Kunstmuseum Basel Gegenwart: Im Gespräch mit Kurator Søren Grammel

Das Kunstmuseum Gegenwart in Basel feiert im Sommer 2020 sein 40. Jubiläum. Dies bedeutet auch 40 Jahre Wandel und Entwicklung. Wie hat sich Kunst 10 Jahre nach Gründung von Instagram verändert? Was bewegt die Welt heute? Wie macht sich die Stadt Basel als Kunst- und Kulturstadt? Und wie sieht eigentlich der Alltag von Kurator*innen aus? Kurator Søren Grammel verrät es uns.


Lieber Søren, du bist Kurator im Kunstmuseum Gegenwart in Basel. Was hast du davor gemacht und wie bist du zum heutigen Beruf gekommen?
Das Interesse an Kunst, an Künstler*innen und dieser besonderen Art zu leben, kam bei mir, als ich ein Schüler war. Natürlich wollte ich zunächst auch Künstler sein, war aber nicht gut. Und so bin ich dann über das Studium der Kunstwissenschaft Kurator geworden, habe zunächst in kleineren institutionellen Kontexten gearbeitet, in Köln und in Graz zwei Kunstvereine geleitet; Orte also, die der Gegenwartskunst und vermehrt jüngerer Kunstproduktion gewidmet sind. Mit einem hohen Mass an experimentellem Freiraum. Insofern steht meine Karriere nicht typisch für den Werdegang, der Leute ins Museum führt.



Was bedeutet Gegenwartskunst bzw. zeitgenössische Kunst für dich?
Wie auch bei Film, Musik, Literatur: Perspektiven und Visionen, andere Werte als solche des alltäglichen Wettbewerbs, des stets Ökonomischen und Funktionalen. Ok, das ist eine romantisierende Sicht. Auch die Kunstwelt ist natürlich nicht frei von ökonomischen Paradigmen. Aber man kann sich schon einige Wunschvorstellungen realisieren, wenn man daran glaubt und danach handelt.  


Das Gegenwartsmuseum feiert im 2020 sein 40-jähriges Jubiläum. Wie hat sich die Produktion und Wahrnehmung zeitgenössischer Kunst in dieser Zeit entwickelt und verändert?
Kunst verändert und entwickelt sich ständig. Wiederkehrende kanonische Formen, fixe Genres oder Schulen haben sich in dieser Zeit weiter aufgelöst und verflüssigt. Niemand hat mehr die grosse Erzählung parat. In einigen Segmenten der Kunstwelt gibt es auch die starke Tendenz, ausserhalb des Kunstmarktes arbeiten zu wollen. Kunst ist seit Mitte der Neunzigerjahre teilweise auch wieder politischer geworden – wie schon in den 1970er-Jahren. Dazu gehört immer auch eine angepasste Weise, politisch zu sein. Aber wie überall in der Gesellschaft entstehen auch mehr sogenannte Bubbles, so dass eigentlich komplett unterschiedliche Kunstwelten mit unterschiedlichen Werten parallel zueinander existieren. 


Zwischen diesen existieren zwar Schnittstellen, durch die man wandeln kann – zum Beispiel zwischen der Blue Chip-Realität der Art Basel und einer Künstlerinitiative in – sagen wir – Dakar. Oder zum Beispiel wird die nächste «Documenta», das ist im Prinzip die wichtigste Kunstausstellung der Welt, von einem Kollektiv aus Indonesien kuratiert. Das ist eine eigene Welt, die wiederum wenig mit den Powergalerien des ehemaligen Westens zu tun hat. Insofern kann Kunst für manche etwas gesellschaftlich sehr Radikales sein, für andere etwas schon fast Elitäres, das nur schwer zugänglich ist. Sicher ist aber: Das Paradigma «Westkunst» ist gebrochen und wird von neuen globalen Zentren und Peripherien abgelöst.




