«Planet 13» Basel: Im Gespräch mit Avji Sirmoglu, Christoph Ditzler und Valentina Herzig
Hilfe zur Selbsthilfe ist das Motto des Internetcafés und Bildungszentrums «Planet 13» in Basel, welches von und für armutsbetroffene Menschen aufgebaut worden ist. Im Gespräch mit Wie wär’s mal mit erzählt die Geschäftsleitung, bestehend aus Avji Sirmoglu, Christoph Ditzler und Valentina Herzig, von ihrem Engagement.
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Hallo Avji, Christoph und Valentina, wer seid ihr und was macht ihr hier?
Avji: Christoph und ich gehören zu den Menschen, die das hier vor 18 Jahren mitgegründet haben. Ich bin zuständig für das Bildungsangebot. Bildung sollte für alle zugänglich sein, das liegt uns sehr am Herzen. Auch für Leute von sozial benachteiligten Familien, die nie wirklich eine Chance für eine gute Ausbildung hatten und schnell ins Berufsleben reingerutscht sind. Eine offene Universität ist ein Ideal für uns, deshalb haben wir hier die «uni von unten» mit einem Bildungsangebot gegründet. Leute von «unten», die in einem Thema sattelfest sind und das belegen können, sowie Personen, welche in der Gesellschaft bekannt sind und zu sozialen Themen forschen, werden von uns eingeladen, zu referieren. Ausserdem mache ich auch die Medienarbeit. Christoph hat die Projektleitung zugeschoben bekommen, weil damals alle sagten, dass er gut verhandeln könne. Er ist Händler von Beruf.
Christoph: Ja genau, alle haben gesagt: «Du kannst gut verhandeln, du kannst auch laut sein und auf den Tisch hauen.» Die meisten trauen sich nicht, man ist auch ständig von etwas abhängig. Vielen ist gar nicht so bewusst, dass sie eigentlich eine viel grössere Macht hätten. Das war aber für mich immer ein Bewusstsein. Ich bin damals arbeitslos geworden, weil ich mit meiner Arbeit als Marktverkäufer vom Staat durch die vielen Vorschriften schikaniert worden bin. Dann bin ich zur Sozialhilfe gekommen, weil meine Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt nichts zählte. Ich finde es sehr entwürdigend, wie man heute mit Menschen umgeht. Avji ist dann zu diesem Zeitpunkt mal zu mir gekommen und hat gesagt, sie brauche einen Computer. Ich und Sven, ein anderer Mitbegründer, hatten noch drei alte Schrott Computer, die wir dann zusammengebaut haben und in dieser Zeit ist dann dieses Thema aufgekommen. Dass es ja nicht nur um Avji geht, sondern um ganz viele andere, die keinen Zugang zu einem Computer und dem damit verbundenen Wissen haben, und damit keine Chance haben, überhaupt eine Stelle zu suchen. So ist bei uns der Traum eines Internetcafés entstanden, in das einfach alle Menschen rein können und es absolut keine Rolle spielt, wer du bist und was du machst. Jetzt bin ich für Datenschutz, Recycling und Computerkurse zuständig.
Valentina: Ich habe erst im September hier angefangen. Ich habe mich beworben, weil ich den Ort schon kannte und wusste: Das ist ein besonderer Ort. Meine Aufgabe ist es, Avji und Christoph bei der vielen Arbeit zu unterstützen und ich übernehme sehr Unterschiedliches. Ich werde immer mehr Verantwortung für alles mittragen. Vor allem die Kommunikation im Team, mit den Gästen, mit Behörden und Ämtern sowie Administratives.
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Wer war diese Gruppe, die den «Planet 13» gegründet hat?
