Praxis «Dynamis»: Im Gespräch mit den Homöopathinnen Sonja Madörin und Rita Manhart
Geht es um Homöopathie scheiden sich die Geister. Die einen sind überzeugt von deren heilenden Wirkung – mitunter weil sie diese aus Patienten- oder Ärzteperspektive selber erlebt haben – die anderen tun die Homöopathie als Humbug ab und zitieren wissenschaftliche Studien, wonach erfolgreiche homöopathische Behandlungen mit dem Placebo-Effekt gleichzusetzen seien. Gemäss Bundesamt für Statistik nimmt knapp ein Drittel aller Schweizer*innen jährlich mindestens eine Behandlung der Kategorie Komplementärmedizin in Anspruch. Am häufigsten werden dabei Homöopath*innen aufgesucht. Um mehr über diese Alternativmedizin zu erfahren, trafen wir Rita und Sonja in ihrer Homöopathie Praxis im Gundeldingerfeld.
Liebe Sonja und Rita, ihr führt zusammen die Homöopathie-Praxis «Dynamis» mit drei Standorten in Basel, Muttenz und Sissach. Wofür steht «Dynamis»?
Sonja: «Dynamis» steht in der Homöopathie für die Lebenskraft des Menschen. Diese ist für die Gesundheit verantwortlich. Ausserdem steht «Dynamis» für Dynamik, Bewegung und Leben. Deshalb ist «Dynamis» ein passender Name für unsere Praxis.
Rita: Der Begriff wurde von Samuel Hahnemann geprägt, dem Begründer der Homöopathie. Wenn die Lebenskraft geschwächt ist, kann aus homöopathischer Sicht Krankheit entstehen. Durch die Stärkung der Lebenskraft kann Gesundheit wieder erlangt werden.
Ihr habt beide eine berufliche Vergangenheit, die nichts mit Homöopathie zu tun hat. Wie seid ihr dazu gekommen «Dynamis» ins Leben zu rufen?
Rita: Zur Homöopathie bin ich durch meine Kinder gekommen. Es war, als diese noch klein waren und ich mit ihnen einige prägende Erfahrungen bei medizinischen Behandlungen machte. Als ich zum Beispiel mit meinem jüngeren Sohn wiederholt wegen Ohrenschmerzen unseren schulmedizinischen Arzt konsultierte, war ich über die ständig verschriebenen standardisierten Verschreibungen von starken Medikamenten überrascht. Zumal diese nicht ohne Nebenwirkungen daherkamen. Ausserdem wurde mein Sohn nicht gesünder, sondern eher anfälliger und wir mussten deshalb den Arzt zunehmend häufiger aufsuchen. Aus dieser Not heraus war ich neugierig und schaute mich nach Alternativen zur Schulmedizin um. So habe ich die Homöopathie entdeckt. Mit homöopathischen Behandlungen konnten meine Kinder rasch und nachhaltig gesund werden. Das hat mich fasziniert. Die Faszination liess mich nicht mehr los, sodass ich Jahre später das 4-jährige Studium zur Homöopathin absolvierte.
Sonja: Bei mir war das genau gleich, auch ich habe den Weg zur Homöopathie durch meine Kinder gefunden. Um auf deine Frage zurück zu kommen, wie es zur Gründung von «Dynamis» kam: Wir lernten uns während des Studiums kennen und verstanden uns von Anfang an sehr gut. Weil wir ein Dream-Team waren, gründeten wir die Praxis und machten uns selbstständig.
Worin seht ihr gegenseitig eure Stärken?
Sonja: Wir sind grundverschiedene Charaktere. Es ist für mich sehr wertvoll, mit Rita zusammenzuarbeiten. In der Regel machen wir jeden Monat eine Intervision und besprechen dabei schwierige Fälle. Rita arbeitet sehr exakt, ruhig und sie führt eine eigene Materia Medica. Dies ist eine umfassende Sammlung von Arzneimittelbildern die für die homöopathische Arbeit sehr wertvoll ist. Ich hingegen bin auch mal von einer kreativen Lösungsidee begeistert und entscheide dann schnell. Bei den Intervisionen stelle ich fest, dass sich die sorgfältige, detailhafte Arbeit von Rita und meine kreative, schnelle Arbeitsweise perfekt ergänzen.
