen bzw. niederschreiben musst."
Dies war einer der ersten Sätze, die Florian Burkhardt aka Electroboy zu uns sprach, als wir ihm anfangs Januar im Berliner Café Liebling begegnen. Er habe seit der Schule nicht mehr verschlafen, aber nun ist es ausgerechnet heute passiert und er entschuldigt sich dafür. Als er schliesslich mit kleiner Verspätung und leicht erkältet im Café eintrifft, werden aus den besagten zwei, drei schlussendlich fünf wunderbare Stunden Sprachaufzeichnung über Gott, Sex, die Liebe und andere menschliche Krankheiten.
Nachträglich liess uns Florian private Bilder zukommen, die wir in diesem Artikel zeigen - teilweise mit Originalbetitelungen (gekennzeichnet mit .jpg), weil wir es wunderbar selbstironisch finden, unter welchen Namen er diese auf seinem Computer abgespeichert hat.
Wer hier aber grosse Headlines wie Glücklos in der Traumfabrik oder Er war Gott und stürzte tief sowie Etiketten wie Opfer der Reizüberflutung oder Ähnliches erwartet, könnte im positiven Sinne enttäuscht werden. Wir lassen nämlich Florian selbst zu Wort kommen. Und nein, liebe Leute, er bricht nicht gleich zusammen, wenn man ihn anfasst und ist aufgrund seiner psychischen Erkrankung noch lange kein Alien, welches anders behandelt werden sollte als ein "gesunder" Mensch.
Produkt.jpg
Florian Burkhardt, geboren am 13. März 1974 in Basel
Lieber Florian, mit dem Dokumentarfilm Electroboy, welcher von deinem Leben handelt, gingen bestimmt auch stressige Pressetermine einher. Wie fühlt es sich an, wieder im Rampenlicht bzw. auf einer Bühne vor Leuten zu stehen und die ganze Aufmerksamkeit abzubekommen?
Ich bin tatsächlich bei Filmvorpremieren zu Electroboy auf der Bühne gestanden und habe private Fragen beantwortet, das hätte ich auch nicht gedacht. Es ist eine Situation, in welcher sich auch gesunde Menschen unwohl fühlen würden. So ausgestellt vor einem Publikum auf der Bühne zu stehen und dann auch noch über persönliche Dinge zu sprechen. Aber ich habe es gemacht und es ging sogar ganz gut. So viel positives Feedback gibt einem halt schon einen Flash.
Aber Schweizer sind so zurückhaltend. Zum Beispiel bei der Vorpermiere im Kult.Kino Atelier. Da stehst du auf der Bühne, alle fragen ihre Fragen und wenn das Ganze vorbei ist, gehst du ins Foyer und stehst da und keiner traut sich mit dir zu sprechen.
Eine Frau erschrack und entschuldigte sich als sie aus Reflex meine Schulter anfasste beim Ansprechen. Es kommen dich höchstens zwei Leute anquatschen aus Neugier. Ich glaube sogar wenn Michael Jackson persönlich neben einem sitzen würde, spräche keiner mit ihm. Deshalb gibts in der Schweiz keine wirklichen Stars.
Ich fands witzig, dass ein Redaktor im Zusammenhang mit dem Film Electroboy meinte "Nein, das geht so nicht, das ist doch keine Schweizer Familie, das sind alles Psychos." (Lacht). Aber genau so sind doch die Schweizer, nach aussen heil aber wenn mal niemand schaut, lassen sie die Manieren fallen. Genauso wie bei der Szene mit meinen Eltern im kitschigen Tessin als sie sich unbeobachtet fühlten und meine Mutter zu meinem Vater sagt: "Sprich nicht so dummes Zeug, sonst lauf ich dir davon.".
Es ist spannend, wenn du als Privatperson auf der Leinwand bist und dann die Kritiker kommen und in dir eine Figur sehen. Sie reden dann über mich genauso wie über den Hobbit. Ich werde einfach knallhart beurteilt. Meine Eltern auch. Und was da teilweise Lustiges und Falsches in der Presse steht, ist sehr amüsant.
Die Kritiker stellen auch immer die Frage, wie es mir nun geht. Ich sag da meistens blendend. Das interpretieren die dann aber komplett falsch. Sie meinen ich sei gesund, habe keine Probleme mehr und verstehen nicht, dass ich mich einfach wohl fühle in meiner aktuellen Situation. Aber gesund bin ich deshalb nicht. Ich habe immer noch Mühe in die U-Bahn zu gehen, in Begleitung gehts gerade so.