Avji: Wir waren alles Menschen, die betroffen waren von einer prekären Lebenssituation, die auf dem Sozialamt waren, migrantisch oder arbeitslos waren oder nur Teilzeitstellen hatten. Junge Leute in der Lehre, die unglücklich waren mit dem Lehrmeister. Auch Obdachlose waren dabei und Menschen ohne festen Wohnsitz. Und diese Gruppe von Menschen hat sich zum Ziel gesetzt, einen Ort zu schaffen, den sie selbst gestalten können, an dem sie ihre eigenen Projekte umsetzen und realisieren können. Wir haben das alles selbst auf die Beine gestellt. Es hat uns niemand dabei geholfen, und wir wollten auch selbstständig sein. Denn dann gibt es sofort wieder eine Abhängigkeit und was wir suchten, war die Selbstbestimmung.
Wieso heisst der Ort «Planet 13»?
Christoph: In den zwei Jahren bevor «Planet 13» eröffnet worden ist, gab es viele Sitzungen und es ging auch immer um die Frage, wie dann das Ding heissen soll. Es gab eine Liste von da bis da (Christoph zeigt an der Wand einen Abstand von einem guten Meter) und jeden Montag machten wir Striche, bei dem Namen, der uns gefiel. Es kamen immer noch neue dazu. Und irgendwann hat sich dann da «Planet 13» herauskristallisiert. «13» ist gesellschaftlich negativ geprägt, aber es muss eben nicht negativ sein. Den Ort gibt es ja gar nicht, den 13. Planeten – aber es gibt ihn eben doch. Das sind wir, die Menschen in prekären Lebenslagen.
Was passiert an einem «normalen» Tag?
Avji: So ziemlich alles.
Valentina: Jeder Tag ist anders.
Avji: Da stürmt eine Person völlig verschwitzt herein und will Aufklärung über alles, eine andere Person sitzt in einer Ecke und döst, andere sind selbstständig irgendwo am arbeiten.
Valentina: Es gibt in dem Sinn normale Tage, da haben wir Öffnungszeiten und dann haben freiwillige Mitarbeitende eine Schicht, um die Menschen, die hierherkommen, zu unterstützen. Das ist eine Hilfe zur Selbsthilfe, also keine Betreuung, sondern wir unterstützen die Menschen dabei, selbständig zu sein. Ausserdem gibt es Tage, an denen gibt es einen Kurs. Da ist es dann nur offen für diejenigen, die sich angemeldet haben.
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Welche Momente machen euch besonders Freude bei deiner Arbeit?
Valentina: Ich finde es schön, wenn ich sehe, dass die Leute die Arbeit schätzen, die hier geschieht. Zum Beispiel neulich, da war ich total beeindruckt. Es ist jemand gekommen, der schnell einen Laptop brauchte, und Christoph hat in super kurzer Zeit einen aufgetrieben und repariert. Die Person war dann sehr glücklich. Das sind so Momente, wo man merkt, dass man die Leute bei etwas ganz Praktischem unterstützen kann.
Christoph: In meinen Computerkursen sind immer fast 90% der Anwesenden Frauen. Irgendwann hat mich in einem Computerkurs eine von ihnen gefragt: «Wer hat das eigentlich alles erfunden?» Da habe ich gesagt: «Ich weiss es nicht.» Ich habe meinen damaligen Kollegen Sven von dieser Frage erzählt, ich fand sie lustig, aber Sven hat dann gesagt: «Stell deinen Computer an und gib Ada ein.» Ich dachte, der will mich veräppeln, wegen Adam und dem Beginn von allem oder so. Aber Ada Lovelace war die erste Programmiererin. Ich war sehr erstaunt, und von da an habe ich sicher ein Jahr lang recherchiert und gelernt, dass sehr viele Sachen in der Informatik von Frauen erfunden und entwickelt wurden. Die erste Maus, die Berechnung der Flugbahnen dank der Digitalisierung bei der NASA, und und und. All diese Erkenntnisse wurden bei mir durch diese eine Frage einer Kursteilnehmerin ausgelöst. Auch, dass ich selber mal referieren durfte an der «uni von unten», das war ein sehr spezielles Erlebnis.
