Kunsthaus Baselland: Im Gespräch mit Ines Goldbach

Ob Events wie die Oslo Night oder Ausstellungen sowie weitere spannende Formate, das Dreispitz in Basel befindet sich in stetigem Wandel. Nun zieht auch das «Kunsthaus Baselland» von Muttenz in die Dreispitzhalle. Wir sprachen mit Direktorin Ines Goldbach über Wandel, das Hier und Jetzt, Kunst und Kultur in Zeiten von COVID-19 und vieles mehr.

Liebe Ines Goldbach, wer bist du und was inspiriert dich im Alltag?
Wer ich bin? Hoffentlich heute nicht jene, die ich gestern war, sondern schon einen Schritt weiter (lacht). Mein wichtigster Motor sind sicher Familie, Kinder, Freund*innen und der stete Austausch mit Künstler*innen, gemischt mit einer grossen Passion für die Sache und reichlich Humor – bei all dem, was täglich auf einen einstürzt, darf das Lachen nie kurz kommen.


Du bist Direktorin des «Kunsthaus Baselland». Wie kam es dazu?
Wenn ich Dinge mitgestalten kann, inspiriert mich das schon sehr. Das «Kunsthaus Baselland» ist in meinen Augen das perfekte Instrument dafür: Ich kann sowohl mit den Künstler*innen arbeiten, die in der Region und direkt hier vor Ort tätig sind – das ist ein ständiger toller Austausch; und zugleich kann ich sie mit internationalen Positionen zusammenführen und daraus wiederum Neues entstehen lassen. Das direkte Miteinander von Nah und Fern ist mir eine wichtige Triebfeder.

Bevor ich vor einigen Jahren ans Kunsthaus kam, war ich viele Jahre an den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen für die Raussmüller Collection tätig und konnte dort auf Tuchfühlung mit Künstler*innen gehen, darunter Robert Ryman oder Jannis Kounellis. Das hat mich schon sehr geprägt. Auch hatte ich das grosse Glück, durch einen Stiefvater als Künstler in einem künstlerischen Umfeld aufzuwachsen – die tagtägliche Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Kunst und vor allem der tägliche Austausch mit Künstler*innen ist mir daher nicht nur vertraut, sondern gehört untrennbar zu meinem Leben und Alltag.


Welche Veränderungen siehst du für Kunst und Kultur in Zeiten von Covid-19?
Für viele Künstler*innen und Kulturschaffende allgemein war und ist diese Zeit dramatisch, und es wird wohl auch noch einige Zeit so bleiben. Finanziell ist die Lage für sehr viele aktuell äusserst prekär, Ausstellungen und Projekte wurden abgesagt oder verschoben, Galerien müssen teilweise Konkurs anmelden und sich damit von Künstler*innen trennen. Das Planbare fällt aktuell weg; was heute noch stimmt, kann morgen aufgrund von neuesten Entwicklungen wieder ganz anders sein. Diese Unsicherheit ist sehr ungewohnt und eine neue Realität, auf die wir uns einstellen müssen. Positiv betrachtet verlangt diese Zeit, die gerade erst begonnen hat, von uns eine grösstmögliche Agilität und damit auch Flexibilität. Meines Erachtens ist es daher auch noch mehr gefragt, dass wir zusammenhalten und gemeinsam Projekte stemmen. Reüssieren in dieser Zeit können wir nur gemeinsam.


Wie haben die Pandemie und die damit einhergehenden Massnahmen sowohl deinen Arbeitsalltag, die Kunst und Kultur sowie deinen persönlichen Alltag geprägt?
Einerseits verlangen uns all die Massnahmen, die immer wieder beschlossen, umgesetzt, evaluiert und dann wieder angepasst werden mussten und müssen, sehr viel Kraft und auch finanzielle Ressourcen ab. Ein Kunsthaus zu leiten, hat Ähnlichkeiten damit, ein Unternehmen zu leiten: Man hat Verantwortung für die MitarbeiterInnen, muss das Budget im Griff haben, viele Entscheidungen treffen, ob man nun dies oder jenes macht, Ausstellungen respektive andere Veranstaltungen verschiebt oder doch ansetzt, wie die Prognosen sind usw. Alle Kunst- und Kulturinstitutionen mussten und müssen in dieser Zeit viel (ver-)schieben, ändern, wieder schieben usw. Um aber auch hier einen positiven Aspekt hineinzubringen: Diese Zeit erlaubt es auch, Dinge auszuprobieren und Formate zu entwickeln, die es bislang noch nicht gab, weil sie vielleicht nicht notwendig erschienen. So haben wir neben zahlreichen Online-Angeboten, Live-Streams, Online-Führungen, Künstler*inneninterviews als Videoserie, einer Kunstseitenserie in der Basellandschaftlichen Zeitung, auch das Kulturtelefon ins Leben gerufen, eine Art wöchentliche Kunsthotline, bei der man sich mit uns direkt über Kunstwerke in den Ausstellungen unterhalten konnte. Einige dieser Angeboten waren so erfolgreich, dass wir versuchen werden, sie weiterzuführen, wenn es die Finanzen zulassen.