Die Leute haben immer das Gefühl, ich sei total gestört und haben Angst mit mir zu reden oder mich anzufassen. Das kommt halt vom Filmschnitt und den damit erweckten Assoziationen. Wir haben aber bewusst keinen Partyfilm daraus gemacht. Im Basler Kult.Kino Atelier lief beispielsweise die Laufschrift "Von der Überholspur in den Abgrund" und ich dachte nur so, Wow, was für ein Horrorfilm muss das sein. Einfach der Totalabsturz, kein Wunder reagieren die Leute entsprechend komisch auf mich (Lacht).
Tier.jpg
Es war einmal ein kleiner süsser Luzerner Junge
Du hast dich damals nach deiner Modelkarriere und nach monatelangem isolierten Ausharren in deiner Wohnung schlussendlich selber in die Psychiatrie eingewiesen...
Ich musste freiwillig in die Psychiatrie, weil es nicht mehr ging. Ich hielt die Panikattacken nicht mehr aus. Damals wars für mich das Ende der Welt. Die Psychiatrie war deshalb meine letzte Möglichkeit. Ich habe jedoch positive Erinnerungen an den Aufenthalt. Es ist bisher das spannendste Erlebnis in meinem Leben. Da geht's um die Substanz, um Geburt, um Entscheidungen treffen, um das eigene Leben.
Diese psychischen Krankheiten sind alle nicht vergleichbar miteinander. Angst ist nicht gleich Angst, es ist je nach Person unterschiedlich. Wir haben im Film Electroboy bewusst keine Aussagen von Wissenschaftlern und Ärzten drinnen, weil das beim Zuschauer den Aha-Effekt ausgelöst hätte und die Thematik dann zu einfach abgetan worden wäre. Wir wollten diese objektive Sichtweise auf die Krankheit nicht.
In der Klinik hat es mir sehr geholfen, dass ich in einen Typ ausserhalb der Psychiatrie verliebt war. Das gab mir die Motivation weiter zu machen, raus zu kommen und mein Leben mit ihm verbringen zu können. Der Psychiatrieaufenthalt an sich war jedoch harte Arbeit. Arbeit an mir selbst. Ich als Konzepter und Stratege hatte irrationale Ängste und musste mich nun täglich mit diesen auseinander setzen. Täglich Übungen machen. Drei Schritte vor die Tür setzen, ohne dabei Panik zu bekommen. Juhu. Geschafft. Am nächsten Tag die gleiche Tortur nochmals von vorne.
Im Irrenhaus kannte ich sogar bereits ein paar Menschen von draussen, vor allem aus dem Gastrobetrieb sowie Künstler. Als ich beispielsweise einmal den Schweizer Regisseur Rolf Lyssy traf, meinte er zu mir "Genau in deiner Abteilung war ich ebenfalls." - schon krass, wie alltäglich der Gang zur Heilstätte ist. Es ist eine spannende Kur in diesen Heilhäusern. Da gab es beispielsweise eine Patientin, die war mal selber Psychiaterin und hat dann Depressionen bekommen. Sie war also einerseits Therapeutin und anderseits selber krank. Und auf einmal sagte ausgerechnet sie im Aufenthaltsraum völlig genervt und wütend: “Das ist ja hier wie im Irrenhaus!" Und wir alle so: “Ähm, ja. Das ist ja schliesslich auch eins." (Lacht).
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Hollywood? Kein Problem
Es ist schön, wenn man sich geheilt fühlt. Egal auf welche Art und Weise, hauptsache es wirkt. Apropos Heilung. Kommen wir nun zum Thema Religion, mit welcher du durch deine katholischen Eltern bereits in der Kindheit in Berührung kamst...
Gott ist doch eine schwarze Lesbe. Immer dieses "er" dort oben, das nervt mich (Lacht).
Nein mal ehrlich. Jede Religion ist irgendwie eine Vergewaltigung. Das grösste an der Religion ist doch die Gemeinschaft und die kann man ja irgendwo und überall finden. Religion an sich hingegen ist reiner Sinnkonsum. Ich selber bin überzeugter Atheist, es gibt in meiner Welt keinen Gott. Die meisten Leute sind heute aber wahrscheinlich Agnostizisten. Sie halten die Gottesfrage für ungeklärt oder nicht zu klären.
