Moving Mountains: Im Gespräch mit dem Tanzkollektiv Helena Kate Amor und Ellen Wolf

Helena Kate Amor und Ellen Wolf leben von Bewegung. Seit einem Jahr sind sie als Movement Designerinnen unterwegs und haben schon auf dem Teufelsberg in Berlin, im Verkehrshaus Luzern mit Robot Koch und am Bauhaus-Festival mit Haut und Haar Performances gezeigt. Welchen Einfluss dabei die Schweizer Berge haben und wie designter Tanz unter die Haut gehen kann, erzählen die Beiden im Interview.


Warum nennt ihr euch Moving Mountains?
Wolf: Bei jedem Projekt, das wir zusammen entwickelt und aufgeführt haben, ging es darum, Berge zu versetzen. Wir stellen uns immer vor, auf dem Berg zu stehen und alles, was wir machen, produziert ein Echo. Ob das im kleinen Rahmen mit drei Leuten oder mit 500 ist. Irgendwie kommt immer etwas an, ob emotional oder physisch, und daraus kann eine Bewegung, ein Movement entstehen.

Amor: Es geht dabei um dieses Bild von diesem starken, im Boden verankerten Berg, der die totale Ruhe ausstrahlt. Und gleichzeitig um die Symbolik, von dem immer sich verändernden Berg, der Natur, die sich konstant verändert, der Erde, die sich immer weiterdreht.


Welchen Einfluss haben die Berge auf euren Tanz?
Wolf: Wir beide sind sehr stark mit unserer Herkunft verwurzelt. Wir sind seit unserer Kindheit von Bergen umzingelt. Und obwohl wir beide bereits für längere Zeit im Ausland waren, verspüren wir immer wieder den Drang nach diesem Ort und kehren zurück. Die Schweiz ist kein Mekka für Tanz-Kunstschaffende. Die Berge beeinflussen uns so sehr, dass wir glauben, dass hier viel Potential für kreative Ideen ist. Wir wollen Bewusstsein dafür schaffen.

Die Schweiz bietet also keinen Raum für künstlerisches Schaffen?
Amor: So würde ich das nicht bezeichnen. Wir finden dort unsere absolute Ruhe. Uns gibt es unglaublich viel Kraft, zu wissen, dass wir jederzeit dort hingehen können. Sei es, um ein Projekt zu realisieren, einfach tanzen oder den Berg einfach zu erklimmen. Es ist eine Quelle der Beruhigung, die in uns aber gleichzeitig immer eine Wucht auslöst. 


Warum habt ihr die Schweiz  verlassen?
Wolf: Wir glauben daran, dass es in der Schweiz möglich ist, das zu verwirklichen, was wir im Kopf haben. Nur glauben wir auch, dass wir es erst aus der Schweiz, der Quelle sozusagen, heraustragen müssen, um dann mit neuen Erfahrungen die Kreativität in die Schweiz zurückbringen.

Das Echo hat euch nach Berlin geführt. Warum Berlin?
Amor: Wir waren jetzt aufgrund unseres Abschlusses gleichwohl noch nicht so oft in Berlin, obwohl wir seit März hier wohnen. Die Stadt bietet uns mehr künstlerische Freiheit, die eben in der Schweiz noch nicht so vorhanden ist, wie wir es uns wünschen. Wir wollen diese Energie hier einfangen, in eigenen Projekten umsetzen und dann mit in die Schweiz bringen.


Ihr habt einen völlig unterschiedlichen Zugang zum Tanz genossen. Ellen Wolf, Du hast dir das Tanzen in den Londoner Tanzstudios sozusagen selber beigebracht.
Wolf: Ich habe in jungen Jahren, in meiner Heimatstadt Chur mit dem Tanzen begonnen. Dort hatte ich das Glück in einer Tanzschule zu sein, die sich stets bemühte, gute Tanztrainer*innen von Zürich nach Graubünden zu holen. Die Leiterin dieser Schule sorgte dafür, dass ich auf diesem Weg während Jahren eine Art Tanzausbildung absolvieren konnte. Die daraus entstandene Tanzcrew «frysis» ermöglichte mir Erfahrungen in Hip Hop Competitions, an denen man sein Können messen konnte. Dann bin ich mit 19 Jahren nach London gezogen.