Welche Tendenzen sind heute spürbar, zehn Jahre nach der Gründung von Instagram?
In der Kunst spricht man seit acht oder neun Jahren zunehmend von Post-Internet-Art. Das ist Kunst, die sich mit den neuen Entstehungs- und Präsentationsformen, aber auch den sozialen Dynamiken und Austauschverhältnissen, in welche die Produktion von Bildern seit Verbreitung des Internets zunehmend eingebunden ist, entweder beschäftigt oder längst Teil dieser Kulturen geworden ist. Oft ist die Art und Weise des Umgangs mit neuen Technologien in der Kunst zu Beginn bzw. mit deren neuer Verbreitung noch etwas zäh. Da solche frühen Beispiele oft noch aufs Medium fixiert sind – also extrem selbstreflexiv arbeiten – wirken sie dadurch irgendwie unentspannt.


Das Problem ist ja doch auch, dass die genannten Formen ganz stark Teil der ökonomischen Strategie weltumspannender Konzerne sind. Dabei bedeutet Teil dieser sozialen Medien zu sein, strukturell nichts Anderes, als dass du bereit bist, gratis für einen grossen Konzern Inhalte zu generieren, mit deren Hilfe diese dann Werbeeinnahmen scheffeln können. Heute sind wir natürlich alle Teil solcher Systeme bzw. kommunizieren und konsumieren darüber. Aber die Frage für die Kunst scheint mir dabei jene zu sein, wie man die Logik dieser Systeme ändern oder unterlaufen kann, oder deren Problematik zumindest markieren – sowohl in ästhetischer als auch politischer Hinsicht. Da hat sich in den letzten Jahren auch bereits viel getan.




Vor welchen Herausforderungen stehen Museen und zeitgenössische Kunst heute?
Museen müssen natürlich schon heute einen unglaublichen Spagat hinlegen zwischen Kuration und Partizipation; und damit auch zwischen exklusiv und inklusiv. Wie können Museen also einerseits ihrer Aufgabe gerecht werden, die Kunst der Gegenwart und auch der Vergangenheit möglichst unabhängig von privaten Einflussnehmern wie beispielsweise Galerien, Kunstagent*innen oder Sammler*innen nach Qualitätsmassstäben zu beurteilen und entsprechende Entscheidungen für die Erweiterung der Sammlung oder die Komposition von Ausstellungen zu treffen; und andererseits ein inklusiver Raum sein, der für Menschen, die nicht professionell mit Kunst zu tun haben, trotzdem attraktiv und besuchenswert bleibt.


Wie steht es um die Kunst in zehn Jahren?
Dieser Raum beschränkt sich nicht mehr wie in der Vergangenheit allein auf ein Gebäude, sondern wird zunehmend um neue digitale Räume erweitert werden. Deshalb möchte ich das Museum auch zu einem Hub für digitale Kunstprojekte machen, anstatt das Instagram und anderen Corporates einfach so zu überlassen. Es geht praktisch darum, dass Besucher*innen über die digitale Präsenz des Museums zu digitalen Werken in Form von Webseiten und Blogs, Kanälen oder Apps und anderen Formaten gelangen. Und hier besteht die gleiche Herausforderung, die ich oben beschrieben habe; wie lassen sich diese Räume zugleich anspruchsvoll, also bildend einerseits und attraktiv andererseits, gestalten, und sich dabei gegenüber einer steigenden Vielzahl meist kommerzieller Räume behaupten, die ihre Nutzer eigentlich nur als Konsumenten definieren – das Konsumieren aber fälschlicherweise als eine Form der Partizipation ausgeben.