Rita: Das erlebe ich – einfach umgekehrt – genauso. Ausserdem schätze ich es, dass mich Sonja dazu bringt, zum Beispiel bei geschäftlichen Aspekten risikofreudiger zu sein. Ich zum Beispiel könnte monatelang abwägen, ob wir eine neue Website brauchen oder nicht. Dank Sonjas Drive gelingt es uns, solche Dinge mit Schwung durchzuziehen.
Ihr ergänzt euch also ziemlich gut. Wann habt ihr diese Dynamik bemerkt?
Sonja: Ich vermute schon am ersten Tag des Studiums. Ich weiss noch, wie ich in den Vorlesungssaal hineingekommen bin und Rita am Tisch sitzen sah. Da habe ich mir gedacht: Die ist interessant.
Welches sind die grundlegenden Elemente einer homöopathischen Behandlung?
Sonja: Wenn ein Patient das erste Mal zu uns kommt, erfolgt zuerst die Fallaufnahme, die sogenannte Erstanamnese. Durch die genaue Befragung des Patienten erhalten wir anhand der Gesamtheit der Symptome ein detailliertes Bild der individuellen Persönlichkeit. Nach dem Termin erarbeiten wir das passende homöopathische Mittel, welches dann dem Patienten verschrieben wird. Dieser zweite Teil der Arbeit ist sehr wichtig und dauert entsprechend lange. In Abständen von ca. vier Wochen gibt es Folgekonsultationen, bei denen Veränderungen des Befindens besprochen werden, damit bei Bedarf das Mittel angepasst werden kann.
Eure Patient*innen werden angewiesen, sich selber in der Zwischenzeit gut zu beobachten?
Sonja: Nicht unbedingt; bei der zweiten Sitzung erzählen die Patient*innen spontan, wie es ihnen ergangen ist. Dabei muss man nicht unbedingt Buch führen. Allein schon die Tatsache, dass jemand nicht mehr kommt oder dass jemand sehr bald wieder kommt und wie die Person dann von ihrem Erleben berichtet, zeigt an, ob man das richtige Mittel gefunden hat.
Was fasziniert euch an der homöopathischen Vorgehensweise?
Rita: Wir suchen in der Behandlung nach dem roten Faden im Erleben des Patienten. So wie der Patient den Schmerz erlebt, erlebt er auch Stress im Geschäft oder Streit in der Beziehung. Auf zehn unterschiedliche Patienten mit Magenbeschwerden gibt es deshalb zehn unterschiedliche Verschreibungen, weil jeder dieser Patienten die Magenbeschwerden individuell erlebt und beschreibt. Nur durch die Deckungsgleichheit des homöopathischen Mittels mit den beschriebenen Beschwerden ist eine Heilung möglich.
Welche*r Homöopath*in ist eine Inspiration für euch und wie ist die Homöopathie in der Schweiz organisiert?
Rita und Sonja: Der indische Homöopath Dr. Rajan Sankaran ist definitiv eine Inspiration für uns, weil er die Forschung und die Systematisierung der Homöopathie vorantreibt. In der Schweiz gibt es den Dachverband der Homöopath*innen. Dieser setzt sich für den Berufsstand ein. Zum Beispiel hat der Dachverband erreicht, dass es eine Eidgenössische Prüfung für Homöopathie gibt.
Kürzlich wurde eine Meta-Statistik des renommierten Cochrane Instituts publik, wonach Antidepressiva in einer klinischen Studie nur gering stärker wirkten als die Placebos der Kontrollgruppen. Der Unterschied sei sogar so gering, dass ein Arzt keinen Unterschied feststellen könne. 2005 wurde im Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK) mittels klinischen Studien festgestellt, dass die homöopathischen Arzneimittel gleich gut wirkten wie die Placebos der Kontrollgruppen. Demgegenüber kommt die PEK-Studie unter Einbezug qualitativer Patientenbefragung und weiteren Erkenntnismaterials jedoch auch zum Schluss, dass die Homöopathie in einigen Gebieten sogar besser abschneidet als herkömmliche, schulmedizinische Behandlungen. Es gibt also durchaus Potential für Diskussionen.
