Levo rimeD: Im Gespräch mit Levent Demir
Wir haben den Rapper Levent Demir in seinem Quartier, dem 4057, besucht. Sehr herzlich wurden wir auf der Claramatte empfangen und begaben uns da gemeinsam in seinen gemütlichen Innenhof der Hochbausiedlung. In unserem Gespräch haben wir über Musik, Integration, die Liebe zum Quartier und über das Zwischenmenschliche gesprochen - mehr dazu in unserem nachfolgenden Interview.
Lieber Levent, dein Lebenslauf in Kürze.
Ich heisse Levent Demir, bin in Basel im Frauenspital, welches im Quartier 4056 liegt, im Jahr 1983 zur Welt gekommen: nach drei Tagen ging es ins 4057. Meine Mutter ist aus Tunceli, respektive das ehemalige Dersim, also eine Zaza und mein Vater aus Erzincan. Ich bin Doppelbürger, habe den Schweizer Militärdienst absolviert als Übermittlungssoldat und habe eine Lehre als Elektriker abgeschlossen. Jetzt bin ich 33 Jahre und habe schon 17 Jahre von meinem Leben mit Arbeiten verbracht. Ich liebe Basel über alles und vor allem das 4057, mein Identifikationsort, das kommt daher, dass in unserer Geschichte und der meiner Eltern immer wieder eine Entwurzelung stattfand – deshalb diese Liebe für dieses Viertel.
Wie bist du zur Musik gekommen?
1999 fing ich mit Breakdance an. Das Training ohne Musik war unmöglich, sprich wir haben immer Musik gehört. Auch zuvor als Kind, hörte ich viel Musik mit meinen Eltern, vor allem schnulzige Musik – die aus der Türkei stammenden Kids wissen, was damit gemeint ist. Item, 2008 habe ich mich körperlich schwer verletzt, so das ich nicht mehr trainieren konnte. In dieser Zeit habe ich viel gekifft und fiel durch den Entzug des Tanzens in eine Depression, denn ich hatte kein Ventil und auch keine Erfolgserlebnisse mehr. Aus dem heraus und durch die Zusprache meiner Freunde die meinten, dass ich schon so Rede als würde ich rappen, kam ich zum Schreiben. Das Schreiben und das Rappen half mir Themen zu verarbeiten, welche mir auf der Brust lasteten. Es war eines der besten Ventile, nachdem ich mit dem Breakdancen aufgehört habe.
Was für Laster hattest du? Haben diese mit deiner Heimat Basel zu tun?
Schlussendlich schreibt jeder Musiker Texte zu Themen die ihn bewegen. Man kann sich – glaube ich – heute schon vorstellen, was einen 25-Jährigen mit Migrationshintergrund in der Schweiz bewegt, oder nicht? Einerseits keine Akzeptanz der Mehrgesellschaft und keinen Zusammenhalt, deswegen ist man nur mit Seinesgleichen unterwegs, damit meine ich nicht pauschalisierend Ausländer oder eine Art Rassenzusammengehörigkeit, sondern auch den Zusammenhalt durch ein gemeinsames Hobby oder durch eine Zugehörigkeit zu einer Subkultur.
Hast du dich jemals aufgrund deines Migrationshintergrundes gewertet gefühlt?
Es liegt nicht in meiner Macht, denn der erste Eindruck ist nun mal die visuelle Begegnung. Ich begegne jedem Menschen gleich respektvoll und dennoch ist nicht jede Begegnung gleichgestellt. Es reicht schon aus, dass gewisse Merkmale die ich mitbringe, bei meinem Gegenüber negativ konnotiert sind. Auch wenn es heisst, dass sich Gegensätze anziehen, strebt unsere Gesellschaft nach einer Homogene. Menschen wollen verstanden werden und das wird man durch gemeinsame Nenner zum Beispiel als Parallelgesellschaft. Viele Menschen machen sich gar nicht die Mühe ihr Gegenüber zu verstehen, geschweige diesem ihr Gehör zu schenken und dir mal die Chance schenken, dich als Individuum kennenzulernen. Ein Vorurteil übernehmen ist immer noch einfacher, wie sich selbst eine Meinung zu bilden und hinter dieser zu stehen.
Wer ist der Sündenbock, wenn wir diese gesellschaftliche Exklusion zulassen?