Avji: Für mich ist am schönsten, wenn eine Besucher*in einen Glücksmoment mit mir teilt. Sei es, dass eine Person mir erzählt, dass sie gerade noch einmal Oma geworden sei. Oder dass jemand einen Job erhalten hat und sich enorm freut. Vielleicht ist es zwar ein prekärer Job mit Mindestlohn, aber in ihrer Situation gerade ein Lebensanker. Oder jemand fragt: Wir heiraten, kommt ihr auch? Oder wenn jemand etwas Neues gelernt hat bei uns und dann sagt: «Schau mal, das kann ich jetzt!»
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Was macht euch besonders wütend oder traurig? Christoph: Dass das System verhindert, dass die Menschen wirklich vorwärtskommen. Es fördert nicht, es hindert. Meiner Meinung nach ist das auch gewollt.
Avji: Der zweite Arbeitsmarkt ist da ein grosses Problem. Menschen werden mit der Begründung «parkiert», dass sie dann wenigstens eine Tagesstruktur haben. Enorm viel Geld fliesst dort hinein, aber sie bekommen eine sehr schlechte Bezahlung und verlieren ihre Autonomität. Wieso braucht man dieses Geld nicht, um Leute zu fördern und zu unterstützen, um im ersten Arbeitsmarkt tätig zu werden? Die Betriebe mit Menschen aus dem zweiten Arbeitsmarkt, die sehen toll aus, aber mit diesen Personen wird oft umgegangen, als wären sie Menschen mit weniger Wert.
Valentina: Was mich auch sehr wütend macht, sind Schuldenfallen. Gerade für Leute, die nicht sicher in der Sprache sind, sind Verträge oft unverständlich formuliert. Sie unterschreiben dann vielleicht etwas und wissen nicht genau, was passiert. Ein Handyabo zum Beispiel. Das kann Folgen haben und Menschen kommen aus diesen Schulden nicht mehr heraus.
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Was ist das häufigste Problem, mit dem Armutsbetroffene sich an den «Planet 13» wenden?
Valentina: Das häufigste ist schon die Arbeitssuche: Lebensläufe und Bewerbungen schreiben.
Christoph: In Kombination kommt meistens die Technik dazu, dass sie etwas nicht können oder nicht haben.
Was bräuchte es in Basel aus Sicht von armutsbetroffenen Menschen?
Avji: Es gab eine Initiative von verschiedenen NGOs, bei der es darum ging, einen allgemeingültigen Infoschalter einzurichten. Dort kann sich eine Person mit irgendeinem Problem melden und jemand sagt ihr dann, bei welcher Organisation oder Amt man zu diesem Thema Unterstützung findet. Dieses Projekt ist leider versandet. Ich fände das sehr hilfreich. Was ich auch schwierig finde, ist dass Basel zwar sehr gut in der «Pflästerlipolitik» ist, aber keine richtigen Lösungen für bedürftige Menschen im Sinne von Verselbstständigung anbietet. Ein Tag einer solchen Person gleicht einem Parcours: Da gibt es Frühstück, dort kann sie ihre Kleider waschen, dort kann sie einen Computer benutzen, dort gibt es Mittagessen, dort kann sie sich an der Wärme aufhalten, und so weiter. Aber niemand sieht sich an, was diese Person wirklich brauchen würde, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Wie zum Beispiel eine eigene Wohnung, eine Arbeitsstelle und das Gefühl, sich wieder als ein Teil der Gesellschaft mitzubewegen.
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Was fordert ihr von nicht-armutsbetroffenen Menschen?
Avji: Dass man uns nicht in eine Ecke schiebt, sondern dass man uns ernst nimmt. Die Leute wollen einfach, dass wir still und nett sind, das Geld nehmen und uns ruhig verhalten, nicht aufbegehren. Früher hatten wir hier noch viel mehr Leute, die sich aktivistisch organisiert haben, auf die Strasse gegangen sind, demonstrierten, das ist leider etwas eingeschlafen. Aber wir bleiben widerständig.
Wie wär’s mal mit...
...jemand aus der Politik, der mal für einen Monat hier mitarbeitet, um zu sehen, was das eigentlich bedeutet, so zu existieren?