Sonja: Die Homöopathie wird für die klinischen Studien der evidenzbasierten Medizin mit den Instrumenten der Schulmedizin gemessen. Dies funktioniert aber nicht, weil die Axiome der Schulmedizin um die Idee herum konstruiert sind, dass Medikamente Symptome unterdrücken sollen. Die Homöopathie ist jedoch eine individuelle Heilmethode, welche die Selbstheilung des Menschen unterstützt. Die Funktionsweise der Homöopathie ist derjenigen der klassischen Medizin genau entgegengesetzt. Es ist durchaus möglich, dass mehrere Leute wegen ähnlichen Asthmabeschwerden zu uns kommen und alle ganz unterschiedliche homöopathische Arzneimittel erhalten.
Rita: Es gibt wenig Interesse von Seiten des medizinischen Establishments, dass die komplementären Heilmethoden wissenschaftlich belegbar werden. Im Endeffekt ist es immer auch eine Frage des Geldes. Bei diesem Thema beziehe ich mich auch immer gerne auf ein Zitat: “Wenn ein Chemiker die homöopathische Arznei untersucht, findet er nur Wasser und Alkohol; wenn er eine Diskette untersucht, nur Eisenoxid und Vinyl. Beide können jedoch jede Menge Informationen bergen.” – Dr. Peter Fisher, Forschungsleiter am Royal London Homeopathic Hospital.
Gemäss Bundesamt für Statistik nehmen 25% der Schweizer*innen wöchentlich Schmerzmittel ein. Wird der Mensch mit dem Bedürfnis nach Tabletten geboren?
Rita: Schmerzen schwächen uns – deshalb möchten wir sie so schnell wie möglich loswerden. Zudem tendiert der Mensch dazu, Lösungen anzunehmen, die ihm angeboten werden. Homöopathie bietet eine alternative Möglichkeit, mit Krankheit umzugehen. Im Gegensatz zur Unterdrückung der Symptome mit Schmerzmitteln, wirkt die Homöopathie stärkend auf die Lebenskraft, was wiederum die Selbstheilung möglich macht. Dadurch kann der ursprüngliche, gesunde Zustand eines Menschen wieder hergestellt werden.
Sonja: Die Schulmedizin und die Homöopathie sind zwei komplett unterschiedliche oder wie bereits gesagt gegensätzliche Systeme. Während die Schulmedizin einen eher segmentierten Ansatz bei der Behandlung von Patienten verfolgt, sucht die Homöopathie nach Zusammenhängen auf allen Ebenen des menschlichen Erlebens.
In der Schweiz gehört die homöopathische Behandlung seit den Bestrebungen von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss kurz vor der Jahrtausendwende zum Katalog der Grundversicherung. Pascal Couchepin kippte diese 2005 im Alleingang wieder hinaus. Im Jahr 2009 entschied sich das Volk an der Urne, die Komplementärmedizin in der Bundesverfassung zu verankern. Hat der Umstand, dass die Homöopathie nach wie vor umstritten ist, Auswirkungen auf euren Alltag?
Sonja: Für unseren Arbeitsalltag ist diese Sache eher zweitrangig. Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass unsere Patient*innen mit Hilfe unserer Behandlung gesund werden. In anderen Bereichen des täglichen Lebens gibt es jedoch grosse Auswirkungen. Wir werden ständig damit konfrontiert.
Rita: Eine wiederkehrende Situation die ich erlebe ist zum Beispiel, dass sich die Leute bei einem gemütlichen Essen gegenseitig vorstellen und erzählen, was sie arbeiten. Wenn ich dann erzähle, dass ich Homöopathin bin, reagieren einige Leute mit einem langen Schweigen oder wechseln kommentarlos das Thema. Ich denke, dass viele Menschen Alternativen scheuen, da man sich auf diesem Weg eine eigene Meinung bilden und quellenkritisch werden muss. Ich persönlich finde das befreiend, kann aber verstehen, dass das auch Angst machen kann.