Dies liegt im Naturell des Menschen. Wie schon erwähnt, Gleiches gesinnt sich mit Gleichem! Der Ansatz sollte vielleicht zuerst auf ein Nebeneinander gelegt werden, bevor wir von einem Miteinander ausgehen. Auch sollte Integration nicht mit Assimilation gleichgesetzt werden, so dass «gut integriert» beinhalten müsste, dass man in einer Beiz am Stammtisch mit Schweizern sitzt und Schweinshaxe isst. Integration ist ein gemeinsamer Prozess und kann nicht von einer Partei abverlangt werden. Dieser Prozess wird durch verschiedene Faktoren erschwert, die Mehr- und Parallelgesellschaft macht Trennungen. Sei es aus Not, Unwissenheit, Angst oder aus Bequemlichkeit. Um ein Beispiel zu nennen, mein Vater war gezwungen seine Heimat zu verlassen und wegen der anfänglichen sprachlichen Barriere, suchte er sich Menschen aus, die dieselbe Sprache sprachen. Dies ist nur menschlich, denn die neue Heimat, all das Neu kann nur von Menschen verstanden werden, die vom selben Schicksal gekennzeichnet sind.
Was bedeutet dir die Musik?
Musik bedeutet mir so einiges. Anfänglich wollte ich Musik machen um besser wie manche anderer zu werden und heute bedeutet es mir persönlich sehr viel, denn der Junge mit dem Migrationshintergrund kann besser mit Worten in der Muttersprache der Mehrgesellschaft jonglieren, als diese selbst. Auch ist es immer wieder schön zu erfahren, dass meine Texte bei einigen Menschen was auslösen, denn immer wieder kommt es vor, dass wenn ich abends in einem Club bin, mir plötzlich Jungs meine Texte vorrappen. Musik ist reine Liebe und Leidenschaft und nur wenn diese Emotionen im Vordergrund stehen, berührst du die Menschen aufrichtig. Musik erlaubt es authentisch und gefühlsnah zu sein, denn im Alltag musst du funktionieren. Das bedingt auch, dass du deine Gefühle oft unterdrückst und somit auch deine Authentizität.
Wie würdest du deine Musik beschreiben?
In erster Linie mache ich Soulmusik. Meine Musik ist das Spiegelbild meiner jeweiligen Gemütslage und der Gegebenheiten, die mich umgeben. Der Track «Diskussionen» handelt vom Krieg und vom IS. Wir haben sehr viel darüber debattiert und dem mussten wir dann in einem Stück Raum geben, eine Art Verarbeitung. Wir Menschen durchleben viele Emotionen; an manchen Tagen geben wir masslos an, an anderen sind wir machmal primitiv, manchmal wütend, manchmal bedrückt, manchmal über glücklich und je nach Beat, wird eine Stimmung, eine Erinnerung in mir erweckt und die Gedanken werden auf einem Blatt manifestiert. Wenn manche Menschen meine Musik als vulgär empfinden, sollten diese sich auf die von ihnen gehörte Musik zurückerinnern oder den Texten Gehör schenken, die im Radio gespielt werden. Denn KISS, Guns ‘n’ Roses, ACDC und Co. waren kein Stück frommer. Es gibt doch diesen einen Song von Sweat «A La La La La Long» den alle kennen und mitsingen, selbst wir damals als Kinder und jedes Hotel Resort im Süden. Es ist netter verpackt, aber am Ende des Tages gibt es inhaltlich keinen Unterschied. Meine Musik ist eine Art Momentaufnahme von meinem Innenleben und ich stehe zu 100 Prozent dahinter.
Wie nimmt deine Familie deine Musik oder Texte wahr?
Meine Cousinen und Cousins finden es cool, auch die aus der Türkei, aber nur weil sie das Gefluche nicht verstehen. (lacht) Aber sie fühlen den Flow, den Style und hören den Beat und dafür braucht man keine sprachliche Kenntnis, denn dies ist universell. Ich muss auch ganz ehrlich sein, dass ich auch froh bin, dass meine Eltern einige Dinge sprachlich nicht greifen können, denn es gibt eine Grenze, die ich nicht überschreiten möchte.
Was wäre, wenn du deine Texte auf Türkisch rappen müsstest?
In Türkisch zu rappen wäre komplett was anderes und dies darf man auch nicht der deutschen Sprache gegenüberstellen. Denn im Türkischen dürftest du nie eine Mutter angreifen, das wäre einer Kriegserklärung gleichgestellt. Dies hat mit der kulturellen Konnotierung zu tun, denn eine Anne (dt. Mutter) ist heilig.