Und also bitte. Das alte Testament ist doch ein Horror. Es ist voller Gewalt, Terror und beinhaltet einen eifersüchtigen Gott. Man musste die eigenen Töchter als Nutten verkaufen, weil Gott dies befohlen hat. Das ist doch schrecklich. Und immer diese Heuchelei. Auch ein Pfarrer macht schlussendlich nur seinen Job in der Institution Kirche - nichts mehr, nichts weniger.
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Geprägt von der Religion bin ich auf jeden Fall. Ich war ja mit 16 bis 21 Jahren in einem streng katholischen Männerinternat. Die Psychologin und Lehrerin dort - ja, eine Frau - hat angeordnet, dass man homosexuelle Handlungen und Neigungen sofort melden solle. Es gab da so viele Heteros, aber es wurde rumgefummelt was das Zeug hält (Lacht).
Ich habe immer mit einem Freund, dem Sämi, ein Spiel gespielt. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und dann bestraft. Bestraft haben wir uns mit Genitalkontakt und das mit 18 Jahren, da ist man ja kein Kind mehr und weiss ganz genau, was man da tut. Es war sehr unterhaltsam bis er einmal äusserte, ich könne ihm doch gleich einen runterholen. Den Satz konnte ich dann nicht einordnen. Möchte er das nun wirklich oder riskiere ich mich zu entlarven und er verpetzt mich dann? Daraufhin habe ich sogleich abgeblockt. Das Beste war aber, dass ich damals eine Freundin aus dem Frauenseminar hatte. Alle fanden die so wunderschön und sie wollte mich. Mir war sie auf sexueller Ebene sowas von egal. Aber perfekt! Ich hatte mein Heteroimage 5 Jahre lang sicher zementiert im Internat (Lacht).
Nehmen wir doch gleich das Beispiel Liebe. Liebe hat nichts mit Gott zu tun. Wenns überhaupt einen Gott geben soll, dann ist das die Gemeinschaft der Menschen. Wir allein sind für das Wohl der Welt zuständig. Und wir sind ziemlich scheisse darin.
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Früh übt sich. Florian hat mittlerweile Hörproben auf Soundcloud aus den 90ern und 2000ern
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und so landen wir im Nu von der Bibel beim Dauerthema Narzissmus...
Der Mensch ist dermassen übersteigert in seinem Ego, dass er das Gefühl hat, er müsse ewig leben. Das ist sowas von daneben. Narzissmus heisst, wir lieben uns selber in anderen. Electroboy ist ein Vorzeigefilm für den Schweizer Narzissmus.
Heutzutage kannst du ganz einfach für einen Tag ein Star sein. Es interessiert niemanden für was du berühmt bist, hauptsache ein Star. Und ich wurde in den 90ern als krankhafter Narzisst gefeiert. Lady Gaga oder Miley Cyrus machen einfach rasch ein Selfie und posten dieses auf ihren Social Media Kanälen, es gehört zum ganz normalen Alltag dazu.
Lustigerweise interessieren sich die Leute bei mir immer nur fürs Modeln, das ist doch lächerlich, oberflächlich und irgendwie total langweilig.
Ich nahm an, dass gerade diese populären Themen in Basel das junge Publikum ansprechen würden. Ich hab gedacht, Basel sei eine progressive Stadt. Aber Electroboy lief da im Gegensatz zu anderen Schweizer Städten nicht so gut an und blieb dann kurz noch im Mittagskino drinnen bis er schliesslich leider ganz von der Bildoberfläche verschwand.
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Willkommen im wilden Westen
Die abgeschlossene Ausbildung als Lehrer gefiel dir nie wirklich. Was hättest du stattdessen viel lieber gemacht?
Ich wollte nie Lehrer werden, sondern immer schon an die Kunstgewerbeschule. Ich habe schon als Kind viel gezeichnet und war kreativ. Aber ich durfte dies nie in Angriff nehmen. "Die sind da alle schwul und drogensüchtig" hiess es seitens meiner Eltern. Lustig nicht? Dass schwul sein immer gleich mit Drogen in Verbindung gebracht wird.
Genauso wie das Modelbusiness. Ich habe während meiner Karriere keine Drogen genommen, denn als Topmodel musste ich immer seriös und pünktlich sein und konnte mir keine Eskapaden erlauben. Erst recht nicht bei Grössen wie Dolce & Gabbana, David LaChapelle oder Gucci. Es wird ja generell oft gefragt, weshalb Drogen im Film Electroboy kein Thema sind. Ganz eifach: Weil es da nichts zu erzählen gibt.
