Nicolas Streichenberg: Im Gespräch mit dem Musiker
Nicolas Streichenberg ist in seiner von Kopf bis Fuss kuratierten Erscheinung bereits eine charismatische Persönlichkeit. Noch mehr Welten öffnen sich, hört man ihn auf dem Klavier spielen, immer improvisiert, immer überraschend, immer ein wenig anders. Was ihn inspiriert und wie er zur Musik kam, erzählt er uns in einem Gespräch.
Lieber Nicolas, wer bist du und was treibt dich im Leben an?
Um es wie ein gewisser Shawn C. Carter zu sagen: Ich bin ein grossgewachsener Mann, der aus den Vororten von Baden stammt. Aufgewachsen bin ich an einem ruhigen Ort, wo ich das Künstlersein nicht wirklich lernen konnte. Ich musste raus und wollte dies schon immer. Ende meiner Teenagerzeit bis Ende meiner 20er schloss ich mich einer Rockband an und lebte das wilde Leben. Nun bin ich zu meiner Source zurückgekehrt und habe versucht, mir die Essenzen anzueignen, die sich in der Solo Piano-Platte, die ich eben veröffentlicht habe, rauszukitzeln und hervorzuheben. Ein neuer Beginn und eine Transgression in eine dritte Ära meines Seins als Musiker wie auch privat. Mit Macken kennen sich meine Freund*innen aus. Ich selbst bin zu reflektiert, dass ich mein anderes Ich noch wahrnehme.
Wie kamst du zur Musik?
Es gibt Babyfotos von mir in den Armen meines Grossvaters (Cellist) und so hörte ich wohl zum ersten Mal nebst Babybrei ein akustisches Klavier in meinen Ohren. Als Musiker in meinem zärtlichen Alter gibt’s diesen Moment nicht mehr. Es ist vielmehr eine weiterentwickelnde Spannweite, in der man sich immer wieder erfinden muss. Das erste Mal auf der Bühne stand ich mit sechs Jahren. Das letzte Mal an meiner Solo-Piano-Plattentaufe in Zürich vergangenen Samstag.
«Yes it’s Ananias», so hast du dein Album benannt. Weshalb?
(Drückt den Buzzer) Nöög. Falsch. Der Titel meines neuen Albums beweist sich in Form eines neuen Abschnitts: «Yes it’s Ananias III: The Commencement of the third era». Der vollständige Titel heisst so. Mit Künstlernamen im Titel. Ich möchte die Menschen mitnehmen und teilhaben lassen an den verschiedenen Lebens- und Entwicklungsabschnitten meiner Performancekunst.
Wie würdest du deine Musik in drei treffenden Worten beschreiben?
Muse. Sie. Seek. Das vierte wäre Psychoautomatismus, aber das darf ich ja jetzt nicht mehr erwähnen. Habe kein Kontingent mehr auf deine Frage.
Was ist das Besondere an deiner Tech
Objektivität ist für mich als der, der mittendrin im Verschwinden ist, live und auf der Bühne, schwierig. Ich lebe mein Leben, so wie ich es tue, und man erfährt teilweise live Bilder und hört Geschichten, ohne, dass ich mich überhaupt dagegen wehren könnte, in den Melodien und Improvisationen. Das Leben, dass ich lebe, lebt hoffentlich niemand. Ausser wir hängen noch weitere 15 Jahre auf Social-Media-Kanälen rum und wir werden Tag für Tag nondividueller. Richtig gelesen. Man muss schon Wörter erfinden, um anders zu sein. Man kann sich nicht mehr da draussen bedienen. Es gibt schon alles, aber wer eine neue Sauce dazu gibt, erweitert das Gericht. Mein Klavierspiel ist die Sauce, die du bestimmt noch nie probiert hast. Dein Alltag und deine Lebenssituation hängen davon ab, ob sie dazu passen. Alles im Moment entstehen lassen ist für mich A und O. Und Y.
Welche Projekte oder Zusammenarbeiten fanden bereits statt? Was sind persönliche Highlights? Und was planst du sonst noch in Zukunft?
