NCCFN: Im Gespräch mit Modedesignerin Nina Jaun

Sind wir heute nicht alle ein bisschen global und unglobal zugleich? Wir sprachen mit Modedesignerin Nina Jaun über Konsum, NCCFN, Produktion, Material und Umgebung und darüber, wie Menschen aufeinander zugehen, um miteinander Dinge zu erleben.


Liebe Nina, wer seid ihr und was macht ihr?
Wir sind Menschen, die trotz der Erziehungsversuche des Staates, zu sich finden: Zeit finden, Energie finden, Prioritäten setzen, um auszuprobieren, zu erfinden und weiterzugehen. Wir sind Menschen, die mit dem Herz kapieren, wovon es mehr braucht und wovon wir mehr als genug haben. Menschen, die aufeinander zugehen, um miteinander die Dinge zu leben, die der Mensch alleine nicht erleben kann. Wir kommunizieren über unsere Skills und diese sind so unterschiedlich, wie die Leute, die sie beherrschen. Wie und wer wir sind, spiegelt sich in unserer Arbeit wieder. Global arbeiten, mit dem was uns umgibt. Echte Notwendigkeit oder echter Überfluss verleiten uns dazu. Es geht um Beziehungen: Die Bezie
hung von Menschen, die Beziehung zum Material. Oder die Beziehung vom Material zum Menschen. Wer bist du? Und was für eine Beziehung führst Du zu deiner Umgebung? Das sind die wichtige Fragen. Oder schau nach auf unserer Webseite niccefn.com oder auf Instagram @NCCFN.

Wer steckt alles hinter NCCFN?
Wir.


Wie habt ihr euch gefunden?
Manchmal zufällig, manchmal war es «Destiny». Schlussendlich sind es unsere Mütter, die sich schon vor langer Zeit gefunden haben.

Habt ihr schon vor dieser Kollektion zusammen Projekte realisiert?
Eigentlich machen wir keine «Projekte». Sondern tun und sind «Nic-ce-est». Wir lassen uns nicht aufteilen in Arbeit oder Freizeit, professionell oder Hobby, öffentlich oder privat. Wir lieben, was wir tun und wir tun dies höchst (un-)professionell.


Gerade hat eines eurer Mitglieder ihr Modedesign Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel abgeschlossen. Dort wurde auch eure Kollektion an der Graduate Show gezeigt – wie war das für euch?
Einige von uns fanden sich in einer ungewohnten Umgebung wieder. Also interessant.


Das letzte halbe Jahr habt ihr auf diesen Moment hingearbeitet. Was bleibt euch von den Monaten vor der Abschlusspräsentation in Erinnerung?
Gemeinsam produzieren, was immer es sei, schafft intensivere Beziehungen, als das gemeinsame konsumieren. «You consume more more more, we produce Amore».


Das Konzept eurer Kollektion fasst viele Themen zusammen. Könnt ihr das in einem Satz formulieren?
Nein, das können wir wirklich nicht.

Wie Beuys sagte, dass wir alle Künstler sind, sagt ihr «Wir sind alle Dealer.» – was meint ihr damit?
«Dealen» hat eine umfangreiche Bedeutung. Im deutschsprachigen Raum wird es mit dem Handeln von Drogen in Verbindung gesetzt. Im Englischen ist der Ausdruck vielfältiger anwendbar. Darauf spielen wir an. Ein Geschäft, ein Handel, ein Geben und Nehmen von Material und Produkten bis hin zu jeder Dienstleistung. Aber auch, was du selbst als Person zu bieten hast. Whats your deal? Staat und Gesellschaft legalisiert und kriminalisiert Dinge. Unser Tun. Wir relativieren dies und legitimieren uns selber. Hanf- und Baumwollblüten: Beides sind wunderbare Dinge. Dabei kommt es doch eher auf die Anwendung an. Es ist fragwürdig, wenn das eine legal ist und dabei die ganze Welt versklavt, das andere höchst kriminalisiert wird und dafür seine unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten auf der Strecke bleiben. Es geht uns dabei aber nicht um die Legalisierung von Cannabis, die wahrscheinlich auch in der Schweiz bald der Fall sein wird. Nicht wir, sondern Staatskasse, Pharma- und andere Konzerne werden davon profitieren. Dieser Vergleich zeigt lediglich die Relativität.


Legaliseren, Legitimieren, Normalisieren. Nur weil der Staat diese Pflanzen als Produkte betitelt, sie auf dem Markt zulässt und legalisiert, heisst das nicht, dass der Handel damit und die Produktion einfach legitimiert werden. Wer auf das Urteil von einem «Staat» hören muss, was richtig oder falsch sein soll, wird halt Alkoholiker. Kannst du als Person illegal sein? Kann eine Pflanze illegal sein? Oder kann unser Umgang damit legal sein? Es liegt in eurer Hand: was würdet ihr legalisieren und was sollte illegal sein? «Legitimize yourself». Wir alle haben die Fähigkeit und die Freiheit selbst zu entscheiden. Wissen kannst du dir aneignen und Intuition trägst du in dir. Eigentlich ist jeder fähig zu erkennen, was gut für die Welt ist. Nimm dir etwas me-time, nimm dir etwas we-time. Nimm dir etwas she-time und etwas he-time und dann gibt es auch noch they-time.