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Geboren, um zu sterben. Gestorben, um zu leben. Dieser Satz liest sich auf dem Grabstein von Florians Bruder Andreas, welcher im Kindesalter bei einem Autounfall verstarb
Der Autounfall, in welchem deine Eltern samt deinen beiden Brüdern sassen, muss ein Trauma für alle Beteiligten gewesen sein...
Mein dabei verstorbener Bruder Andreas ist der Grund, weshalb ich überhaupt auf die Welt kam. Ich sollte die Lücke und die Leere füllen, die durch seinen Tod entstanden ist und bekam deshalb als Kind die ganze Liebe und Aufmerksamkeit ab. Ich war ein kleiner Prinz, ein Star. Weil Andreas ein Engel war, musste er schon früh zurück in den Himmel, dies war stets die religiöse Begründung meiner Eltern für seinen frühen Tod.
Es spielte sich am Unfalltag alles chaotisch ab. Mein Vater hat nach dem Aufprall auf einer Bergstrasse das halbtote Kind aufgelesenen und ging zum nächsten Bauernhof. Alles war offen, voller Blut. Er stand da, das heuchelnde Kind in den Armen haltend. Meine Mutter war irgendwo. Dann kam die Polizei und mein Vater wurde sogleich verhaftet und der fahrlässigen Tötung verurteilt. Die Mutter kam in einen Krankenwagen und wo der zweite Sohn war, weiss man nicht. Ein totales Chaos. Heute wäre man wahrscheinlich zuerst seelisch betreut worden, damals war dies nicht so.
Meine Mutter hat die vom Unfall durchlöcherte Skimütze von Andreas bis heute bei sich aufbewahrt. Hinzu kommt, dass sich meine Eltern nie wirklich über den Unfall ausgesprochen haben, so dass mein Vater immer in ihrer Schuld stand. Sie hat auch immer in der Wunde gestichelt. Wenn er mal ein bisschen mehr Gas gab, hiess es "Willst du mir auch den zweiten Sohn nehmen?". Totaler Psychoterror, das macht einen über Jahrzehnte fertig.
Mein Vater hat aber auch eine absurde Art damit umzugehen. Bei der Vorpremiere in Luzern wollte er unbedingt klarstellen, dass er nicht vom 3. in den 4. Gang geschaltet habe, denn das wäre ja Autobahngeschwindigkeit und er fuhr auf einer Bergstrasse. Ihm ist das so peinlich, dass er das im Film falsch gesagt hat. Keine Sau hätte das wahrscheinlich gemerkt, aber es war ihm wichtig dies zu korrigieren, vor allem in Luzern, wo all seine Freunde wohnen. Er erwähnte auch, dass meine Mutter Hildegard nicht wegen ihm aus dem Tessin gegangen sei, sondern aufgrund der Gefahr. Das ist peinlich, aber so ist er halt.
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Bereits in frühen Jahren gründete Florian Burkhardt sein eigenes Snowboard Magazin
Es schockiert immer wieder, wie teilnahmlos und desinteressiert deine Eltern an deinem Leben waren. Sie wussten so wenig über dich, obwohl du ja von ihnen früher als kleiner Prinz gefeiert wurdest...
Daran hat sich nicht viel geändert. Sie haben bis heute nicht wirklich Interesse an meinem Leben. Mein Vater ist so ein steifer Typ, null Humor. Er kommt nicht auf die Idee, dass seine religiösen Gedankengänge falsch sein könnten, sondern hat sich sein stures Weltbild gesetzt und lebt nach diesem - wie hirntot.
Trailer zum Film Electroboy
Der Regisseur Marcel Gisler ist ja auch mal gemein und fragt im Film "Wieso ist er schwul geworden, der Florian?" und mein Vater antwortet "Weil ich als Vater zu wenig für ihn da gewesen bin.". Marcel erwidert daraufhin: "Aha, und der Bruder? Der ist ja nicht schwul." (Lacht). Mein Vater hat sein religiöses Denksystem und ordnet sich diesem unter. Alles andere zählt nicht. Der krasse Satz "Also wenn er schon nicht an Gott glaubt, dann spielt das (schwul sein) auch keine Rolle." hat es ja sogar in den Trailer geschafft.
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Wir haben Florian als sehr aufmerksamen, humorvollen und authentischen Mensch kennengelernt
Florian, was hältst du denn selber vom Film Electroboy?