Für die dritte Platte bin ich mit Tim Woodtli gesegnet worden. Er machte spontan die Fotodokumentation des letzten Studiotags und ich durfte auch improvisieren die Fotographien verwenden für das Artwork. Vor knapp zehn Jahren hat mich eine Badener Grafikerin und Künstlerin dazu bewogen, ein Logo bei ihr zu bestellen. Nach zehn Jahren Verwendung definierten wir meine neue Ära anhand des neuen Looks. Mit diversen Künstler*innen zu arbeiten ist für mich notwendig, um eine minimalistische Objektivität zu generieren und mich leiten zu lassen. Meine Musik muss als Gesamtkonzept daher kommen. Sonst habe ich nicht die Möglichkeit, der Musik gerecht zu werden, die für mich so viele Ebenen öffnet und mich weiterhin inspiriert für Artwork, Filmarbeiten und Graphic Designs allgemein. Poesie, als Beispiel, kam mit dieser Platte neu dazu. Eine Kunst-Achterbahn!
Wenn du etwas vom Himmel regnen lassen könntest, was wäre das?
Rolltreppen, um wie Tom dahin zurück zu gehen, woher wir kommen. Amen.
Wo in Zürich verbringst du am liebsten Zeit, wenn du gerade nicht Musik machst?
In Zürich verbringe ich nicht zwingend gerne Zeit. Und Musik mach ich eigentlich überall. Sei es im Zug mit Pöpperle oder zuhause am Abproggen mit meinen Lieblings 70’s Platten. Und am Klavier natürlich! Ich empfehle den Hutladen der Risa an der Hardbrücke. Da arbeitet jemand, der immer Kaffee ausgibt. Lächeln tut er auch meistens.
Wovon braucht die Schweiz mehr, wovon weniger?
Die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn sie nicht so viel hätte. Also mehr braucht sie nicht. Die Frage ist, wo kann man weniger zulassen? Die Schweiz macht immer auf dicke Hose, aber gross Denken können und wollen, aus Gewohnheit, die Wenigsten.
Wenn deine Musik essbar wäre, was wäre es? Sie wäre salzig und zirka 0.05 x 0.05 cm quadratisch, praktisch, trip.
Wie wär’s mal mit...
...nicht so tun, als ob man etwas ist, sondern akzeptieren, dass man es schon war und nun sein kann.
Vielen Dank Nicolas! Auf viele weitere, schöne Momente und musikalische Reisen, auf die du uns mitnimmst.
_
von Ana Brankovic
am 07.02.2022
Fotos
© T.W. für Wie wär's mal mit
Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.
Nicolas Streichenberg ist in seiner von Kopf bis Fuss kuratierten Erscheinung bereits eine charismatische Persönlichkeit. Noch mehr Welten öffnen sich, hört man ihn auf dem Klavier spielen, immer improvisiert, immer überraschend, immer ein wenig anders. Was ihn inspiriert und wie er zur Musik kam, erzählt er uns in einem Gespräch.
Lieber Nicolas, wer bist du und was treibt dich im Leben an?
Um es wie ein gewisser Shawn C. Carter zu sagen: Ich bin ein grossgewachsener Mann, der aus den Vororten von Baden stammt. Aufgewachsen bin ich an einem ruhigen Ort, wo ich das Künstlersein nicht wirklich lernen konnte. Ich musste raus und wollte dies schon immer. Ende meiner Teenagerzeit bis Ende meiner 20er schloss ich mich einer Rockband an und lebte das wilde Leben. Nun bin ich zu meiner Source zurückgekehrt und habe versucht, mir die Essenzen anzueignen, die sich in der Solo Piano-Platte, die ich eben veröffentlicht habe, rauszukitzeln und hervorzuheben. Ein neuer Beginn und eine Transgression in eine dritte Ära meines Seins als Musiker wie auch privat. Mit Macken kennen sich meine Freund*innen aus. Ich selbst bin zu reflektiert, dass ich mein anderes Ich noch wahrnehme.
Wie kamst du zur Musik?
Es gibt Babyfotos von mir in den Armen meines Grossvaters (Cellist) und so hörte ich wohl zum ersten Mal nebst Babybrei ein akustisches Klavier in meinen Ohren. Als Musiker in meinem zärtlichen Alter gibt’s diesen Moment nicht mehr. Es ist vielmehr eine weiterentwickelnde Spannweite, in der man sich immer wieder erfinden muss. Das erste Mal auf der Bühne stand ich mit sechs Jahren. Das letzte Mal an meiner Solo-Piano-Plattentaufe in Zürich vergangenen Samstag.
«Yes it’s Ananias», so hast du dein Album benannt. Weshalb?