Würdest du behaupten, dass es dann kulturell in der Schweiz erlaubt wäre, eine Mutter zu beleidigen?
Es sind sprachliche Gegebenheit, die das zulassen. Um ein Beispiel zu nennen, im Spanischen ist es ein Satzgefüge und das «hijo de puta» wird einfach beiläufig eingesetzt. Jedes Wort hat in einer anderen Sprache, eine andere Funktion und so ist es mit dem Begriff «Hurensohn». Wenn ich mich an diesem Wort bediene, dann ist es nur um meinem Ärger Raum zu lassen, aber nie wirklich an die Mutter des Adressaten gerichtet.
Wie würdest du das «Türke sein» beschreiben?
Also als erstes muss ich sagen, ich bin aus der Türkei, aber kein Türke. Ich bin ein Zaza. Das ist uns Kindern sehr lange vorenthalten worden, da meine Eltern wegen den Umständen geflüchtet sind und aus dem Affekt der Angst, diese Identität untermalt haben. Irgendwann wird dir bewusst, dass einige Dinge anders sind, zum Beispiel dass eine weitere Sprache, in meinem Fall Zazaki auch gesprochen wird. Ich habe Schwierigkeiten mich mit etwas Bestimmtem zu identifizieren, das ist auf die Geschichte unserer Eltern zurückzuführen. In der Türkei bin ich kein richtiger Türke, weil ich Zaza bin und dazu kommt, dass ich auch noch alevitischer Moslem und in der Schweiz bin – ich habe den Militärdienst absolviert, doch ein Schweizer bin ich trotzdem nicht und werde dann aber der Türkei zugeordnet, obwohl diese uns unterdrückt hat. Deshalb identifizieren sich die Menschen mit Migrationshintergrund, inklusive mir, mit dem Quartier. In meinem Fall ist es das 4057.
«I guess it ain’t where you from, it's where you at.» (Rakim, In the Ghetto).
Was sind deine Lieblingsorte in Basel?
Nicht der Ort ist ausschlaggebend, sondern die Bespieler dieses Ortes. Wenn meine Freunde und Familie anwesend sind, ist der Ort der Begegnung sekundär.
Was wäre Levent als Speise?
Fleisch! 350 Gramm argentinisches Fleisch, dass auf Holzkohle schön medium gegrillt wurde. Wir schwitzen schliesslich auch so oft wie Fleisch und erreichen nur bei optimaler Temperatur den vollen Geschmack und Biss.
Du dürftest drei mal ein Wunschpublikum zusammenstellen, welchen du ein Privatkonzert schenkst.
Zuerst würde ich gerne für Nas rappen, denn seine Meinung zu meinem Flow, Style und Skills würde mich brennend interessieren. Ein Herzenswunsch wäre es für meine ganze Familie ein Privatkonzert zu geben, damit meine ich nicht zehn Nasen, der Raum müsste eine Kapazität für mindestens 400 Personen aufweisen. Das wäre ein schöner Anlass alle Wiederzusehen. Zu guter Letzt würde ich gerne nur für Frauen rappen, denn unsere Konzerte sind sehr männerlastig. Ich durfte oft feststellen, dass die Dynamik oder der Vibe so bald nur eine Frauen anwesend ist ein ganz anderer ist! Es ist deutlich angenehmer, denn Frauen motivieren und bringen die Höchstform aus einem Mann. Das unterliegt der Evolutionstheorie. Auch sind Frauen gegenüber von Männern ehrlicher, deshalb ist ihr Feedback konstruktiver. Oftmals erreichen Männer den konstruktiven Austausch erst um 5 Uhr morgens mit Alkohol intus.
Mit wem würdest du gerne mal die Rolle tauschen?
Mit niemandem. Denn jeder kommt als die Person zur Welt, die er ist und wenn er Veränderung will oder nach was strebt, dann muss er sich dafür auch bemühen und Einsatz zeigen, respektive an sich selbst arbeiten. Alles andere ist ein Wunsch ohne Bereitschaft etwas dafür geben zu müssen.
Wie wär's mal mit
...Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit! – Du hast recht Balu, schmeiss’ alle deine Alltagssorgen über Bord.
Vielen Dank Levent für deine Zeit und das sehr spannende und anregende Gespräch. Wir wünschen euch allen eine gemütliche und sorgenarme Woche.