Was war oder ist dein persönliches Highlight der Oslo Night und was ist neu in diesem Jahr 2020?
Das «Kunsthaus Baselland» ist nun seit drei Jahren an der Oslo Night mit dabei, in den Räumlichkeiten der Dreispitzhalle, dem zukünftigen Zuhause des Kunsthauses. Das grösste Highlight ist der Abend selbst, und dabei der Zusammenschluss der unterschiedlichsten Institutionen wie dem HeK, der Hochschule, dem Radio X, Atelier Mondial usw. Natürlich freue ich mich auch sehr auf unsere beiden Gemeinschaftsprojekte mit meiner Kollegin, Sabine Himmelsbach, Direktorin des HeK: wir haben einerseits die Künstlerin Simone Steinegger eingeladen, speziell für die Oslo Night ein neues Werk zu produzieren; andererseits hat die Kuratorin Chantal Molleur ein Screening aus speziellen kürzeren und längeren Filmarbeiten zusammengestellt, die teils noch nicht in der Schweiz zu sehen waren. Zwei unheimlich spannende Kooperationsprojekte also. Ein solcher Abend wie die Oslo Night in seiner vollen Breite zeigt doch genau, was dieses Areal kann und welches Potenzial es hat, eben genau dann, wenn alle Partner zusammenspannen, die Öffentlichkeit und im Speziellen auch die AnwohnerInnen runter auf den Platz kommen und diesen Abend geniessen. Das ist doch eine grossartige Vision dafür, wie wir in Zukunft Kultur zusammen gestalten und vermitteln können – nicht nur für einen Abend.


Vieles spielt sich zurzeit rund um den Freilager-Platz im Dreispitz ab. Welches Potenzial siehst du für diesen Ort?
Es stimmt, dass momentan vieles auf den Platz hin ausgerichtet ist, aber auch hier sehe ich ein wunderbares Potenzial für die Zukunft – dass sich der Blick weiten und in alle Richtungen ausstrecken lässt. Der aktuelle Zugang zur Dreispitzhalle etwa ist auf der gegenüber liegenden Helsinki-Strasse, und der Plan für das neue Kunsthaus ist es, zwei Eingänge zu haben – von beiden Seiten also. Vielleicht könnte man sagen, dass der Platz sich in konzentrischen Zeiten weiter ausdehnt und mit ihm die Aktivitäten auf dem gesamten Areal. Das ist eben jene Chance der Mitgestaltung, die ich vorhin meinte, und auch das, was die BesucherInnen an einem solchen Abend wie der Oslo Night geniessen: einerseits die tollen Orte rund um den Platz, aber auch das weiterentdecken in andere Richtungen wie die Helsinki-Strasse, das Elysia. Und auch das grossartige Schaulager ist ja nur wenige Schritte weit entfernt.


Auch das «Kunsthaus Baselland» wird von Muttenz in die Dreispitzhalle ziehen. Weshalb macht das Sinn, und wie siehst du die Entwicklung dieses kreativen Areals rund um die Hochschule für Gestaltung und Kunst, den Club Elysia sowie das Haus für elektronische Künste oder Radio X in 5 bis 10 Jahren?
Das Dreispitzareal muss man eher als eine neue Stadt in der Stadt ansehen, die mitten am Entstehen ist und die wir aktiv mitgestalten können. Selbstverständlich ist daher in diesem Moment noch vieles nicht fertig, noch roh, aber genau das hat seinen Reiz – fast kommt mir der Ort vor wie ein grosser Freiraum, in welchem in Zukunft noch viel möglich sein kann. Dafür braucht es Offenheit, ja, auch Mittel, es braucht aber auch all jene, die sich für diesen Ort mitentscheiden und vor allem auch entscheiden, ihn mitzugestalten und ihm sein unverwechselbares Gesicht zu geben. Ich bin davon überzeugt, dass wir – wenn alle jene, die dort schon sind, und auch jene, die mittel- und langfristig dort hinkommen werden, das Momentum einer gemeinsamen Vision nutzen – dort einen Ort schaffen können, der Wohn-, Arbeits- und vor allem eine hohe Lebensqualität hat, angereichert mit viel Kunst und Kultur.


Wo in Basel hältst du dich am liebsten auf, wenn du gerade nicht im «Kunsthaus Baselland» oder an der «Oslo Night» anzutreffen bist?
Am liebsten halte ich mich tatsächlich in der Kunst auf und komme dafür hier in Basel natürlich wunderbar auf meine Kosten. Ein Ausstellungs- oder Museumsbesuch bewirkt für mich oft das Gleiche wie ein Spaziergang am Wasser oder inmitten der Natur – wie ein frischer Wind, der einem um den Kopf weht. Das geniesse ich auch so, wenn ich aktuell öfters vom jetzigen Kunsthaus zum Dreispitz wechseln muss und ein bisschen mehr Zeit habe: Dann gönne ich mir einen Spaziergang quer durch die Merian Gärten – was für eine wunderbare Oase! Da gibt es ja auch Ideen, wie dieser Ort noch besser vom Dreispitz aus erschlossen werden kann – das wäre ein grosser Gewinn. Und natürlich springe ich an warmen Tagen auch gerne mal ins Wasser.