Ich finde die unterschiedlichen Phasen im Film sehr spannend. Am Ende wirds ja fast schon so eine Art Reality TV als die Kamera versucht, meinem Vater nachzulaufen (Lacht).
Und auch die Entwicklung meiner Mutter zu sehen ist toll. Sie macht eine Metamorphose durch: Von der Perücke im kitschigen Tessin zu Beginn der Dreharbeiten und am Schluss, wo sie fast schon wie ein befreiter Hippie auf Drogen wirkt. Völlig glücklich. Sie sagt am Ende auch clevere Dinge wie: "Wir sind hier ja nicht im Spielfilm." was zeigt, dass sie trotz ihres Alters noch lange nicht Gaga ist.
In Locarno meinten alle der Film sei Dokfiction, weil alles zu perfekt schien, um wahr zu sein. Die Dialoge, die Aussagen, alles schien so absurd und war doch zugleich so ehrlich. Man konnte oder wollte es nicht glauben.
Marcel Gisler selbst hat bis zum geht nicht mehr recherchiert, weil er meinte meine Geschichte sei ein Fake. Ein Jahr lang rief er Uniprofessoren und Ärzte an und erkundigte sich, ob ich wirklich existiere. Zunächst sollte ich ja gar nicht im Film vorkommen, doch dann entschied sich Marcel kurzfristig um und liess andere Figuren ganz weg, um Platz für meine Statements zu machen. Es ist ein Paradoxon, dass ausgerechnet ich als Florian Burkhardt die Story durch meine eigenen Aussagen erst glaubwürdig mache.
Zuerst hätte es ja ein Spielfilm werden sollen. Plötzlich hiess es jedoch, im Film wäre ich dann aber hetero, da es eine klassische Liebesbeziehung brauche. Das kam für mich gar nicht in Frage, das wäre eine andere Story. Und schliesslich verkaufen sich Filme viel besser, wenn es heisst "Basierend auf wahren Begebenheiten". Als dann Anne-Catherine von Lang Film auf mich zukam mit diesem super Team fasste ich rasch Vertrauen und war mit an Bord bei dem Projekt Electroboy.
Im Allgemein interessieren sich immer alle für die Regisseurperspektive und das teschnische Zeug. Da gabs ja auch zahlreiche Radiobeiträge unter anderem auf SRF.
Marcel hatte seine eigene Art zu arbeiten, völlig frei. Er sammelte zunächst einfach mal alles ganz ohne Konzept, das war mir neu. Er kam beispielsweise extra nach Bochum und hat dann aber nicht einmal über den Film gesprochen. Da dachte ich so Hallo?! Wieso nimmt der sich Zeit und redet dann nicht einmal über den Film? Irgendwann begriff ich aber seine Arbeitsweise und konnte loslassen. Man muss jemandem dermassen vertrauen können bei so einer Sache. Aus dem gleichen Filmmaterial, welches sich nach einem Jahr Dreharbeit angehäuft hat, hätte er den totalen Verriss machen können.
Die Arbeitsweise von Marcel Gisler ist erfrischend neuartig, aber dennoch sehr manipulativ und subjektiv...
Ich finde es lustig, dass Dokumentarfilme immer diesen Objektivitätsanspruch wahren wollen, wobei es schlussendlich alles Absprachen und Inszenierungen sind. Electroboy war diesbezüglich neuartig. Hier sieht man plötzlich den Regisseur mit dem Protagonisten agieren oder man hört das Kamerateam reden. Es ist so als wäre ein Freund bei dir und man würde gemeinsam ein Gespräch führen. Natürlich nie so intim, da ja stets ein Kamerateam mit von der Partie ist. So wie bei der Autofahrt nach Luzern: Bei dieser Szene sass unser 2 Meter grosser Tontechniker die ganze Fahrt über eingequetscht im Kofferraum und ich dachte nur, der Arme, wie unbequem (Lacht).
Deine Eltern scheinen allgemein interessante Persönlichkeiten zu sein...
Allerdings. Da ich meinem Vater nicht ähnlich sehe, habe ich meine Mutter mal gefragt, ob er überhaupt mein Vater sei. Sie meinte daraufhin "Spielt das eine Rolle?!" Im Sinne von: Hauptsache ich bin deine Mutter (Lacht). Sie ist eine freche Gans. Mir fällt gerade ein, dass mein Vater ein bisschen aussieht wie Julius Caesar mit seiner grossen Nase und dem kleinen Vorkopf (Lacht).