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von Derya Cukadar
am 24.04.2017
Fotos
© Wie wär's mal mit
© Levent Demir
Wir haben den Rapper Levent Demir in seinem Quartier, dem 4057, besucht. Sehr herzlich wurden wir auf der Claramatte empfangen und begaben uns da gemeinsam in seinen gemütlichen Innenhof der Hochbausiedlung. In unserem Gespräch haben wir über Musik, Integration, die Liebe zum Quartier und über das Zwischenmenschliche gesprochen - mehr dazu in unserem nachfolgenden Interview.
Lieber Levent, dein Lebenslauf in Kürze.
Ich heisse Levent Demir, bin in Basel im Frauenspital, welches im Quartier 4056 liegt, im Jahr 1983 zur Welt gekommen: nach drei Tagen ging es ins 4057. Meine Mutter ist aus Tunceli, respektive das ehemalige Dersim, also eine Zaza und mein Vater aus Erzincan. Ich bin Doppelbürger, habe den Schweizer Militärdienst absolviert als Übermittlungssoldat und habe eine Lehre als Elektriker abgeschlossen. Jetzt bin ich 33 Jahre und habe schon 17 Jahre von meinem Leben mit Arbeiten verbracht. Ich liebe Basel über alles und vor allem das 4057, mein Identifikationsort, das kommt daher, dass in unserer Geschichte und der meiner Eltern immer wieder eine Entwurzelung stattfand – deshalb diese Liebe für dieses Viertel.
Wie bist du zur Musik gekommen?
1999 fing ich mit Breakdance an. Das Training ohne Musik war unmöglich, sprich wir haben immer Musik gehört. Auch zuvor als Kind, hörte ich viel Musik mit meinen Eltern, vor allem schnulzige Musik – die aus der Türkei stammenden Kids wissen, was damit gemeint ist. Item, 2008 habe ich mich körperlich schwer verletzt, so das ich nicht mehr trainieren konnte. In dieser Zeit habe ich viel gekifft und fiel durch den Entzug des Tanzens in eine Depression, denn ich hatte kein Ventil und auch keine Erfolgserlebnisse mehr. Aus dem heraus und durch die Zusprache meiner Freunde die meinten, dass ich schon so Rede als würde ich rappen, kam ich zum Schreiben. Das Schreiben und das Rappen half mir Themen zu verarbeiten, welche mir auf der Brust lasteten. Es war eines der besten Ventile, nachdem ich mit dem Breakdancen aufgehört habe.
Was für Laster hattest du? Haben diese mit deiner Heimat Basel zu tun?
Schlussendlich schreibt jeder Musiker Texte zu Themen die ihn bewegen. Man kann sich – glaube ich – heute schon vorstellen, was einen 25-Jährigen mit Migrationshintergrund in der Schweiz bewegt, oder nicht? Einerseits keine Akzeptanz der Mehrgesellschaft und keinen Zusammenhalt, deswegen ist man nur mit Seinesgleichen unterwegs, damit meine ich nicht pauschalisierend Ausländer oder eine Art Rassenzusammengehörigkeit, sondern auch den Zusammenhalt durch ein gemeinsames Hobby oder durch eine Zugehörigkeit zu einer Subkultur.
Hast du dich jemals aufgrund deines Migrationshintergrundes gewertet gefühlt?
Es liegt nicht in meiner Macht, denn der erste Eindruck ist nun mal die visuelle Begegnung. Ich begegne jedem Menschen gleich respektvoll und dennoch ist nicht jede Begegnung gleichgestellt. Es reicht schon aus, dass gewisse Merkmale die ich mitbringe, bei meinem Gegenüber negativ konnotiert sind. Auch wenn es heisst, dass sich Gegensätze anziehen, strebt unsere Gesellschaft nach einer Homogene. Menschen wollen verstanden werden und das wird man durch gemeinsame Nenner zum Beispiel als Parallelgesellschaft. Viele Menschen machen sich gar nicht die Mühe ihr Gegenüber zu verstehen, geschweige diesem ihr Gehör zu schenken und dir mal die Chance schenken, dich als Individuum kennenzulernen. Ein Vorurteil übernehmen ist immer noch einfacher, wie sich selbst eine Meinung zu bilden und hinter dieser zu stehen.
Wer ist der Sündenbock, wenn wir diese gesellschaftliche Exklusion zulassen?
