Zukunftsmusik mit Ozan Polat oder: Autonome Satelliten und Ozelot-Lifestyle

Erst mal der Reihe nach: was sich an der Bahnhofstrasse Nr. 3 abspielt, lässt sich nicht kurz und knackig erklären. Was ein sogenannter Blockchain-Hub alles kann und wieso ein Think Tank für Dezentralisierung und die Auswirkungen auf die Gesellschaft unerlässlich ist - und, dass wir uns bald alle damit beschäftigen, erklärt uns Ozan Polat jedoch ausführlich und bildreich. Ozan, einer der Tausendsassas, Partner beim Think Tank «Dezentrum» und Mitgründer von «Trust Square», wie er selber erzählt, einem der größten Blockchain-Hubs weltweit. «Trust Square», das sich über ein paar Etagen erstreckt, vermutet man keineswegs an dieser feinen Adresse in Zürich. Ein schickes Gebäude, hier könnte sich auch eine Bankzweigstelle oder Vermögensverwaltung niedergelassen haben. Doch mit Blick auf den Zürichsee findet sich hier ein Unternehmen, das sich digitaler Zukunftsmusik verschrieben hat. Apropos Musik: Ozan Polat ,beschäftigen nicht nur digitale Technologien, sondern er mischt auch kräftig in der Zürcher Musikszene mit. Hört sich unternehmerisch an, und Ozan erzählt gerne im Gespräch mit Wie Wär’s mal mit.


Ozan, im «Dezentrum», hier im zweiten Stock von «Trust Square», steht ein kleines Satellitenmodell. Was hat es damit auf sich?
Der Satellit stellt eine autonome Entität dar. Der Satellit, als Objekt, gehört einem Stück Code auf der Blockchain. Durch sogenannte Smart Contracts kann der Satellit gewisse Aktionen, beispielsweise eine Auszahlung, selbstständig tätigen.

Erstmal, was ist eine Blockchain? Erklärung für Einsteiger?
Als Beispiel: du hast ein Kontobuch bei einer Bank, ich hab auch eins bei der Bank und wir beide haben je tausend Franken auf dem Kontobuch. Nun will ich dir 100 Franken auf dein Konto überweisen. Was die Bank nun macht ist jetzt nicht aus meinem Fach 100.- nehmen und dann in dein Fach reinzulegen. Die Bank führt eine Rechnung aus, dort steht drin „bei Ozan 100 Franken weniger und bei Shirin 100.- mehr“ und der neue Kontostand der beiden. Ich vereinfache das jetzt natürlich. Die Blockchain ist eine Form von Kontobuch, du hast alle Konten einer Bank darin vorhanden. Doch anstatt das Kontobuch bei einem einzigen Bankhaus zu verwalten, wird es digital auf tausenden Computern gespiegelt. Statt bei einer Bank, gibt es zig Kopien des Kontobuchs auf all diesen Computern. Die Idee dahinter ist, die Möglichkeit der Manipulation – beispielsweise im Falle eines Hacks - unmöglich zu machen, weil der Versuch Geld zu transferieren dann nicht nur über eine Bank und ein Kontobuch geschehen müsste sondern über diese zig Kopien auf zig Computern, was so gut wie unmöglich ist. Gleichzeitig wird die Transaktion von mir zu dir so durch einen Algorithmus verifiziert. Das heisst, wir müssen nicht mehr der Bank vertrauen, dass die Transaktion geschieht, sondern dem Algorithmus, der öffentlich einsehbar ist. Das bedeutet, die Bank als Bindeglied zwischen uns beiden, dem wir beide vertrauen müssen, wird überflüssig. Das ist eines der Wirkungen der Blockchain. Nun gibt es die Möglichkeit, nicht nur Transaktionen über die Blockchain abzuwickeln, sondern auch Software, sogenannte «Smart Contracts». Denen wird die gleiche Unveränderbarkeit und garantierte Auslösung zugesprochen, wie den Transaktionen. Smart Contracts sind im Grund ein relativ simples Stück Code auf der Blockchain, die sich bei einem gegebenen Ereignis oder Status garantiert selbstauslösen – ähnlich wie ein «if this than that». Das ermöglicht ganz neue Anwendungen, bei denen ein vertrauensstiftender Intermediär potentiell wegfallen könnte.