Meine Eltern sind nun wieder zusammen. Sie brauchen einander beide, ob das jetzt Liebe oder Sex ist, spielt dabei keine grosse Rolle.
Der Amerikanische Agent Gregory David Mayo weint vor der Kamera als er deinen Brief liest. Da scheinen Vatergefühle hochzukommen...
Oh stimmt der Brief, in welchem ich mich oute und wo drinnen steht "The old men all just wanna fuck me". Ich musste dermassen lachen, als ich den laut vorgelesen habe (Lacht).
Was sagen denn deine Eltern zum Film?
Meine Mutter kapiert das alles noch nicht so wirklich, aber sie ist froh, dass es den Film gibt. Es war eine Art Familientherapie und sie konnte auch mit gewissen Dingen aufräumen, wie man am Ende vom Film sieht (Lacht).
Alle Beteiligten fühlen sich irgendwie befreit dank dem Film, es kam endlich zu wichtigen Aussprachen. Und mein Vater ist halt einfach loyal, er hat da gerne mitgemacht, aber mehr auch nicht.
An lustigen Momenten schien es euch während der Dreharbeiten keineswegs zu fehlen. Schade gibt es im Film keine Outtakes im Abspann...
Marcel meinte bei den Dreharbeiten mal zu meinem Vater "Ich zeig Ihnen jetzt mal was von Florian". Er drehte daraufhin seinen Mac zum Vater und da war versehentlich ein Schwulenporno zu sehen. Die Kameraleute dachten so "Spinnt der jetzt total? Oder macht einen auf Hardcore Konfrontation?". Mein Vater schaute ohne Reaktion dem Hardcore Porno zu. Kein Lachen, kein Entsetzen, nichts. Er ist wahrscheinlich so gut im Verdrängen, dass alle nicht religiösen Obszönitäten bereits an der äussersten Schicht des Auges gefiltert werden.
Da sass ich im Raum und das war mir dann also schon ein bisschen peinlich (Lacht).
Die Schwulen Klischees sind halt schon wahr. Ich bin deshalb auch nicht Fan von der Schwulenszene. An meiner 1. Electroboy Geburtstagsparty kamen nur Schwule. Irgendwann etablierten sich die Namen der DJs und es kamen auch Heteros, was ich super fand. Die Schwulen mochten das gar nicht und wollten wieder in ihre Keller zurück, was ich hingegen erbärmlich fand. Sich selbst ausgrenzen nur weil nun Heteros am Start waren und sie nicht mehr auf dem Klo koksen und vögeln konnten. Ich habe nämlich eine Frau für die Männertoilette engagiert, die schauen sollte, dass die Jungs keine Drogen nehmen und sich benehmen.
Was wurde eigentlich aus deiner ersten grossen Liebe , dem Bauernjungen, welcher im Film gezeigt wird?
Mit Matthias habe ich keinen Kontakt mehr. Wir sind zu unterschiedlich. Er hat sich nach der Veröffentlichung des Films auch nicht gemeldet oderso.
Und was hältst du sonst so von der Liebe?
Liebe ist doch per se, wenn man sich für den jemanden derart zurücknimmt, damit es dem anderen gut geht. Das ist doch die Definition von Liebe, aber das wird so nicht praktiziert. Man redet von Investitionen in eine Beziehung, um einen Gewinn daraus zu ziehen. Absurd! Das ist doch das Gegenteil von Liebe. Alle Menschen sind Egos, auch Mutter Teresa war ein Ego. Aber ich habe für die Liebe immer alles gemacht. Ich bin ja sogar ins grösste Drecksloch Bochum gezogen für meinen damaligen Freund.
Da fand ich es übrigens witzig, dass die Presse einfach schrieb, wir würden in einer Sozialwohnung leben, obwohl wir in einer der schönsten Gegenden in Bochum zuhause waren. Was für Eindrücke der Film Electroboy hinterlässt, ist schon sehr spannend.
Mittlerweile wohne ich - mit 2.5 jährigem Zwischenhalt in Bochum - seit 10 Jahren in Berlin, zusammen mit meinem Exfreund, von welchem ich mit Anfang Januar getrennt habe. Wir haben uns einfach friedlich auseinander gelebt. Nun bin ich wieder Single und am daten.
Thema Beziehungen: Die Beziehung deiner Eltern schien im Film aufgrund von Verdrängung und der fehlenden Aussprache abgestumpft zu sein. Kannst du dir vorstellen zu heiraten? Und was hältst du grundsätzlich von Beziehungen?
