MIR Compagnie: Im Gespräch mit der Basler Choreografin Béatrice Goetz

Bewegung gehört zum Leben und ist ihr Leben. Wir haben Béatrice Goetz zum Gespräch getroffen und herausgefunden, wie es ist, auf so vielen verschiedenen Bühnen zu tanzen und choreografieren. Was inspiriert die Choreografin und ehemalige Tänzerin? Was treibt Béatrice Goetz an und warum ist sie trotz vielen Erfahrungen im Ausland immer wieder nach Basel zurückgekehrt? Diese und weitere Antworten zu ihrer Person und der MIR Compagnie erhielten wir von ihr im vorübergehenden Proberaum beim Voltaplatz.


Liebe Béa wer bist du?
Ich bin Béatrice Goetz, verheiratet und als Choreografin in Basel unterwegs. In meinem Beruf stehe ich stets mit Personen in Kontakt und setze mich mit der Gegenwart, Kunst und der Bewegung auseinander. Es dreht sich alles um’s Tanzen, doch eigentlich ist die Bewegung und der Tanz nicht nur mein Beruf, sondern seit ich klein bin mein Leben.


Erzähl mir, wie du zum Tanzen gekommen bist.
Seit ich denken kann, habe ich mich für Musik und Tanz interessiert. Der Bewegungsdrang war immer da, doch das Aufwachsen in einer Arbeiterfamilie hat mich anfangs mehr in Richtung Sport getrieben. Während der Zeit im Gymnasium und danach habe ich intensiv Fussball und Basketball gespielt und somit auch einen typischen Sportkörper entwickelt. Die Freude am Tanzen blieb aber stetig, immer wenn Musik lief, habe ich für mich getanzt, zu jeglichem Musikstil. Der Traum auf der Bühne zu stehen und zu tanzen liess mich nie los. Nach der Matura habe ich dann erste Kurse in Modern Dance, Ballett und Jazz Tanz belegt. Durch das Sportstudium konnte ich mir mein Leben und die Tanzausbildung finanzieren. Obwohl zu meiner Zeit viele nach New York oder allgemein nach Amerika gegangen sind, hatte ich bereits damals keine Lust Basel zu verlassen. Ich wollte mir hier mein eigenes Netzwerk aufbauen und mir dafür auch Zeit lassen. Ich hatte ausserdem das Glück, dass in einem Studio in Basel eine Art Ausbildung angeboten wurde. Die war nie offiziell, doch man hatte sechs Stunden Training pro Tag und das bei sehr guten Tänzerinnen und Tänzern. Dank diesem Studio, das Dance Expierence von Marianne Forster, bin ich auch zu meiner Anstellung in einer Compagnie in Köln gekommen. Die Choreografinnen der Maja Lex Tanzgruppe, Koni Hanft und Anke Abraham, hatten nämlich einen starken Bezug zum Dance Expierence. Dort habe ich mehrere Workshops absolviert und war dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich würde für ein Probetraining in Köln angefragt und nach erfolgreichen Absolvieren engagiert. Dann habe ich fünf Jahre für diese Compagnie in Köln getanzt und nach der Rückkehr nach Basel auch noch drei Jahre für das Cathy Sharp Ensemble.


Was hättest du gemacht, wenn du nicht Tänzerin/Choreografin geworden wärst?
Dann hätte ich mich mehr der Musik hingegeben. Das Musizieren ist durch das viele trainieren in den Hintergrund gerückt. Ich hätte mir vorstellen können Sport und Musik zu unterrichten und mich im musikalischen Bereich so weiterzubilden, dass ich Bewegung und Musik auf pädagogischer Ebene so gut wie möglich hätte verbinden können.


Hattest du damals ein Vorbild?
Es war für mich immer schwer ein Vorbild zu finden, weil der Zugang zum Tanzen nicht über das Theater entstanden ist. Ich war mehr auf Personen fokussiert, dich mich gefördert oder mit denen ich getanzt habe. Während meiner Zeit in Köln, war Pina Bausch DIE Choreografin in Deutschland. Sie war und ist für mich heute noch ein sehr gutes Beispiel für choreografisches Können: Emotionen auf die Bühne zu bringen und eine eigene Tanzsprache zu finden, die auf allen Ebenen überzeugt.


Wie kam deine Compagnie, die «MIR Compagnie» zustande?
Ich habe bereits im Köln angefangen zu choreografieren, da dies auch Teil der Arbeit in der Compagnie selbst war. Als ich dann mit 39 Jahren aufgehört habe in der Compagnie zu tanzen, habe ich bemerkt, dass Tanzunterricht geben nicht so mein Ding ist. Ich arbeite lieber im choreografischen, gestalterischen Bereich und vor allem auch enger mit Personen zusammen. Am Theater Basel konnte ich dann Tanz mit Theaterpädagogik verbinden und im Jahr 2001 auch eine erste eigene Produktion mit Breakdancern in der freien Tanzszene auf die Beine stellen. Ab diesem Zeitpunkt war es für mich klar, dass ich eine Compagnie gründen möchte wo der Urbane-, und zeitgenössische Tanz gleichwertig praktiziert wird.