(Drückt den Buzzer) Nöög. Falsch. Der Titel meines neuen Albums beweist sich in Form eines neuen Abschnitts: «Yes it’s Ananias III: The Commencement of the third era». Der vollständige Titel heisst so. Mit Künstlernamen im Titel. Ich möchte die Menschen mitnehmen und teilhaben lassen an den verschiedenen Lebens- und Entwicklungsabschnitten meiner Performancekunst.
Wie würdest du deine Musik in drei treffenden Worten beschreiben?
Muse. Sie. Seek. Das vierte wäre Psychoautomatismus, aber das darf ich ja jetzt nicht mehr erwähnen. Habe kein Kontingent mehr auf deine Frage.
Was ist das Besondere an deiner Tech
Objektivität ist für mich als der, der mittendrin im Verschwinden ist, live und auf der Bühne, schwierig. Ich lebe mein Leben, so wie ich es tue, und man erfährt teilweise live Bilder und hört Geschichten, ohne, dass ich mich überhaupt dagegen wehren könnte, in den Melodien und Improvisationen. Das Leben, dass ich lebe, lebt hoffentlich niemand. Ausser wir hängen noch weitere 15 Jahre auf Social-Media-Kanälen rum und wir werden Tag für Tag nondividueller. Richtig gelesen. Man muss schon Wörter erfinden, um anders zu sein. Man kann sich nicht mehr da draussen bedienen. Es gibt schon alles, aber wer eine neue Sauce dazu gibt, erweitert das Gericht. Mein Klavierspiel ist die Sauce, die du bestimmt noch nie probiert hast. Dein Alltag und deine Lebenssituation hängen davon ab, ob sie dazu passen. Alles im Moment entstehen lassen ist für mich A und O. Und Y.
Welche Projekte oder Zusammenarbeiten fanden bereits statt? Was sind persönliche Highlights? Und was planst du sonst noch in Zukunft?
Für die dritte Platte bin ich mit Tim Woodtli gesegnet worden. Er machte spontan die Fotodokumentation des letzten Studiotags und ich durfte auch improvisieren die Fotographien verwenden für das Artwork. Vor knapp zehn Jahren hat mich eine Badener Grafikerin und Künstlerin dazu bewogen, ein Logo bei ihr zu bestellen. Nach zehn Jahren Verwendung definierten wir meine neue Ära anhand des neuen Looks. Mit diversen Künstler*innen zu arbeiten ist für mich notwendig, um eine minimalistische Objektivität zu generieren und mich leiten zu lassen. Meine Musik muss als Gesamtkonzept daher kommen. Sonst habe ich nicht die Möglichkeit, der Musik gerecht zu werden, die für mich so viele Ebenen öffnet und mich weiterhin inspiriert für Artwork, Filmarbeiten und Graphic Designs allgemein. Poesie, als Beispiel, kam mit dieser Platte neu dazu. Eine Kunst-Achterbahn!
Wenn du etwas vom Himmel regnen lassen könntest, was wäre das?
Rolltreppen, um wie Tom dahin zurück zu gehen, woher wir kommen. Amen.
Wo in Zürich verbringst du am liebsten Zeit, wenn du gerade nicht Musik machst?
In Zürich verbringe ich nicht zwingend gerne Zeit. Und Musik mach ich eigentlich überall. Sei es im Zug mit Pöpperle oder zuhause am Abproggen mit meinen Lieblings 70’s Platten. Und am Klavier natürlich! Ich empfehle den Hutladen der Risa an der Hardbrücke. Da arbeitet jemand, der immer Kaffee ausgibt. Lächeln tut er auch meistens.
Wovon braucht die Schweiz mehr, wovon weniger?
Die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn sie nicht so viel hätte. Also mehr braucht sie nicht. Die Frage ist, wo kann man weniger zulassen? Die Schweiz macht immer auf dicke Hose, aber gross Denken können und wollen, aus Gewohnheit, die Wenigsten.
Wenn deine Musik essbar wäre, was wäre es? Sie wäre salzig und zirka 0.05 x 0.05 cm quadratisch, praktisch, trip.
Wie wär’s mal mit...
...nicht so tun, als ob man etwas ist, sondern akzeptieren, dass man es schon war und nun sein kann.
Vielen Dank Nicolas! Auf viele weitere, schöne Momente und musikalische Reisen, auf die du uns mitnimmst.
_
von Ana Brankovic
am 07.02.2022
Fotos
© T.W. für Wie wär's mal mit
Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.