Wer kommt zu euch in die Behandlung?
Sonja: Es kommen Leute, die gesund werden wollen. Häufig hören wir von den Leuten, dass sie unzufrieden sind mit den schulmedizinischen Behandlungen, welche sie zuvor in Anspruch genommen haben. Es kommen auch Leute, die einfach eine Entwicklung machen wollen. Es kommen Mütter mit kleinen Kindern oder Babys. Es kommen Leute mit Bauchschmerzen, mit Augenentzündungen.
Wenn eure Behandlung eine Reisedestination wäre, wohin würden eure Klienten reisen?
Sonja: Bei mir würden sie in ihr eigenes Inneres reisen.
Rita: An den individuellen Wohlfühlort.
Welche Frage würdet ihr euch gegenseitig stellen, wenn ihr an meiner Stelle das Interview führen würdet?
Sonja an Rita: Was bedeutet für dich Homöopathie, was hat sie für einen Stellenwert in deinem Leben?
Rita: Für mich bedeutet es, dass ich einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen kann. Dass ich zum Beispiel direkt helfen kann, durch meine Tätigkeit die Menge an Antibiotikum im Trinkwasser zu reduzieren. Dass ich meiner Umwelt etwas Gutes tun kann. Und dass ich irgendwann – ich habe vor diesem Interview nachgeschaut, was auf dem Grabstein von Samuel Hahnemann steht – sagen darf: „Non inutilis vixi“ (dt.: „Ich habe nicht unnütz gelebt.“).
Rita an Sonja: Würdest du denselben Weg noch einmal gehen?
Sonja: Diese Frage kann ich nicht beantworten.
Wie wärs mal mit...
...Homöopathie?
Vielen Dank an Rita und Sonja für das spannende Gespräch über Alternativmedizin in ihrer Praxis.
_
von Timon Sutter
am 07.10.2019
Fotos
© Ana Brankovic für Wie wär's mal mit
Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.
Geht es um Homöopathie scheiden sich die Geister. Die einen sind überzeugt von deren heilenden Wirkung – mitunter weil sie diese aus Patienten- oder Ärzteperspektive selber erlebt haben – die anderen tun die Homöopathie als Humbug ab und zitieren wissenschaftliche Studien, wonach erfolgreiche homöopathische Behandlungen mit dem Placebo-Effekt gleichzusetzen seien. Gemäss Bundesamt für Statistik nimmt knapp ein Drittel aller Schweizer*innen jährlich mindestens eine Behandlung der Kategorie Komplementärmedizin in Anspruch. Am häufigsten werden dabei Homöopath*innen aufgesucht. Um mehr über diese Alternativmedizin zu erfahren, trafen wir Rita und Sonja in ihrer Homöopathie Praxis im Gundeldingerfeld.
Liebe Sonja und Rita, ihr führt zusammen die Homöopathie-Praxis «Dynamis» mit drei Standorten in Basel, Muttenz und Sissach. Wofür steht «Dynamis»?
Sonja: «Dynamis» steht in der Homöopathie für die Lebenskraft des Menschen. Diese ist für die Gesundheit verantwortlich. Ausserdem steht «Dynamis» für Dynamik, Bewegung und Leben. Deshalb ist «Dynamis» ein passender Name für unsere Praxis.
Rita: Der Begriff wurde von Samuel Hahnemann geprägt, dem Begründer der Homöopathie. Wenn die Lebenskraft geschwächt ist, kann aus homöopathischer Sicht Krankheit entstehen. Durch die Stärkung der Lebenskraft kann Gesundheit wieder erlangt werden.
Ihr habt beide eine berufliche Vergangenheit, die nichts mit Homöopathie zu tun hat. Wie seid ihr dazu gekommen «Dynamis» ins Leben zu rufen?