Blockchain-Technologie in Ehren, aber macht das dann nicht den Menschen als Dienstleister*in überflüssig? Müssen wir alle kurz durchatmen, weil der Mensch längerfristig als Arbeitnehmer*in bei dieser Prognose überflüssig wird?
Was ich glaube ist, dass diesbezüglich die Digitalisierung und Automatisierung das Potential hat, Arbeitskräfte auf langen Horizont hin überflüssig zu machen. Maschinen werden immer besser und immer effizienter. Arbeit und Einkommen würden in diesem Fall durch die Automatisierung getrennt. Die Dezentralisierung sehen wir als einen Folgeeffekt der Digitalisierung. Ähnlich wie die Digitalisierung eine vielschichtige Transformation war, könnte sich die Dezentralisierung auf den verschiedenen Schichten unseres Lebens bemerkbar machen. Technologie per se nimmt noch niemandem Jobs weg, Technologie ist ein Tool, es kommt drauf an wie wir als Gesellschaft mit diesem Tool umgehen. Die Idee des «Dezentrum» ist es deshalb, diesen Diskurs anzuregen, durch Zukunftsexperimente, Publikationen, Workshops und Vorträge diesen auch nach aussen zu tragen. Wir arbeiten mit Zukunftsexperimenten, um positive Zukunftsszenarien zu entwickeln. Sicher ist: Das Thema der Digitalisierung und Automatisierung wird unsere und die kommende Generation betreffen und verändern. Wir können uns auch eine Zukunft vorstellen, in der Algorithmen – vereinfacht ausgedrückt – durch einen erhöhten Grad an Autonomie und Handlungsfähigkeit, Persönlichkeitsrechte zugeschrieben bekommen und - analog zu einer juristischen Person – als digitale Person anerkannt werden.


Wie sieht der Alltag im «Trust Square» und im «Dezentrum» aus?
Die Haupttätigkeit von «Trust Square» ist der Aufbau eines Ökosystems in unserem Zürcher Hub. Innerhalb des «Dezentrum», erforschen wir die Dezentralisierung im digitalen Zeitalter und betrachten diese als einen gesellschaftlichen Wandel.

Ein relativer weitläufiger Begriff, dieser gesellschaftliche Wandel?
Dezentralisierung betrachten wir, analog zur Digitalisierung, als einen gesellschaftlichen Wandel. Auch die Digitalisierung wurde in erster Linie von technologischen Innovationen, z.B. die Protokolle, die zum Internet geführt haben, vorangetrieben. Und ähnlich verhält es sich bei der Dezentralisierung durch dezentrale Technologien, die sich darüber hinaus in verschiedenen Schichten des Alltags bemerkbar machen könnte. Dazu gehört vielmehr als das vorher angesprochene Bankwesen. Das Internet ist ja klar nicht nur eine simple Ansammlung von IP-Adressen, sondern hat auch grundlegend verändert, wie wir beispielsweise miteinander kommunizieren. Unsere Hypothese ist: Die Dezentralisierung hat das Potential, einen ähnlichen gesellschaftlichen Wandel wie die Digitalisierung in Gang zu setzen.


Also seht ihr in der Dezentralisierung auch eine Veränderung unserer Weise miteinander zu kommunizieren?
Es wird wohl mehr betreffen, als nur die Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren. Das Ideal des Internets, damals ganz am Anfang, oder die Idee des Internets als Vorstellung, war ein digitaler Treffpunkt, ein Zusammenkommen auf dieser digitalen Plattform – ähnlich einer digitalen Allmende. Fakt ist, dass Plattformen wie Facebook oder Google durch Netzwerkeffekte zu dominanten Vertretern wurden. Es gab nicht mehr diese Idee des gleichwertigen Treffpunktes, sondern es entstanden mächtige Player die Datenvolumen und Daten-Informationen über die Nutzer sammeln. Das führte zu einer digitalen Zentralisierung – einer Art digitaler Feudalismus. Doch die Dezentralisierung birgt das Potential weit mehr als nur die Art wie wir kommunizieren zu verändern. Es kann auch beispielsweise zukünftige Firmenkonstellationen betreffen. Schon vor der Blockchain wurde an neuen Organisationsformen geforscht. In Kombination mit dezentraler Technologien sind neue Potenziale entstanden um die klassische Organisationsweise einer Firma komplett neu zu denken und zu testen.


Ähnlich wie zu Beginn der Digitalisierung war das Gespräch über dieses Medium anfangs der Technik gewidmet, in den 90ern noch immer, gefolgt von den wirtschaftlichen Aspekten bis hin zu dem Moment, wo wir als Gesellschaft die vielschichtigen Veränderungen realisierten und soziokulturelle Fragen aufkamen und man sich verstärkt in der Forschung der Beziehung zwischen Mensch und Maschine widmete. Ein ähnlicher Diskurs verfolgt das «Dezentrum». Wir erweitern den Diskurs über Dezentralisierung um Disziplinen wie Soziologie, Philosophie, Ethik, Organisationsforschung oder auch Kunst um dies aus einer ganzheitlichen Perspektive anzuschauen. Der gesellschaftliche Wandel steht also im Vordergrund.