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Danke, Avji, Christoph und Valentina für das schöne Gespräch und eueren wertvollen Beitrag.
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von Nina Hurni
am 28.04.2025
Fotos
© Nina Hurni für Wie wär's mal mit
Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.
Hallo Avji, Christoph und Valentina, wer seid ihr und was macht ihr hier?
Avji: Christoph und ich gehören zu den Menschen, die das hier vor 18 Jahren mitgegründet haben. Ich bin zuständig für das Bildungsangebot. Bildung sollte für alle zugänglich sein, das liegt uns sehr am Herzen. Auch für Leute von sozial benachteiligten Familien, die nie wirklich eine Chance für eine gute Ausbildung hatten und schnell ins Berufsleben reingerutscht sind. Eine offene Universität ist ein Ideal für uns, deshalb haben wir hier die «uni von unten» mit einem Bildungsangebot gegründet. Leute von «unten», die in einem Thema sattelfest sind und das belegen können, sowie Personen, welche in der Gesellschaft bekannt sind und zu sozialen Themen forschen, werden von uns eingeladen, zu referieren. Ausserdem mache ich auch die Medienarbeit. Christoph hat die Projektleitung zugeschoben bekommen, weil damals alle sagten, dass er gut verhandeln könne. Er ist Händler von Beruf.
Christoph: Ja genau, alle haben gesagt: «Du kannst gut verhandeln, du kannst auch laut sein und auf den Tisch hauen.» Die meisten trauen sich nicht, man ist auch ständig von etwas abhängig. Vielen ist gar nicht so bewusst, dass sie eigentlich eine viel grössere Macht hätten. Das war aber für mich immer ein Bewusstsein. Ich bin damals arbeitslos geworden, weil ich mit meiner Arbeit als Marktverkäufer vom Staat durch die vielen Vorschriften schikaniert worden bin. Dann bin ich zur Sozialhilfe gekommen, weil meine Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt nichts zählte. Ich finde es sehr entwürdigend, wie man heute mit Menschen umgeht. Avji ist dann zu diesem Zeitpunkt mal zu mir gekommen und hat gesagt, sie brauche einen Computer. Ich und Sven, ein anderer Mitbegründer, hatten noch drei alte Schrott Computer, die wir dann zusammengebaut haben und in dieser Zeit ist dann dieses Thema aufgekommen. Dass es ja nicht nur um Avji geht, sondern um ganz viele andere, die keinen Zugang zu einem Computer und dem damit verbundenen Wissen haben, und damit keine Chance haben, überhaupt eine Stelle zu suchen. So ist bei uns der Traum eines Internetcafés entstanden, in das einfach alle Menschen rein können und es absolut keine Rolle spielt, wer du bist und was du machst. Jetzt bin ich für Datenschutz, Recycling und Computerkurse zuständig.
Valentina: Ich habe erst im September hier angefangen. Ich habe mich beworben, weil ich den Ort schon kannte und wusste: Das ist ein besonderer Ort. Meine Aufgabe ist es, Avji und Christoph bei der vielen Arbeit zu unterstützen und ich übernehme sehr Unterschiedliches. Ich werde immer mehr Verantwortung für alles mittragen. Vor allem die Kommunikation im Team, mit den Gästen, mit Behörden und Ämtern sowie Administratives.
Wer war diese Gruppe, die den «Planet 13» gegründet hat?
Avji: Wir waren alles Menschen, die betroffen waren von einer prekären Lebenssituation, die auf dem Sozialamt waren, migrantisch oder arbeitslos waren oder nur Teilzeitstellen hatten. Junge Leute in der Lehre, die unglücklich waren mit dem Lehrmeister. Auch Obdachlose waren dabei und Menschen ohne festen Wohnsitz. Und diese Gruppe von Menschen hat sich zum Ziel gesetzt, einen Ort zu schaffen, den sie selbst gestalten können, an dem sie ihre eigenen Projekte umsetzen und realisieren können. Wir haben das alles selbst auf die Beine gestellt. Es hat uns niemand dabei geholfen, und wir wollten auch selbstständig sein. Denn dann gibt es sofort wieder eine Abhängigkeit und was wir suchten, war die Selbstbestimmung.