Rita: Zur Homöopathie bin ich durch meine Kinder gekommen. Es war, als diese noch klein waren und ich mit ihnen einige prägende Erfahrungen bei medizinischen Behandlungen machte. Als ich zum Beispiel mit meinem jüngeren Sohn wiederholt wegen Ohrenschmerzen unseren schulmedizinischen Arzt konsultierte, war ich über die ständig verschriebenen standardisierten Verschreibungen von starken Medikamenten überrascht. Zumal diese nicht ohne Nebenwirkungen daherkamen. Ausserdem wurde mein Sohn nicht gesünder, sondern eher anfälliger und wir mussten deshalb den Arzt zunehmend häufiger aufsuchen. Aus dieser Not heraus war ich neugierig und schaute mich nach Alternativen zur Schulmedizin um. So habe ich die Homöopathie entdeckt. Mit homöopathischen Behandlungen konnten meine Kinder rasch und nachhaltig gesund werden. Das hat mich fasziniert. Die Faszination liess mich nicht mehr los, sodass ich Jahre später das 4-jährige Studium zur Homöopathin absolvierte.
Sonja: Bei mir war das genau gleich, auch ich habe den Weg zur Homöopathie durch meine Kinder gefunden. Um auf deine Frage zurück zu kommen, wie es zur Gründung von «Dynamis» kam: Wir lernten uns während des Studiums kennen und verstanden uns von Anfang an sehr gut. Weil wir ein Dream-Team waren, gründeten wir die Praxis und machten uns selbstständig.
Worin seht ihr gegenseitig eure Stärken?
Sonja: Wir sind grundverschiedene Charaktere. Es ist für mich sehr wertvoll, mit Rita zusammenzuarbeiten. In der Regel machen wir jeden Monat eine Intervision und besprechen dabei schwierige Fälle. Rita arbeitet sehr exakt, ruhig und sie führt eine eigene Materia Medica. Dies ist eine umfassende Sammlung von Arzneimittelbildern die für die homöopathische Arbeit sehr wertvoll ist. Ich hingegen bin auch mal von einer kreativen Lösungsidee begeistert und entscheide dann schnell. Bei den Intervisionen stelle ich fest, dass sich die sorgfältige, detailhafte Arbeit von Rita und meine kreative, schnelle Arbeitsweise perfekt ergänzen.
Rita: Das erlebe ich – einfach umgekehrt – genauso. Ausserdem schätze ich es, dass mich Sonja dazu bringt, zum Beispiel bei geschäftlichen Aspekten risikofreudiger zu sein. Ich zum Beispiel könnte monatelang abwägen, ob wir eine neue Website brauchen oder nicht. Dank Sonjas Drive gelingt es uns, solche Dinge mit Schwung durchzuziehen.
Ihr ergänzt euch also ziemlich gut. Wann habt ihr diese Dynamik bemerkt?
Sonja: Ich vermute schon am ersten Tag des Studiums. Ich weiss noch, wie ich in den Vorlesungssaal hineingekommen bin und Rita am Tisch sitzen sah. Da habe ich mir gedacht: Die ist interessant.
Welches sind die grundlegenden Elemente einer homöopathischen Behandlung?
Sonja: Wenn ein Patient das erste Mal zu uns kommt, erfolgt zuerst die Fallaufnahme, die sogenannte Erstanamnese. Durch die genaue Befragung des Patienten erhalten wir anhand der Gesamtheit der Symptome ein detailliertes Bild der individuellen Persönlichkeit. Nach dem Termin erarbeiten wir das passende homöopathische Mittel, welches dann dem Patienten verschrieben wird. Dieser zweite Teil der Arbeit ist sehr wichtig und dauert entsprechend lange. In Abständen von ca. vier Wochen gibt es Folgekonsultationen, bei denen Veränderungen des Befindens besprochen werden, damit bei Bedarf das Mittel angepasst werden kann.
Eure Patient*innen werden angewiesen, sich selber in der Zwischenzeit gut zu beobachten?
Sonja: Nicht unbedingt; bei der zweiten Sitzung erzählen die Patient*innen spontan, wie es ihnen ergangen ist. Dabei muss man nicht unbedingt Buch führen. Allein schon die Tatsache, dass jemand nicht mehr kommt oder dass jemand sehr bald wieder kommt und wie die Person dann von ihrem Erleben berichtet, zeigt an, ob man das richtige Mittel gefunden hat.