Ist NCCFN ein soziales Projekt?
NCCFN ist kein Projekt. Und nein, was bedeutet denn «sozial»? Asozial würde bedeuten, nicht in einer Gesellschaft/Gemeinschaft lebend zu sein/leben zu wollen? Was unter asozialem Verhalten verstanden wird, gehört zum «Leben miteinander» genauso dazu. Deshalb sind wir wohl lieber asozial, als uns mit dem Wort «sozial» schmücken zu wollen. Oder vielleicht bezeichnen wir uns ab jetzt als NGO, die Mode macht. Bezeichnungen wie «sozial» oder «nachhaltig» haben schon längst ihre Bedeutung verloren. Diese Wörter werden zu oft missbraucht. Somit fällt es uns schwer diese Sprache zu sprechen. Damit wir nicht missverstanden werden, kommunizieren wir eben auf andere Weise. Mit dem, was wir tun. Ziemlich unmodern, dass reden immer noch Macht bedeutet. Für uns ist machen Macht.


Ihr habt Restposten von Kleiderproduzenten als Basis für eure Kollektion verwendet. Wie hat das euren Designprozess beeinflusst?
Wir nennen die Marken nicht, die uns ihre Produkte-Materialien oder ihren Abfall «gesponsert» haben. Dies ist ziemlich langweilig und irrelevant. Unseren Designprozess machen wir abhängig von unserer Umgebung. Nicht umgekehrt, wie es oft gelehrt wird. Denn alles Bestehende bietet Fläche, als Rohmaterial genutzt zu werden. Wir eignen uns an, was uns gefällt und was uns nicht gefällt, machen wir zu dem, was uns gefällt. Der ganze Designprozess fließt umgekehrt: stop and flow. Ist ziemlich bis sehr interessant und auch relevant. Und interessant und relevant ist, was es jetzt ist.


Unverkauftes und Liegengebliebenes als Grundmaterial zu verwenden ist ja eigentlich ein klares Statement gegen Fast Fashion. Was sollte sich eurer Meinung nach in der Modebranche ändern?
Mode – Branche. Dass Mode nicht als Branche betrachtet wird, das sollte sich ändern. Wenn wir Mode machen, machen wir es weil wir frei sind. Frei in unseren, selbst für uns gezogenen Grenzen und frei diese zu durchdringen, wie Luft. Es geht eben nicht um die Modebranche. Es geht um uns Menschen auf dieser Welt. Ob Produzent oder Konsument, heute sind wir ja alle ein bitzeli beides oder? Es geht darum, dass wir Material aus aller Welt konsumieren und produzieren und darum, dass wir Menschen aus all dieser Welt, uns die Freiheit nicht gewähren so «global» wie unser Material zu sein. Selbstzerstörender Kreislauf. Wir sind jetzt ultra-extrem und radikal unglobal. Produkte sind global. Was aktuell passiert, genau hier und jetzt ist höchstkriminell und du bist nicht nur ein bitzeli, sondern sehr viel krimineller als du wohl weisst. Du bist kriminell, wenn du bei H&M einkaufst. Du bist auch kriminell, wenn du einmal in der Schule über die unmenschliche Geschichte des 2. Weltkrieges gelernt hast und heute Blick am Abend liest. Du bist kriminell, wenn du es zulässt, dass Gefängnisse neben dir gebaut werden für Menschen, die notwendigerweise global sind. Und du bist kriminell, wenn du unnotwendigerweise global bist.


Wie geht's weiter – was habt ihr noch für Pläne?
Pläne zu planen und an das Universum zu glauben, daraus entsteht dann Utopia.

Wo kriegt man eure Pullover und Dessous?
Momentan direkt von uns – über uns. Oder vielleicht irgendwo auf der Strasse.



Was sind eure Tipps für zukünftige Modedesign StudentInnen?
No tips. No generalized tips. Arbeite mit deiner Umgebung, das ist auch der Shit in New York jetzt.


Basel oder Bern?
Wir arbeiten, wo wir sind. Und wir sind, wo wir arbeiten.

Wie wär's mal mit...
...Constructive deconstructivism & collective individualism: east or west nccfn is best. Und wie wärs mal mit Fragen, die heute relevant sind.


Vielen Dank an Nina, die uns spannende Einblicke in ihr Atelier, ihr Schaffen und NCCFN gab.


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von Una Lupo
am 12.11.2018

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© Una Lupo für Wie wär's mal mit

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