Wieso heisst der Ort «Planet 13»?
Christoph: In den zwei Jahren bevor «Planet 13» eröffnet worden ist, gab es viele Sitzungen und es ging auch immer um die Frage, wie dann das Ding heissen soll. Es gab eine Liste von da bis da (Christoph zeigt an der Wand einen Abstand von einem guten Meter) und jeden Montag machten wir Striche, bei dem Namen, der uns gefiel. Es kamen immer noch neue dazu. Und irgendwann hat sich dann da «Planet 13» herauskristallisiert. «13» ist gesellschaftlich negativ geprägt, aber es muss eben nicht negativ sein. Den Ort gibt es ja gar nicht, den 13. Planeten – aber es gibt ihn eben doch. Das sind wir, die Menschen in prekären Lebenslagen.
Was passiert an einem «normalen» Tag?
Avji: So ziemlich alles.
Valentina: Jeder Tag ist anders.
Avji: Da stürmt eine Person völlig verschwitzt herein und will Aufklärung über alles, eine andere Person sitzt in einer Ecke und döst, andere sind selbstständig irgendwo am arbeiten.
Valentina: Es gibt in dem Sinn normale Tage, da haben wir Öffnungszeiten und dann haben freiwillige Mitarbeitende eine Schicht, um die Menschen, die hierherkommen, zu unterstützen. Das ist eine Hilfe zur Selbsthilfe, also keine Betreuung, sondern wir unterstützen die Menschen dabei, selbständig zu sein. Ausserdem gibt es Tage, an denen gibt es einen Kurs. Da ist es dann nur offen für diejenigen, die sich angemeldet haben.
Welche Momente machen euch besonders Freude bei deiner Arbeit?
Valentina: Ich finde es schön, wenn ich sehe, dass die Leute die Arbeit schätzen, die hier geschieht. Zum Beispiel neulich, da war ich total beeindruckt. Es ist jemand gekommen, der schnell einen Laptop brauchte, und Christoph hat in super kurzer Zeit einen aufgetrieben und repariert. Die Person war dann sehr glücklich. Das sind so Momente, wo man merkt, dass man die Leute bei etwas ganz Praktischem unterstützen kann.
Christoph: In meinen Computerkursen sind immer fast 90% der Anwesenden Frauen. Irgendwann hat mich in einem Computerkurs eine von ihnen gefragt: «Wer hat das eigentlich alles erfunden?» Da habe ich gesagt: «Ich weiss es nicht.» Ich habe meinen damaligen Kollegen Sven von dieser Frage erzählt, ich fand sie lustig, aber Sven hat dann gesagt: «Stell deinen Computer an und gib Ada ein.» Ich dachte, der will mich veräppeln, wegen Adam und dem Beginn von allem oder so. Aber Ada Lovelace war die erste Programmiererin. Ich war sehr erstaunt, und von da an habe ich sicher ein Jahr lang recherchiert und gelernt, dass sehr viele Sachen in der Informatik von Frauen erfunden und entwickelt wurden. Die erste Maus, die Berechnung der Flugbahnen dank der Digitalisierung bei der NASA, und und und. All diese Erkenntnisse wurden bei mir durch diese eine Frage einer Kursteilnehmerin ausgelöst. Auch, dass ich selber mal referieren durfte an der «uni von unten», das war ein sehr spezielles Erlebnis.
Avji: Für mich ist am schönsten, wenn eine Besucher*in einen Glücksmoment mit mir teilt. Sei es, dass eine Person mir erzählt, dass sie gerade noch einmal Oma geworden sei. Oder dass jemand einen Job erhalten hat und sich enorm freut. Vielleicht ist es zwar ein prekärer Job mit Mindestlohn, aber in ihrer Situation gerade ein Lebensanker. Oder jemand fragt: Wir heiraten, kommt ihr auch? Oder wenn jemand etwas Neues gelernt hat bei uns und dann sagt: «Schau mal, das kann ich jetzt!»