Was fasziniert euch an der homöopathischen Vorgehensweise?
Rita: Wir suchen in der Behandlung nach dem roten Faden im Erleben des Patienten. So wie der Patient den Schmerz erlebt, erlebt er auch Stress im Geschäft oder Streit in der Beziehung. Auf zehn unterschiedliche Patienten mit Magenbeschwerden gibt es deshalb zehn unterschiedliche Verschreibungen, weil jeder dieser Patienten die Magenbeschwerden individuell erlebt und beschreibt. Nur durch die Deckungsgleichheit des homöopathischen Mittels mit den beschriebenen Beschwerden ist eine Heilung möglich.
Welche*r Homöopath*in ist eine Inspiration für euch und wie ist die Homöopathie in der Schweiz organisiert?
Rita und Sonja: Der indische Homöopath Dr. Rajan Sankaran ist definitiv eine Inspiration für uns, weil er die Forschung und die Systematisierung der Homöopathie vorantreibt. In der Schweiz gibt es den Dachverband der Homöopath*innen. Dieser setzt sich für den Berufsstand ein. Zum Beispiel hat der Dachverband erreicht, dass es eine Eidgenössische Prüfung für Homöopathie gibt.
Kürzlich wurde eine Meta-Statistik des renommierten Cochrane Instituts publik, wonach Antidepressiva in einer klinischen Studie nur gering stärker wirkten als die Placebos der Kontrollgruppen. Der Unterschied sei sogar so gering, dass ein Arzt keinen Unterschied feststellen könne. 2005 wurde im Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK) mittels klinischen Studien festgestellt, dass die homöopathischen Arzneimittel gleich gut wirkten wie die Placebos der Kontrollgruppen. Demgegenüber kommt die PEK-Studie unter Einbezug qualitativer Patientenbefragung und weiteren Erkenntnismaterials jedoch auch zum Schluss, dass die Homöopathie in einigen Gebieten sogar besser abschneidet als herkömmliche, schulmedizinische Behandlungen. Es gibt also durchaus Potential für Diskussionen.
Sonja: Die Homöopathie wird für die klinischen Studien der evidenzbasierten Medizin mit den Instrumenten der Schulmedizin gemessen. Dies funktioniert aber nicht, weil die Axiome der Schulmedizin um die Idee herum konstruiert sind, dass Medikamente Symptome unterdrücken sollen. Die Homöopathie ist jedoch eine individuelle Heilmethode, welche die Selbstheilung des Menschen unterstützt. Die Funktionsweise der Homöopathie ist derjenigen der klassischen Medizin genau entgegengesetzt. Es ist durchaus möglich, dass mehrere Leute wegen ähnlichen Asthmabeschwerden zu uns kommen und alle ganz unterschiedliche homöopathische Arzneimittel erhalten.
Rita: Es gibt wenig Interesse von Seiten des medizinischen Establishments, dass die komplementären Heilmethoden wissenschaftlich belegbar werden. Im Endeffekt ist es immer auch eine Frage des Geldes. Bei diesem Thema beziehe ich mich auch immer gerne auf ein Zitat: “Wenn ein Chemiker die homöopathische Arznei untersucht, findet er nur Wasser und Alkohol; wenn er eine Diskette untersucht, nur Eisenoxid und Vinyl. Beide können jedoch jede Menge Informationen bergen.” – Dr. Peter Fisher, Forschungsleiter am Royal London Homeopathic Hospital.
Gemäss Bundesamt für Statistik nehmen 25% der Schweizer*innen wöchentlich Schmerzmittel ein. Wird der Mensch mit dem Bedürfnis nach Tabletten geboren?