Kannst du Beispiele nennen?
Mitunter gibt es spannende Beispiele aus der Welt der digitalen Kunst, wo man sich relativ früh diesem Diskurs angenommen hat. Da wären «Mediengruppe Bitnik» oder «Simon Denny». Oder das Projekt «Terra Zero», die einen Wald einem «Smart Contract» auf der «Ethereum-Blockchain» übergeben haben oder den Besitz von realen Objekten – in ihrem Fall von Blumen – durch sogenannte «Tokens» auf der Blockchain repräsentiert hatten. Im letzteren Beispiel konnte man durch die Transaktion des digitalen «Tokens» den Besitzer der Blumen wechseln. Ein vergleichbares Projekt von uns ist der Satellit, den du hier siehst. Der Satellit ist ein «Proof of Concept» für eine unserer Hypothesen: Dass wir in Zukunft umgeben und in konstantem Austausch mit autonomen Entitäten sein werden. Der Satellit gehört einem «Smart Contract» auf der Blockchain. Das Ziel dieses «Smart Contracts» ist es, durch die Welt zu reisen. Da er sich nicht selbst fortbewegen kann, sammelt er selbstständig Geld – in Form von Kryptowährungen – auf der Blockchain, verwaltete diese selbstständig und kann eigenständig Menschen bezahlen, um von A nach B transportiert zu werden. Die Aufgabe des «Dezentrums» ist es, diesen Diskurs anzuregen, einerseits durch Präzedenzfälle, andererseits durch Zukunftsexperimente wie den Satelliten. So stellen sich bei diesem Projekt die Fragen, in welcher Beziehung Menschen zum Satelliten stehen, wenn dieser sie für Arbeit in Form von einem Transport bezahlt? Oder was passiert, wenn der Satellit reich wird: Wer bezahlt dann die Steuern?


Wie vorhin bereits erwähnt, müsste man auch beispielsweise aus einer juristischen Perspektive diesen Fall betrachten und in Erwägung ziehen, dem Satelliten Persönlichkeitsrechte anzurechnen. Es gibt natürliche Personen wie mich und dich, dann gibt es juristische Personen wie eine Firma, die handeln, Geld transferieren, Arbeitnehmer anstellen können, aber immer auf menschliche Organe, z.B. einen Präsidenten, einen Verwaltungsrat, einen Sekretär, angewiesen sind. Wenn wir aber nun autonome technologische Entitäten erhalten, die in ähnlicher Weise wie natürliche oder juristische Personen auftreten können, dann müssen wir beginnen, darüber nachzudenken, dieses Verständnis um «digitale Personen» zu erweitern.

Zum Projekt «Terra Zero»: Hast du die Blumen je abgeholt, die du mit «Ethereum» erworben hast?
Das hätte ich tun können, als ich in Berlin war. Ich bin sogar an der Installation des Blumenarrangements in ihrem «Space» vorbeigekommen, aber tatsächlich mitgenommen habe ich sie dann nicht.


Zeit, um eine Runde durch das Haus zu drehen?
Machen wir so! «Trust Square» ist eine AG und «Dezentrum» ein Verein. «Dezentrum» funktioniert als ein Thinktank. Das «Dezentrum» soll finanziell unabhängig bleiben. Das «Dezentrum» ist auch gleichzeitig die Mitgründer von «Trust Square». Fünf Parteien haben diese AG gegründet und eine eben davon «Dezentrum». Einer unserer Partner, ein Stock weiter unten, widmet sich digitalen Identitätslösungen mittels der Blockchain. Hier im Haus finden sich aktuell auf ca. 3‘500 Quadratmetern unterschiedliche Blockchain-Unternehmen zusammen, die von hier aus in ihren ihre Aufgaben tätigen. Das Spektrum reicht in der Tätigkeit von den erwähnten digitalen Identitäten bis hin zum grössten Produzenten von «Mining-Rigs», die benutzt werden, um Transaktionen auf der Blockchain zu validieren. Eine weitere Unternehmung arbeitet an der sogenannten «Tokenisierung» von Fussballspielern oder eine andere an einer globalen Lösung für die Versicherungsindustrie. Aktuell haben wir ca. 250 «Desks» vermietet und sind – soweit unsere Recherchen zeigen - der grösste Blockchain-Hub der Welt. Hier war vorher eine Bank angesiedelt, nun hausen wir hier. Und unser Slogan war von Anfang an: „Don’t believe the Hype“.