Wieso sollte man deiner Meinung nach Kunst und Kultur im Jahr 2020 mehr denn je feiern und unterstützen?
Feiern ist vielleicht nicht der Begriff, den ich wählen würde, aber nutzen. Ja, das glaube ich, dass wir gerade aktuell Kunst und Kultur besonders für uns nutzen und davon Gebrauch machen sollten. Die Auseinandersetzung kann eine geistige, erholsame und auch äusserst inspirierende Nahrung für uns sein. Das sieht man vielleicht nicht immer so, sondern denkt, Kunst und Ausstellungen zu besichtigen, sei eher anstrengend. Genau aber in Krisenzeiten können Künstler*innen uns Wege aufzeigen, wie wir gewohnte Bahnen aufgeben und zu neuen Ufern aufbrechen können – das scheint mit hier und heute eine sehr wichtige Qualität.


Welches Potenzial siehst du vor allem in Basel und der Schweiz für junge Künstler*innen und Kreativschaffende?
Zu allererst sehe ich vor allem deswegen ein grosses Potenzial in der Schweiz in Sachen Kunstschaffen, gerade weil es eben so viele hochkarätige Kunstschaffende gibt, die sowohl aus der Schweiz stammen als auch aus dem Ausland hier für eine kürzere oder längere Zeit hier leben und sich hier auch zusammen austauschen, einander begegnen. Das ist in dieser Form nicht mit anderen Ländern zu vergleichen – wenn man dazu bereit ist, kann man hier unheimlich gut zusammenarbeiten und zusammenwirken, sei es als Kunst- oder auch als Kulturschaffende.


Was muss sich in Kunst- und Kulturinstitutionen drastisch ändern, um eine Veränderung bzw. einen Fortschritt zu bewirken – vielleicht auch gerade in Zusammenhang mit «Institutional Racism» und der «Black Lives Matter» Bewegung?
In Sachen Veränderungen müssen wir uns sicher immer mehr von dem Glauben lösen, dass alles planbar und kontrollierbar ist – das gilt natürlich nicht für die Kulturinstitutionen. Wir müssen besser lernen, mit dem Spontanen umzugehen – das ist für eine Institution nicht einfach, deren Überleben oft vom Planen, finanziellen Absichern und auch von Kontinuität abhängt. Das ist sicher ein Spagat, den es zu schaffen gilt. Das andere, was du ansprichst, geht für mich in eine sehr wichtige andere Richtung, bei der es nicht nur um die Frage geht, wie wir uns vor dem Hintergrund von Black Lives Matter verhalten sollen und müssen: Wir müssen einander noch mit weitaus mehr Verantwortung und Respekt gegenübertreten und die Gesellschaft als Ganzes sehen. Für eine Institution sehe ich hier die wichtige Aufgabe, dass man den Weitblick nicht nur schärft, sondern auch lebt – neben Künstlern ganz selbstverständlich auch Künstlerinnen zeigt, neben jüngeren Positionen auch ältere, neben internationalen Kunstschaffenden auch regionale usw.; oder dass man im Team junge Frauen und ausdrücklich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert. Es gibt unzählige Themen und Bereiche, auf die wir heute besser und auch sensibler reagieren können und müssen. Und die Kunst kann uns oftmals gerade zu dieser Bewusstseinsschärfung und Offenheit helfen. Wir sind in so vielen Bereichen noch lange nicht dort, wo wir sein könnten.


Wenn du die «Oslo Night» als ein Tier beschreiben müsstest, welches wäre das?
Ein Chamäleon, das sich am Nachmittag bunt und lustig mit den Familien tummelt, gegen Abend sein Kleid wechselt, um uns in Räume zu führen, die wir so noch nicht gesehen haben – und verführerisch aufregend in einem neuen Gewand in die Nacht hinübergleitet.


Wenn es für die Kulturbranche etwas vom Himmel regnen könnte, was wäre das?
Finanzen geben immer Freiheiten, um etwas umsetzen zu können, Kreativität braucht es, um die Finanzen auch intelligent und innovativ einzusetzen. Ich wünsche also der Kulturbranche einen warmen Sommerregen aus eben diesen beiden wichtigen Triebfedern.


Wie wär’s mal mit..?
...einem grossen Zusammenhalt, in welchem wir lustvoll, mit Energie und Passion gemeinsam ins Morgen gehen – oder durch eine Nacht wie die die «Oslo Night». Heute, hier und jetzt. Fürs Zusammenhalten braucht es keine Distanzregelung.



Vielen Dank an Ines Goldbach für die spanennden Einblicke in den Kunst- und Kulturbereich und das Vorantreiben von spannenden Projekten und Formaten.


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von Ana Brankovic
am 14.09.2020


Fotos
© Marcause Pérez für Wie wär's mal mit


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