Rita: Schmerzen schwächen uns – deshalb möchten wir sie so schnell wie möglich loswerden. Zudem tendiert der Mensch dazu, Lösungen anzunehmen, die ihm angeboten werden. Homöopathie bietet eine alternative Möglichkeit, mit Krankheit umzugehen. Im Gegensatz zur Unterdrückung der Symptome mit Schmerzmitteln, wirkt die Homöopathie stärkend auf die Lebenskraft, was wiederum die Selbstheilung möglich macht. Dadurch kann der ursprüngliche, gesunde Zustand eines Menschen wieder hergestellt werden.
Sonja: Die Schulmedizin und die Homöopathie sind zwei komplett unterschiedliche oder wie bereits gesagt gegensätzliche Systeme. Während die Schulmedizin einen eher segmentierten Ansatz bei der Behandlung von Patienten verfolgt, sucht die Homöopathie nach Zusammenhängen auf allen Ebenen des menschlichen Erlebens.
In der Schweiz gehört die homöopathische Behandlung seit den Bestrebungen von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss kurz vor der Jahrtausendwende zum Katalog der Grundversicherung. Pascal Couchepin kippte diese 2005 im Alleingang wieder hinaus. Im Jahr 2009 entschied sich das Volk an der Urne, die Komplementärmedizin in der Bundesverfassung zu verankern. Hat der Umstand, dass die Homöopathie nach wie vor umstritten ist, Auswirkungen auf euren Alltag?
Sonja: Für unseren Arbeitsalltag ist diese Sache eher zweitrangig. Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass unsere Patient*innen mit Hilfe unserer Behandlung gesund werden. In anderen Bereichen des täglichen Lebens gibt es jedoch grosse Auswirkungen. Wir werden ständig damit konfrontiert.
Rita: Eine wiederkehrende Situation die ich erlebe ist zum Beispiel, dass sich die Leute bei einem gemütlichen Essen gegenseitig vorstellen und erzählen, was sie arbeiten. Wenn ich dann erzähle, dass ich Homöopathin bin, reagieren einige Leute mit einem langen Schweigen oder wechseln kommentarlos das Thema. Ich denke, dass viele Menschen Alternativen scheuen, da man sich auf diesem Weg eine eigene Meinung bilden und quellenkritisch werden muss. Ich persönlich finde das befreiend, kann aber verstehen, dass das auch Angst machen kann.
Wer kommt zu euch in die Behandlung?
Sonja: Es kommen Leute, die gesund werden wollen. Häufig hören wir von den Leuten, dass sie unzufrieden sind mit den schulmedizinischen Behandlungen, welche sie zuvor in Anspruch genommen haben. Es kommen auch Leute, die einfach eine Entwicklung machen wollen. Es kommen Mütter mit kleinen Kindern oder Babys. Es kommen Leute mit Bauchschmerzen, mit Augenentzündungen.
Wenn eure Behandlung eine Reisedestination wäre, wohin würden eure Klienten reisen?
Sonja: Bei mir würden sie in ihr eigenes Inneres reisen.
Rita: An den individuellen Wohlfühlort.
Welche Frage würdet ihr euch gegenseitig stellen, wenn ihr an meiner Stelle das Interview führen würdet?
Sonja an Rita: Was bedeutet für dich Homöopathie, was hat sie für einen Stellenwert in deinem Leben?
Rita: Für mich bedeutet es, dass ich einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen kann. Dass ich zum Beispiel direkt helfen kann, durch meine Tätigkeit die Menge an Antibiotikum im Trinkwasser zu reduzieren. Dass ich meiner Umwelt etwas Gutes tun kann. Und dass ich irgendwann – ich habe vor diesem Interview nachgeschaut, was auf dem Grabstein von Samuel Hahnemann steht – sagen darf: „Non inutilis vixi“ (dt.: „Ich habe nicht unnütz gelebt.“).
Rita an Sonja: Würdest du denselben Weg noch einmal gehen?
Sonja: Diese Frage kann ich nicht beantworten.
Wie wärs mal mit...
...Homöopathie?
Vielen Dank an Rita und Sonja für das spannende Gespräch über Alternativmedizin in ihrer Praxis.
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von Timon Sutter
am 07.10.2019
Fotos
© Ana Brankovic für Wie wär's mal mit
Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Wie wär’s mal mit einholen.