Von der ruhigen Berggegend ins Gewusel?
Wolf: Ja. Ich war mir immer unsicher, ob ich es professionell machen will, oder es als Hobby belassen soll. An Tanzschulen wird man oft in eine Richtung gedrängt und nur ein Tanzstil wird richtig vermittelt. In der Schweiz gibt es nur den «professionellen Weg» über eine Tanzschule. In London sah ich die Möglichkeit, meine Fühler auszustrecken und alles aufzusaugen, was mir entgegenkommt. Genau das passierte auch. Ich habe Contemporary, Hip-Hop, Jazz, Fusion, Experimental getanzt. Am Ende habe ich sogar meinen ersten grossen Job bekommen, als Tänzerin in einem Musical.


Sind die Anderen dann neidisch?
Wolf: Es ist nicht so wie in der Modelszene, wo es um deinen Körper geht und nicht mehr und nicht weniger. In der Tanzszene geht es um deine Skills. Es geht darum, deine Persönlichkeit mit deinen Bewegungen auszudrücken. Du hast einen Vorsprung gegenüber anderen, wenn du «Du» bist. Ich habe es mehr als Training gesehen und Motivation, mich selber und meinen Style zu finden. Dazu kommt noch, dass all die Menschen um mich herum dort so inspirierend waren, dass es für mich als junge Frau, deren grösste Leidenschaft das Tanzen ist, ein Traum war in dieser vibrierenden Tanzszene von London Erfahrungen zu sammeln. 

Kommt daher deine Disziplin?

Wolf: Mich haben diese Leute dort einfach angespornt. Ich habe mich dort während drei Jahren mit wenig Geld herumgeschlagen und alles was mit Tanz zu tun hatte und mir über den Weg gelaufen ist, aufgesaugt. Selbstdisziplin und Selbstbewusstsein ist daraus sicher entstanden, weil ich in London gelernt habe, dass es sich lohnt, durchzubeissen und hart zu trainieren. 


Amor: Mit vier Jahren habe ich mit Ballett begonnen. Seit dann wurde ich bei verschiedenen Vortanzen anhand von Noten beurteilt. Ich war schon immer eine Perfektionistin und habe darum immer versucht, Fortschritte zu machen. Diese traditionelle Tanzform bedingt Disziplin, in Form von vielen Trainings. Ich habe mich irgendwann davon loslösen können und diese Disziplin in alle möglichen Tanzstile wie House oder Hip-Hop übertragen.

Ellen, warum wolltest du nicht in London bleiben?
Wolf: Nach drei Jahren, in denen ich mich komplett auf meinen Körper konzentriert und diesen Künstler-Lifestyle voll ausgelebt hatte, bekam ich das Bedürfnis. mich auch akademisch weiterzubilden. Während des Musical-Projekts konnte ich erstmals hinter die Kulissen einer grossen Produktion schauen und dachte mir oft, dass ich gewisse Dinge anders machen würde. So bin irgendwie durch Recherche dann bei dem Design-Management-Studium in Luzern gelandet.

Designmanagement – Was ist das?
Amor: Wir wurden darin ausgebildet, Designprozesse zu managen. Wir als Personen stellen den Schnittpunkt zwischen Design und Management dar und verstehen beide Welten. Es geht darum ein Designkonzept richtig zu kommunizieren und es allen beteiligten Parteien zu ermöglichen, ihre Ziele zu erreichen.


Klingt sehr nach Business. Seid ihr jetzt Tänzerinnen oder Designerinnen?
Wolf: Spätestens beim Erstellen einer Businesskarte haben wir uns diese Frage auch gestellt. Wie bereits erwähnt, habe ich schon in London nicht genau definieren können und wollen, was ich kann und will. Denn bereits damals habe ich bemerkt, dass ich nicht nur tänzerische Fähigkeiten beherrsche. Mit dem Design-Management-Studium wurde dies bestätigt. Uns war wichtig, den Design- und Tanzaspekt in einer Berufsbezeichnung zusammenzuführen. Movement steht für den Tanz, den ständigen Drang und Wunsch nach Bewegung und Design, für unseren akademischen Hintergrund und unser Wissen, was Designabläufe betrifft.