Ich war mal mit einem Italoamerikaner verheiratet. Ganz spontan in Zürich. Wir haben damals gemeinsam das Cabaret Voltaire in Berlin ins Leben gerufen und sassen dann 24/7 aufeinander. Das hat die Beziehung belastet, weshalb wir uns scheiden liessen.
Ich hatte immer monogame Beziehungen und war immer treu undso. Bis auf die Letzte, das war eine offene Beziehung. Er durfte machen, was er wollte. Ich hatte dazu kein Bedürfnis. Mir ist aber aufgefallen, dass das Beziehungsmodell am aussterben ist. Alle, die eine längere Beziehung haben, sind entweder offen oder haben einen Dreier - also jetzt in der homosexuellen Beziehung. Und auf der anderen Seite sind einige bereits zusammen, ohne sich je gesehen zu haben, rein übers Internet kennengelernt.
Für den Bauernjungen hast du viel investiert und deine Modelkarriere an den Nagel gehängt...
Ich bin ein Typ, der gerne Arbeit mag und neue Richtungen geht. Und dann interessieren mich Dinge nach einer Weile plötzlich nicht mehr. Ich bin ein wahnsinnig schlechter Businessmensch. Ich hätte aus den Electroboy Parties Geld machen können, aber das habe ich nie angestrebt. Auch das Modeln war eigentlich eher ein Unfall. Ich bin da so reingerutscht und habe erst dann Ehrgeiz entwickelt. Nachdem ich mit David LaChapelle und anderen Grössen wie Dolce & Gabbana gearbeitet habe, reizte es mich nicht mehr. Ich merkte es würde nur ein Wiederholung werden und diese Routine nahm mir dann auch den Spass. Nach drei Jahren in der Weltgeschichte herumreisen, macht es auch nicht mehr so Spass wie im 1. Jahr. Ich bin nebst allem auch ein Typ, der sehr gerne einfach allein für sich seinen Frieden hat.
Du warst ja sehr erfolgreich als Model. Das muss ein ziemlich hartes Business gewesen sein.
Es ist Wahnsinn, was für ein schlechtes Image Models haben. Du musst hart arbeiten, stets mitdenken und pünktlich sein als Model. Leute müssen sich innert 3 Sekunden bei einem Casting in dich verlieben.
Heute ist alles sehr schnelllebig und flüchtig. Du kannst an einem Tag für Gucci laufen und am nächsten interessiert sich keine Sau mehr für dich.
Modeln ist ein Leistungssport, das hat mir Urs Althaus damals auch schon gesagt. Du kommst beispielsweise nach London, bekommst eine Karte und eine Liste mit Namen und klapperst eine Agentur nach der anderen ab. Das ist ein Hardcore Job, die meisten hören deshalb auch ziemlich bald damit auf.
Gefragt sind vor allem der Charakter und viel Persönlichkeit, einfach besondere Menschentypen. Schönheit allein reicht da nicht aus. Du musst puren Sex verkaufen, das ist Schauspiel. Es ist eine arrogante Sexualität. Ich habe mir auch vor den Castings immer gesagt "Jetzt triffst du Dolce & Gabbana und sie müssen sich in dich verlieben", um dann diese Ausstrahlung auch beim laufen zu leben. Heute heissts eher "Oh, can I do it myself" und die Fotokünstler denken dann gleich "Okay, bye. Next.".
Ich habe die Arbeit der Fotografen und Make-up Artisten immer geschätzt. Du musst schliesslich in die Rolle schlüpfen und das können auch hässliche Charaktere sein. Du wirst dafür bezahlt, eine Dienstleistung zu erbringen, wie bei jedem anderem Job auch und nicht dafür, deinen eigenen Kopf durchsetzen zu wollen. Ich habe mich nie besonders attraktiv gefunden, auch nicht dann, wenn Gucci mich in allen Tönen gelobt hat. Dass ich nicht so eitel bin, hat mir beim Modeln bestimmt geholfen. Aber es ist auch ein hartes Business. Jedem zweiten 14 jährigen Mädchen wird heute gesagt "You're ugly. You're fat." da muss man einfach charakterstabil sein. Wenn du da labil bist, brichst du zusammen. Und die meisten Designer sind schwul, die wollen keine Brüste und weibliche Rundungen, da diese die Kleider verderben würden. Die wollen grosse, dünne Frauen, damit die Kleider schön fallen. Einfach rein pragmatisch.