Aus wem besteht die Compagnie momentan?
Zurzeit tanzen Tänzerinnen und Tänzer aus verschiedenen urbanen Stilen, wie Breaking und House, aus dem zeitgenössischen Tanz und aus der Bewegungsrichtung Parkour in der MIR Compagnie.

Wie würde die MIR Compagnie schmecken, wenn man sie essen könnte?
Das ist eine sehr schöne Frage! (lacht) Es ist ein Gemisch aus ganz verschiedenen Gerichten, weil die Compagnie auch aus allen Richtungen kommt: Deutschland, Algerien, Kasachstan, Italien, Spanien und Schweiz. Diese Diversität würde man auch beim Essen schmecken. Es wäre dann zum Beispiel Rösti mit irgendeiner spanischen Wurst, einer italienischen Sauce und einem deutschen Gemüse. Und für mich persönlich müsste es noch Karotten dabeihaben, weil ich die liebe!


Was gibst du jungen Menschen mit, die gerne Tänzerin oder Tänzer werden möchten?
Das Jede und Jeder auf jeden Fall auch weit kommen kann, wenn man eine Ausbildung in der Schweiz absolviert. In den letzten Jahren sind drei professionelle, zeitgenössische Bühnentanzausbildungen in der Schweiz entstanden, die mit Ausbildungen im Ausland verglichen werden können. Der zeitgenössische Bühnentanz braucht viel mehr Präsenz durch neue, junge TänzerInnen. Daher würde ich angehenden Tänzerinnen und Tänzern empfehlen eine Ausbildung in Zürich oder Lausanne zu machen um vor Ort auch direkt Kontakte zu knüpfen. Dabei sollte Jede und Jeder nie vergessen, dass Tanz zum Leben gehört, Lebensqualität ausdrückt. Körperlichkeit hat in vielen anderen Berufen keinen Platz mehr, als Tänzerin oder Tänzer kann man das voll ausleben und vor allem auch weitergeben. Das sehe ich auch als meine Aufgabe: zu vermitteln, dass der Tanzberuf ein vollwertiger Beruf ist. Der Körper darf mehr und mehr wieder ins Zentrum rücken.


Woher holst du dir die Ideen für Choreografien?
Von überall her! Es kann sein, dass ich mir ein Stück ansehe und mich die Form des Gehens der BühnenakteurInnen fasziniert und ich dieses rhythmische Gehen dann in eine Choreografie einbaue. Dann bringen mich meine Leute aus der Compagnie auch immer wieder auf Ideen. Inspiration kann aber auch von Büchern, Bildern, Filmen kommen oder von anderen Kunstschaffenden. Mich interessiert die künstlerische Auseinandersetzung eines Themas sehr, dass man ein Stück aus einem Thema machen kann und sich wirklich vertieft damit auseinandersetzt.

Wie wichtig ist dir dabei Musik, sei es für Produktionen oder während den Proben?
Die Musik ist schon ein wichtiger Bestandteil. Das äussert sich auch darin, dass die Musik in meinen Produktionen von jemandem kommen muss, der oder die auch ein Gefühl für Tanz hat. Ich arbeite oft mit Janiv Oron zusammen, ein DJ der mit seinem Bruder ein DJ-Gespann ist, die « Goldfinger Brothers». Ich mag sehr wie er die Musik für Tanz umsetzt und komponiert. Auch die Musik ist für mich eine wichtige Inspirationsquelle. Ich bin immer auf der Suche nach Musik, die in meinem Kopf Bilder auslösen. Das hatte ich schon immer, wenn ich Musik höre, sehe ich Bewegung.


Wo hast du überall sonst noch deine Finger im Spiel?
Ich bilde Sportlehrerinnen und Sportwissenschaftler an der Uni Basel im Tanz aus. Dann gebe ich einen Jugendclub Performance, mit Florence Ruckstuhl am Theater Basel. Dort arbeiten wir mit vielen, jungen Menschen, die sehr an künstlerischem Ausdruck und Austausch interessiert sind. Ich mache immer wieder Education Projekte, auch mit der Compagnie zusammen.