Dies liegt im Naturell des Menschen. Wie schon erwähnt, Gleiches gesinnt sich mit Gleichem! Der Ansatz sollte vielleicht zuerst auf ein Nebeneinander gelegt werden, bevor wir von einem Miteinander ausgehen. Auch sollte Integration nicht mit Assimilation gleichgesetzt werden, so dass «gut integriert» beinhalten müsste, dass man in einer Beiz am Stammtisch mit Schweizern sitzt und Schweinshaxe isst. Integration ist ein gemeinsamer Prozess und kann nicht von einer Partei abverlangt werden. Dieser Prozess wird durch verschiedene Faktoren erschwert, die Mehr- und Parallelgesellschaft macht Trennungen. Sei es aus Not, Unwissenheit, Angst oder aus Bequemlichkeit. Um ein Beispiel zu nennen, mein Vater war gezwungen seine Heimat zu verlassen und wegen der anfänglichen sprachlichen Barriere, suchte er sich Menschen aus, die dieselbe Sprache sprachen. Dies ist nur menschlich, denn die neue Heimat, all das Neu kann nur von Menschen verstanden werden, die vom selben Schicksal gekennzeichnet sind.
Was bedeutet dir die Musik?
Musik bedeutet mir so einiges. Anfänglich wollte ich Musik machen um besser wie manche anderer zu werden und heute bedeutet es mir persönlich sehr viel, denn der Junge mit dem Migrationshintergrund kann besser mit Worten in der Muttersprache der Mehrgesellschaft jonglieren, als diese selbst. Auch ist es immer wieder schön zu erfahren, dass meine Texte bei einigen Menschen was auslösen, denn immer wieder kommt es vor, dass wenn ich abends in einem Club bin, mir plötzlich Jungs meine Texte vorrappen. Musik ist reine Liebe und Leidenschaft und nur wenn diese Emotionen im Vordergrund stehen, berührst du die Menschen aufrichtig. Musik erlaubt es authentisch und gefühlsnah zu sein, denn im Alltag musst du funktionieren. Das bedingt auch, dass du deine Gefühle oft unterdrückst und somit auch deine Authentizität.
Wie würdest du deine Musik beschreiben?
In erster Linie mache ich Soulmusik. Meine Musik ist das Spiegelbild meiner jeweiligen Gemütslage und der Gegebenheiten, die mich umgeben. Der Track «Diskussionen» handelt vom Krieg und vom IS. Wir haben sehr viel darüber debattiert und dem mussten wir dann in einem Stück Raum geben, eine Art Verarbeitung. Wir Menschen durchleben viele Emotionen; an manchen Tagen geben wir masslos an, an anderen sind wir machmal primitiv, manchmal wütend, manchmal bedrückt, manchmal über glücklich und je nach Beat, wird eine Stimmung, eine Erinnerung in mir erweckt und die Gedanken werden auf einem Blatt manifestiert. Wenn manche Menschen meine Musik als vulgär empfinden, sollten diese sich auf die von ihnen gehörte Musik zurückerinnern oder den Texten Gehör schenken, die im Radio gespielt werden. Denn KISS, Guns ‘n’ Roses, ACDC und Co. waren kein Stück frommer. Es gibt doch diesen einen Song von Sweat «A La La La La Long» den alle kennen und mitsingen, selbst wir damals als Kinder und jedes Hotel Resort im Süden. Es ist netter verpackt, aber am Ende des Tages gibt es inhaltlich keinen Unterschied. Meine Musik ist eine Art Momentaufnahme von meinem Innenleben und ich stehe zu 100 Prozent dahinter.
Wie nimmt deine Familie deine Musik oder Texte wahr?
Meine Cousinen und Cousins finden es cool, auch die aus der Türkei, aber nur weil sie das Gefluche nicht verstehen. (lacht) Aber sie fühlen den Flow, den Style und hören den Beat und dafür braucht man keine sprachliche Kenntnis, denn dies ist universell. Ich muss auch ganz ehrlich sein, dass ich auch froh bin, dass meine Eltern einige Dinge sprachlich nicht greifen können, denn es gibt eine Grenze, die ich nicht überschreiten möchte.
Was wäre, wenn du deine Texte auf Türkisch rappen müsstest?
In Türkisch zu rappen wäre komplett was anderes und dies darf man auch nicht der deutschen Sprache gegenüberstellen. Denn im Türkischen dürftest du nie eine Mutter angreifen, das wäre einer Kriegserklärung gleichgestellt. Dies hat mit der kulturellen Konnotierung zu tun, denn eine Anne (dt. Mutter) ist heilig.