Ihr designt also eure Bewegungen?
Amor: Wir haben durch unser Studium gelernt, dass man nicht mit der erstbesten Idee zufrieden sein soll. Uns wurde beigebracht, jede Lücke doppelt zu kontrollieren und jede mögliche Variante auszuprobieren. Das ist eine Denkweise, die wir vollkommen in unser Schaffen mit Tanz übernommen haben.

Wolf: Wir haben eigentlich während des Studiums immer einen Designprozess durchlaufen, der verschiedenste Prinzipien beinhaltet hat. «Design thinking» oder «human centered» sind beides Begriffe, die bei jedem Projekt zur Sprache gekommen sind. Es geht darum, nicht mehr von einem Produkt, sondern vom Menschen und deren Bedürfnissen auszugehen und darauf aufzubauen. Genau das versuchen wir mit unseren Performances.


Das hört sich sehr theoretisch an. Wie sieht das aus?
Amor: Ich denke, wir schauen uns zuerst immer an, wer alles involviert ist. Von den Tänzer*innen, über das Publikum, bis hin zu den Musiker*innen. Jede Person soll ihre Rolle bekommen, oder?

Wolf: Ja, sagen wir so, wären wir «nur» zwei Tänzerinnen, würden wir den Auftrag, den wir bekommen, einfach ausführen. Wir sind aber Designmanagerinnen und Tänzerinnen und wissen genau, was unsere Fähigkeiten in beiden Rollen sind. Wenn wir also einen Auftrag bekommen, schauen wir, welche Kundengruppe angesprochen werden soll, wir übernehmen die Kommunikation zwischen den beteiligten Personen, organisieren mehr Tänzerinnen, wenn nötig und choreografieren unsere Performance. Wie bei jedem Designkonzept geht es uns darum, dass jede mitwirkende Person seine Vorteile aus dem Projekt herausholen kann und niemand schlechter wegkommt als der andere.


Obwohl ihr erst am Anfang eurer Karriere steht, seid ihr sehr businessorientiert und gleichzeitig spürt man diesen Drang nach Bewegung, nach etwas nach Aussen tragen wollen. Ist das eine neue Form des Künstlerdaseins, immer das Business im Hinterkopf zu haben?
Wolf: Ich glaube in meinem Kopf hat es gerade klick gemacht (lacht). Als ich von London zurückkam, habe ich mir immer gesagt, dass alles, was ich in dieser Stadt gesehen habe, so inspirierend war. Ich habe so viele unglaublich gute Tänzerinnen und Tänzer gesehen. Leider wissen aber viele gute Kunstschaffende nicht, wie sie sich vermarkten müssen und können. Es gibt nicht viele Anlaufstellen, die solche Menschen unterstützen. Wir wissen was solche Leute brauchen, was für eine Plattform es braucht, weil wir selber schon oft in dieser Situation waren oder immer noch sind. Ich wollte immer am liebsten für alle diese Leute eine Plattform bieten und darum denke ich, braucht es uns, weil wir nicht nur an uns, sondern auch an all die Anderen denken.


Amor: Uns macht diesen «human centered approach» aus. Wir wollen Menschen, die zuschauen oder involviert sind, dazu bringen, dass sie etwas für sich mitnehmen können. Wir wollen einzigartige Erfahrungen generieren. Für die Personen, die mitwirken und für die Menschen, die zuschauen. Es soll keine Entertainment-Show sein, sondern etwas soll bleiben. Eine Art nachhaltige Erinnerung.

Könnt ihr von eurer Kunst leben?
Wolf: Nein, weil wir bis jetzt aufgrund der Endphase unseres Studiums keine Zeit hatten, genügend Projekte zu starten. Für mich ist die Situation nicht neu, weil ich in London bereits immer gearbeitet und gleichzeitig mich nach Projekten umgesehen habe.

Amor: Es ist ja eine gewisse Nachfrage vorhanden, darum glauben wir, dass wir sicher bald davon leben können.

Wie wär’s mal mit..?
…Gemütlichkeit?



Vielen Dank an Ellen und Helena für das inspirierende Gespräch und die Offenheit, uns einen Einblick in ihr Schaffen, Denken und Fühlen zu geben.


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von Julia Hebeisen
am 19.08.2019

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© Shirin Zaid für Wie wär's mal mit

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