Was macht euch besonders wütend oder traurig? Christoph: Dass das System verhindert, dass die Menschen wirklich vorwärtskommen. Es fördert nicht, es hindert. Meiner Meinung nach ist das auch gewollt.
Avji: Der zweite Arbeitsmarkt ist da ein grosses Problem. Menschen werden mit der Begründung «parkiert», dass sie dann wenigstens eine Tagesstruktur haben. Enorm viel Geld fliesst dort hinein, aber sie bekommen eine sehr schlechte Bezahlung und verlieren ihre Autonomität. Wieso braucht man dieses Geld nicht, um Leute zu fördern und zu unterstützen, um im ersten Arbeitsmarkt tätig zu werden? Die Betriebe mit Menschen aus dem zweiten Arbeitsmarkt, die sehen toll aus, aber mit diesen Personen wird oft umgegangen, als wären sie Menschen mit weniger Wert.
Valentina: Was mich auch sehr wütend macht, sind Schuldenfallen. Gerade für Leute, die nicht sicher in der Sprache sind, sind Verträge oft unverständlich formuliert. Sie unterschreiben dann vielleicht etwas und wissen nicht genau, was passiert. Ein Handyabo zum Beispiel. Das kann Folgen haben und Menschen kommen aus diesen Schulden nicht mehr heraus.
Was ist das häufigste Problem, mit dem Armutsbetroffene sich an den «Planet 13» wenden?
Valentina: Das häufigste ist schon die Arbeitssuche: Lebensläufe und Bewerbungen schreiben.
Christoph: In Kombination kommt meistens die Technik dazu, dass sie etwas nicht können oder nicht haben.
Was bräuchte es in Basel aus Sicht von armutsbetroffenen Menschen?
Avji: Es gab eine Initiative von verschiedenen NGOs, bei der es darum ging, einen allgemeingültigen Infoschalter einzurichten. Dort kann sich eine Person mit irgendeinem Problem melden und jemand sagt ihr dann, bei welcher Organisation oder Amt man zu diesem Thema Unterstützung findet. Dieses Projekt ist leider versandet. Ich fände das sehr hilfreich. Was ich auch schwierig finde, ist dass Basel zwar sehr gut in der «Pflästerlipolitik» ist, aber keine richtigen Lösungen für bedürftige Menschen im Sinne von Verselbstständigung anbietet. Ein Tag einer solchen Person gleicht einem Parcours: Da gibt es Frühstück, dort kann sie ihre Kleider waschen, dort kann sie einen Computer benutzen, dort gibt es Mittagessen, dort kann sie sich an der Wärme aufhalten, und so weiter. Aber niemand sieht sich an, was diese Person wirklich brauchen würde, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Wie zum Beispiel eine eigene Wohnung, eine Arbeitsstelle und das Gefühl, sich wieder als ein Teil der Gesellschaft mitzubewegen.
Was fordert ihr von nicht-armutsbetroffenen Menschen?
Avji: Dass man uns nicht in eine Ecke schiebt, sondern dass man uns ernst nimmt. Die Leute wollen einfach, dass wir still und nett sind, das Geld nehmen und uns ruhig verhalten, nicht aufbegehren. Früher hatten wir hier noch viel mehr Leute, die sich aktivistisch organisiert haben, auf die Strasse gegangen sind, demonstrierten, das ist leider etwas eingeschlafen. Aber wir bleiben widerständig.
Wie wär’s mal mit...
...jemand aus der Politik, der mal für einen Monat hier mitarbeitet, um zu sehen, was das eigentlich bedeutet, so zu existieren?
Danke, Avji, Christoph und Valentina für das schöne Gespräch und eueren wertvollen Beitrag.
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von Nina Hurni
am 28.04.2025
Fotos
© Nina Hurni für Wie wär's mal mit
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