Und es stimmt auch nicht, dass sich Models hinaufschlafen können. Wenn du jemandem eins bläst, wieso sollte er dich dann am nächsten Tag buchen? Das ergibt doch keinen Sinn.
David LaChapelle hat sich beispielsweise in mich verknallt. Und das hat alles nur funktioniert, weil ich nicht mit ihm geschlafen habe. Er musste mich also immer wieder buchen. Wir waren gemeinsam essen, aber das wars auch. Und klar kenne ich auch Agenten, die den ganzen Tag rumvögeln. Aber das ist nicht an der Tagesordnung.
Gibt es Hoffnung für die Menschheit?
Die Leute sind so viel wie möglichst beschäftigt. Wenn du nicht arbeitest, konsumierst du. Wir haben Computer, Maschinen und Fliessbänder erfunden, um den Mensch zu entlasten. Und dann kommt eine Merkel daher und findet einem noch irgendwo einen 1 Euro Job, um den Mensch beschäftigt zu halten. Das ist doch absurd.
Merkel ist wie mein Vater: Sie hat ein System eingekurbelt und macht alles, damit das funktioniert. Sie steht nicht für Veränderung und Revolution, sondern ordnet sich dem System unter.
Wir Wessis haben eh die Arschkarte gezogen. Wir 10%, die alles haben, leben von der Arbeit und dem Geld der ganzen Welt. Wir tragen mit unser Konsumverhalten die Verantwortung für das Wohlergehen aller anderen. Punkt.
Ich habe für mich geschaut, dass ich möglichst minimalistisch lebe. Besitz belastet nur. Etwas verliert seinen Reiz und seinen Wert, wenn man es sich ohnehin massenweise leisten kann. Ein Porsche ist auch nichts Besonders, wenn ich gleich 10 davon haben kann. Ich brauche also nicht viele Dinge im Leben und für mich funktioniert das gut so. Ich ernähre mich vegan, aber mir ist es egal, was andere machen. Ich mache einfach das, was im Rahmen meiner Möglichkeiten ist.
Die Aussagen oben erinnern uns an eine kreative Geschenkidee namens You Need Nothing - Sorry für den kurzen Unterbruch.
Zurzeit gibts einen Veganboom. Ich meine sogar Aldi hat vegane Produkte, nicht, weil er jetzt plötzlich bewusster geworden ist, sondern einfach aufgrund der Nachfrage. Rein wirtschaftlich.
Wenn wir aber mit dem jetzigen Fleischkonsum weiter machen, haben wir in ein paar Jahren unser Wasser vergiftet. Da gehts garnicht mehr um Tiere, sondern um uns Menschen, die aussterben. Wir müssten da drastisch etwas in unserem Verhalten ändern. Aber mal schauen, ob wir das schaffen.
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"Im Film scheint es, als wäre ich aus dem nichts gekommen und hätte alles an einem Tag einfach so erreicht. Es steckt jedoch bei allem, was ich mache ein Haufen Arbeit dahinter."
Was machst du zurzeit und wie schauen deine Zukunftspläne aus?
Zurzeit lebe ich in Berlin, beziehe eine IV Teilrente und mache Kunst mit Vektorgraphiken, dies aber rein zur eigenen Alltagsbewältigung. Ausstellungen habe ich keine im Sinne, obwohl ich mal nach einer Filmpremiere angefragt wurde. In Berlin hat es allein 5 Millionen Künstler und 7000 Galerien, in welche niemand reingeht. Hier Auszustellen wäre also reine Zeitverschwendung.
Auf jeden Fall bin ich momentan sehr motiviert und habe das Gefühl, bald wieder ein Projekt anzugehen. Eine genaue Inspiration, was ich angehen will, habe ich zurzeit noch icht. Da Electroboy auch mit Presseprogramm meinerseits verbunden ist, bin ich damit beschäftigt diesbezüglich herumzureisen. Mal sehen was danach kommt.
Wir danken Florian Burkhardt herzlichst für das äusserst angenehme unverbindliche Gespräch und die spannenden Themen, die er angesprochen hat. Auch würden wir gerne Queen Andy (Dieser Name wurde von der Redaktion geändert), welcher zufällig im gleichen Café sass und spontan zum Gespräch dazugestossen ist für die zahlreichen Anregungen danken. Hier ein schönes Abschlusszitat von demselben: "Man kann die Seele, das Glück und die Liebe nicht kaufen. Und genau das ist das Schöne daran."
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von Ana Brankovic
am 02.02.2015
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