Erzähl uns über deinen Werdegang vor der AG «Trust Square» und dem Verein «Dezentrum».
Ich habe ursprünglich Betriebswirtschaft in St. Gallen studiert, dann folgte ein abgebrochener Master der Kulturpublizistik an der Züricher Hochschule der Künste in Zürich. Dazwischen folgten unterschiedliche Projekte, etwa gründete ich auch «SUGAR SUGAR SUGAR» als Multi-Concept-Brand mit, das unter anderem ästhetisiertes Softeis hergestellt hat.

Was für Sorten Eis habt ihr produziert?
Etwa Basilikum-Balsamico, Kürbiskernöl, Süsskartoffel-Oregano oder auch Brot-Softeis, das ziemlich lecker war.


Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen.
Dann hatten wir auch einen illegalen Club in Altstetten, der «Archiv» hiess, auch unter dem «SUGAR SUGAR SUGAR»-Brand und haben kreative Kooperationen gestartet, etwa mit Künstlern aus Lissabon, Sprayern und Glasbläsern. Dann habe ich auch als freier Filmemacher gearbeitet und bei einer Agentur Konzepte entworfen und den Verlag «Transform» gegründet. Irgendwann war «SUGAR SUGAR SUGAR» beendet. Was während dem Studium der Kulturpublizistik und jetzt auch bei «Dezentrum» und «Trust Square» bestehen blieb, war «Transform» und «Ozelot Ltd.».


Inzwischen haben wir mit Ozan von der Bahnhofstrasse zur Sportbar an der Kanzleistrasse gewechselt und treffen auf die Jungs Manuel Fischer, Nadim Elhady und Yannick Steitz von «Ozelot Ltd.». Kommen wir zu deinem nächsten Standbein?
Ozan:«Ozelot Ltd.» ist ein interdisziplinäres Musiklabel.

Manuel: Wir planen gerade eine erste US-Tour zu dritt. Manuel, Nadim und Yannick. Passend wären New York, Chicago, Los Angeles und San Francisco. New York und San Francisco sind zu 99% fix. Wir sind am Planen und «Ozelot Ltd.» gibt’s halt als Trio, was nicht immer einfach ist, da für Veranstalter und Clubs entsprechend mehr Aufwände entstehen.

Ozan: Macht eine Las Vegas Show, oder zu fünft, dann sind wir fein raus.


Wie habt ihr zu «Ozelot Ltd.» zusammengefunden?
Ozan: Ich habe Manuel vor x Jahren in Berlin kennengelernt. Wir haben uns zuerst lange nicht getroffen, obwohl wir 500 Meter voneinander entfernt gewohnt haben. Irgendwann hat es zu einem Brunch geklappt, danach fanden wir uns in Zürich wieder, the rest is history. Die Jungs gründeten irgendwann «Ozelot» und ich bin später dazugestossen. Eigentlich drei Musiker, aber uns gibt’s auch zu fünft. Ich mache den Labelteil und Dobmaier macht die Finanzen.

Wieso «Ozelot»?
Nadim: Ein Ozelot ist ein kleines Raubtier, das selten vorkommt, ruhig und nachtaktiv.

Soundmässig, wo seid ihr zu Hause?
Manuel: Alles was Spass macht: House, Techno, Acid.


Produziert ihr auch neben dem Auflegen?
Ozan: Die nächste, vierte EP folgt in Kürze. Manuel produziert im Augenblick ein Album und drei weitere Ozelot-EPs folgen in diesem Jahr. Da kennen wir einfach nichts! Vertrieben werden wir durch «Lobster Theremin» in London, Grafik folgt alles in-house durch Nadim und Manuel, der auch ein Designstudio führt.

Manuel: Wir spielen relativ oft im Zürcher Club «Zukunft» – für die Zukunft gestalten Nadim und ich auch die Kommunikation.

Ozan: Neuer Ozelot-Merch folgt auch bald.

Socken und Schals?
Ozan: Thaiboxershorts mit dem Ozelotlogo!

Ozan, zu guter Letzt, was ist dein favourite tune?



Wie wär’s mal mit..?
...mehr «Was wäre, wenn»-Fragen?


Ozelot Jungs, Ozan, danke vielmals für das Gespräch.



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von Shirin Zaid
am 03.06.2019

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© Shirin Zaid für Wie wär's mal mit

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