Würdest du sagen, dass es heute noch möglich ist vom Tanz zu leben?
Ja, es ist heute noch möglich vom Tanz zu leben. Man arbeitet beispielsweise in verschiedenen Projekten, mit verschiedenen Compagnien. Dann gibt es auch die, die unterrichten. Ich zähle mich beim Unterrichten mittlerweile auch dazu. Durch den Job an der Uni Basel, das Arbeiten mit meiner Compagnie und Jugendlichen im Rahmen des Jugendclubs am Theater Basel komme ich mit verschiedensten Personen in Kontakt. Es würde mir wahrscheinlich irgendwie ein bisschen langweilig werden, immer nur mit professionellen BühnenakteurInnen zu arbeiten. Ich mag die verschiedenen Herangehensweisen, die ich anwenden muss, wenn ich mit verschiedenen Personen arbeite.


Wie ist es für dich, mit professionellen Tänzerinnen und Tänzern aber auch mit Laien zu arbeiten?
Den Anspruch, das Potential jeder Gruppe auszuschöpfen, habe ich immer. Egal ob es mit meiner Compagnie, einem Education Projekt oder einem Jugendclub ist. Was ich mit Schulklassen und Kindern oft erlebe, ist natürlich der pädagogische Anteil, der viel Platz einnimmt oder einnehmen muss. Dort ist mir wichtig, dass ich nicht als Choreografin mit Kindern arbeite, im Sinne von - ich muss mich als Choreografin ausleben können -  sondern dort steht für mich im Vordergrund, dass die Kinder den Tanz erleben und mit einem positiven Erlebnis aus dem Projekt rausgehen. Wenn ich mit Laien arbeite, bin ich immer genau so inspiriert wie wenn ich mit Profis arbeite. Da mache ich eigentlich auch keinen Unterschied. Laien haben oft noch ein viel offeneres Verhältnis zu Kunst und können viel offener auch darauf reagieren. Genau das ist für mich eine höchst inspirierende und dankbare Arbeit, die ich unglaublich gerne mache.


Du wurdest 2015 mit dem Schweizerischen Tanzpreis für aktuelles Tanzschaffen 2013/2014 ausgezeichnet. Was bedeutet das für dich?
Das war eine grosse Anerkennung! Ich hatte immer das Gefühl, das unser Stil, also eine Compagnie mit urbanem Tanz als wichtiges Element, rein was die künstlerische Akzeptanz angeht manchmal ein bisschen in Richtung Jugendkultur geschoben wurde. Der Tanzstil ‘HipHop’ ist ein Teil der Jugendkultur, doch mittlerweile sind die «Hip Hopper» aus meiner Jugend auch 50 Jahre alt. Ich habe auch die Begründung der Jury so verstanden, dass sie Respekt vor dem urbanen Tanz haben und es auch akzeptiert wird, wie es auf der Bühne von uns gezeigt wird. Wir sind auch die einzige Compagnie, die das seit 2002 so konsequent durchgezogen hat. Es ist also ein riesen Kompliment für unsere Mühe, unser Schaffen und für uns als Compagnie.


Gibt es deiner Meinung nach Leute die nicht tanzen können?
Jeder Mensch ist eine Tänzerin oder Tänzer, es gibt da keine Grenzen. Das merke ich vor allem auch, wenn ich mit Personen arbeite, die eine körperliche Beeinträchtigung haben. Auch da ist das Tanzen so da, wie bei meinen Proftitänzerinnen- und Tänzern.

Mit wem würdest du gerne tanzen?
Als ich noch aktive Tänzerin in einer Compagnie war, gab es natürlich solche Wünsche. Jetzt wo ich nicht mehr auf der Bühne bin, würde ich am liebsten mit meiner Compagnie auf der Bühne stehen. Wir machen immer wieder Witze darüber, wie das wohl wäre und wie wir das machen würden. Mal schauen, was daraus wird.


Hast du auch mal keine Ideen? Wenn ja, was machst du dann?
Keine Idee habe ich nicht. Aber manchmal bin ich unsicher. Ich spreche mit anderen Leuten, wie zum Beispiel Florence Ruckstuhl. Der Austausch mit anderen Personen bringt mich immer weiter. Im Titel geben tu ich mich jedoch sehr schwer. Einfach weil ich mich nicht entscheiden kann, weil es schwer ist ein Titel, ein Wort, ein Satz zu finden der eine Arbeit beschreibt an der man Monate lang gearbeitet hat.

Wie wärs mal mit...
...ein Kammerorchester zu choreografieren?


Danke an Béatrice Goetz für das spannende Gespräch und die schönen Einblicke in ein Leben gefüllt mit Tanz und Bewegung. 


_
von Julia Hebeisen
am 08.10.2018

Fotos
© Shirin Zaid für Wie wär's mal mit

Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.

Über uns ︎

Menschen
Alltag
Kultur
Schweiz

Impressum

Wie wär’s mal mit
c/o Ana Brankovic
Giessliweg 81
4057 Basel
Schweiz
wiewaersmalmit@gmail.com

Unterstützen ︎

Vereinskonto
CH50 0029 2292 1353 60M1 L