Würdest du behaupten, dass es dann kulturell in der Schweiz erlaubt wäre, eine Mutter zu beleidigen?
Es sind sprachliche Gegebenheit, die das zulassen. Um ein Beispiel zu nennen, im Spanischen ist es ein Satzgefüge und das «hijo de puta» wird einfach beiläufig eingesetzt. Jedes Wort hat in einer anderen Sprache, eine andere Funktion und so ist es mit dem Begriff «Hurensohn». Wenn ich mich an diesem Wort bediene, dann ist es nur um meinem Ärger Raum zu lassen, aber nie wirklich an die Mutter des Adressaten gerichtet.
Wie würdest du das «Türke sein» beschreiben?
Also als erstes muss ich sagen, ich bin aus der Türkei, aber kein Türke. Ich bin ein Zaza. Das ist uns Kindern sehr lange vorenthalten worden, da meine Eltern wegen den Umständen geflüchtet sind und aus dem Affekt der Angst, diese Identität untermalt haben. Irgendwann wird dir bewusst, dass einige Dinge anders sind, zum Beispiel dass eine weitere Sprache, in meinem Fall Zazaki auch gesprochen wird. Ich habe Schwierigkeiten mich mit etwas Bestimmtem zu identifizieren, das ist auf die Geschichte unserer Eltern zurückzuführen. In der Türkei bin ich kein richtiger Türke, weil ich Zaza bin und dazu kommt, dass ich auch noch alevitischer Moslem und in der Schweiz bin – ich habe den Militärdienst absolviert, doch ein Schweizer bin ich trotzdem nicht und werde dann aber der Türkei zugeordnet, obwohl diese uns unterdrückt hat. Deshalb identifizieren sich die Menschen mit Migrationshintergrund, inklusive mir, mit dem Quartier. In meinem Fall ist es das 4057.
«I guess it ain’t where you from, it's where you at.» (Rakim, In the Ghetto).
Was sind deine Lieblingsorte in Basel?
Nicht der Ort ist ausschlaggebend, sondern die Bespieler dieses Ortes. Wenn meine Freunde und Familie anwesend sind, ist der Ort der Begegnung sekundär.
Was wäre Levent als Speise?
Fleisch! 350 Gramm argentinisches Fleisch, dass auf Holzkohle schön medium gegrillt wurde. Wir schwitzen schliesslich auch so oft wie Fleisch und erreichen nur bei optimaler Temperatur den vollen Geschmack und Biss.
Du dürftest drei mal ein Wunschpublikum zusammenstellen, welchen du ein Privatkonzert schenkst.
Zuerst würde ich gerne für Nas rappen, denn seine Meinung zu meinem Flow, Style und Skills würde mich brennend interessieren. Ein Herzenswunsch wäre es für meine ganze Familie ein Privatkonzert zu geben, damit meine ich nicht zehn Nasen, der Raum müsste eine Kapazität für mindestens 400 Personen aufweisen. Das wäre ein schöner Anlass alle Wiederzusehen. Zu guter Letzt würde ich gerne nur für Frauen rappen, denn unsere Konzerte sind sehr männerlastig. Ich durfte oft feststellen, dass die Dynamik oder der Vibe so bald nur eine Frauen anwesend ist ein ganz anderer ist! Es ist deutlich angenehmer, denn Frauen motivieren und bringen die Höchstform aus einem Mann. Das unterliegt der Evolutionstheorie. Auch sind Frauen gegenüber von Männern ehrlicher, deshalb ist ihr Feedback konstruktiver. Oftmals erreichen Männer den konstruktiven Austausch erst um 5 Uhr morgens mit Alkohol intus.
Mit wem würdest du gerne mal die Rolle tauschen?
Mit niemandem. Denn jeder kommt als die Person zur Welt, die er ist und wenn er Veränderung will oder nach was strebt, dann muss er sich dafür auch bemühen und Einsatz zeigen, respektive an sich selbst arbeiten. Alles andere ist ein Wunsch ohne Bereitschaft etwas dafür geben zu müssen.
Wie wär's mal mit
...Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit! – Du hast recht Balu, schmeiss’ alle deine Alltagssorgen über Bord.
Vielen Dank Levent für deine Zeit und das sehr spannende und anregende Gespräch. Wir wünschen euch allen eine gemütliche und sorgenarme Woche.
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von Derya Cukadar
am 24.04.2017
Fotos
© Wie wär's mal mit
© Levent Demir