In Zeiten von Social Media und digitalen Medien: Welche Rolle spielt eine Institution wie das Basler Kunstmuseum Gegenwart für den Erfolg junger zeitgenössischer Künstler*innen?
Auch wenn die meisten Künstler*innen private Plattformen zum Weiterkommen und promoten ihrer Arbeit nutzen, klassisch, also Galerien, aber mittlerweile eben auch die von dir genannten sozialen und digitalen Medien – und nochmal: damit sind auch private kommerzielle Unternehmen gemeint, also bitte nicht mit Öffentlichkeit verwechseln – wenn sie das also tun, sind öffentliche und unabhängige Institution für Gegenwartskunst nach wie vor extrem wichtig, weil ihre zumindest relative Unabhängigkeit vom Markt und ihre hoffentlich seriös arbeitenden und gut geschulten Kurator*innen ein sehr besonderes Kapital zu verteilen haben, über das die Anderen nicht oder weniger verfügen: Das symbolische Kapital «Glaubwürdigkeit». Wie die Privatperson in den sozialen Medien die Inhalte filtert, wähle auch ich als Kurator aus allen «Inhalten» aus. Manche wollen lieber selbst filtern, andere fordern wiederum eine sogenannte demokratische Beteiligung aller am Filterungsprozess – aber es gibt auch Leute, die verlassen sich gerne auf eine nach klugen Parametern vorgenommene Auswahl. Mir geht das zum Beispiel so bei Musik, weil ich mich da selber nicht gut genug auskenne, um die für meine Interessen besten neuen Sachen zu finden.



Wenn du deine Tätigkeit als Kurator in einem Satz beschreiben müsstest, welcher wäre das?
Bitte so selten wie möglich E-Mails lesen und vor allem nicht beantworten, wenn du weiterhin Zeit für Kunst haben willst.

Was hältst du von Basel als Kunst- und Kulturstadt?
Tolle Institutionen, aber eben leider nicht die geeignete Stadt, um trotz grosszügiger Förderinstrumente auch eine wirklich breite und lebendige Künstler*innenszene aufzubauen und zu halten; mit entsprechenden Galerien, Projekträumen, Bars, Zeitschriften und Sammler*innen. Deshalb kommt es mir trotz aller Vorteile auch abgeschnitten vor, zu selbstgenügsam. Wir Institutionen müssen hier aufpassen, dass wir nicht auf hohem Niveau in unserer Blase einen Monolog mit uns selber halten. Und manchmal denke ich, wir könnten eigentlich mehr tun, um die Situation zu ändern.


Wo bist du privat am liebsten unterwegs?
Ich verbringe sehr gerne Zeit am Rheinufer. Am liebsten mit meiner Tochter.   

Was inspiriert und motiviert dich dazu, eine Ausstellung zu machen?
Vor allem natürlich Kunst und Künstler*innen, die mich faszinieren; aber auch der Blick auf die Welt, neue Bücher und Filme, und Diskussionen mit anderen. Und wichtig ist dann immer der Punkt, an dem die Selbstgespräche zu richtigen Gesprächen werden.



Zurzeit ist die Ausstellung «Circular Flow» im Kunstmuseum Gegenwart zu sehen, die du kuratiert hast. Weshalb sollte man die Ausstellung auf jeden Fall sehen?
Weil sie aktuelle Konflikte, die globale ökonomische Ungleichheit sowie daran angeschlossene politische und ökologische Kampfzonen wie Arbeit, Saatgut- oder Ölindustrie, Migration, moderne Sklaverei mit den Mitteln der Kunst thematisiert. Dabei wird die heutige postkoloniale Phase der Globalisierung mit ihrer kolonialen Vergangenheit konfrontiert – und zwar so, dass es manchmal fast wehtut. Die Ausstellung bietet keine Unterhaltung, sondern fordert die Besucher*innen voll heraus, selbst zu grübeln, nachzudenken und zu hinterfragen und dabei ganz viel Zeit mitzubringen. Also: Wenn ihr wegen Übersättigung durch den ganzen Unterhaltungs-Trash und News, Tweets, Schlagzeilen, Posts und Serien mal wieder Lust auf langsame, zähe, inhaltliche Auseinandersetzung mit der Welt um euch herum habt (ok, ich bin kein guter Werbetexter), dann kommt und seht euch die Ausstellung an.


Was hast du als Nächstes vor?
Ich denke über eine Ausstellung zum Thema Demokratie nach. Bin aber noch nicht so weit, das umzusetzen. Aber vielleicht bald.

Wie wär’s mal mit…
...Gratisprinzip.



Vielen Dank an Søren Grammel für die spannenden und ausführlichen Antworten.


_
von Ana Brankovic
am 02.03.2020


Fotos
© Ana Brankovic für Wie wär's mal mit


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