Collective Swallow: Im Gespräch mit Anaïs und Ugo

Irgendwo zwischen Marinsel und Plattfon Records an der Kleinbasler Feldbergstrasse tummeln sich in der Galerie Idea Fixa Menschen. Sie süchteln nach Instagram Stories, nach dem besten Selfie, nach der Modeinstallation TastyDilemma. Für einige Tage wird aus der Galerie ein Showroom, in welchem Collective Swallow zwischen zeitgenössischer Kunst und ihrer Mode haust. Ihr wollt wissen wer oder was hinter dem Namen steckt und was TastyDilemma ist? Wir sprachen mit den beiden Designern Anaïs Marti und Ugo Pecoraio über ihre neue Kollektion.


Liebe Anaïs, lieber Ugo ihr habt die Galerie Idea Fixa zu eurem Showroom gemacht, weshalb?
Anaïs: Die Kollektion in einer Galerie zu zeigen, stand für uns beide bereits früh fest. Natürlich wussten wir noch nicht wo, das kam später. Uns war klar, dass wir keine Runway Show machen wollten. Wir wollen die Kleider in einer Installation mit lebendigen Models zeigen. Die Besucher sollen eine Szenerie betreten und als Beobachter den Models bei ihrem Tun zuschauen. Es geht darum, dass die Leute reinkommen, unsere Welt entdecken, zuschauen. 
Collective Swallow entstand weniger mit dem Gedanken ein Label aufzubauen und dann Kleider zu verkaufen – es war vielmehr ein Experiment, uns gegenseitig kreativ herauszufordern. Irgendwo zwischen Kunst und Mode und dann auch in Form einer Installation und mit Performance zu arbeiten.
Ugo: Und ja, dass wir auch die Freiheit haben Kleider zu machen, die am Schluss niemand anziehen will, aber die man vom Volumen her spannend findet oder ein Stück, das etwas auslöst und welches man cool findet und gerne ansieht. Und auch Stücke in die Kollektion zu integrieren, die thematisch passen und tragbar sind.



Inwiefern spielt die Zusammenarbeit bei der Kreation der Stücke eine Rolle?
Anaïs: Auf jeden Fall ist die Kooperation ein wichtiger Teil des Experiments. Nur schon, weil wir frisch zusammenarbeiten. 
Wir haben beide an der HGK FHNW Modedesign studiert und bemerkten nach dem Studium, dass uns ähnliche Dinge interessieren und wir in Bezug auf Mode eine ähnliche Haltung vertreten. Natürlich ist es immer so, dass zwei Handschriften aufeinander treffen, auch zwei Arbeitsweisen, und genau da ist es spannend zu sehen, was dabei herauskommt, was die gemeinsame Zusammenarbeit hervorbringt. Es geht darum sich gegenseitig herauszufordern und so auf neue Lösungen zu kommen.
Ugo: Es gibt keine Rollenaufteilung, wir decken beide alle Teile des Prozesses ab. Alle Entscheidungen treffen wir gemeinsam. Keines der Teile aus der Kollektion würde so aussehen wie jetzt, hätte nur einer von uns daran gearbeitet.


Ihr habt für eine Weile Basel verlassen und seid nach Berlin gezogen.
Anaïs: Wir sind ins Ausland gegangen, um in einer neuen Umgebung denken und entwerfen zu können. Natürlich hat es auch finanzielle Vorteile in Berlin zu arbeiten. Berlin ist eine grosse, lebendige Stadt und bringt andere Einflüsse als wir sie hier in der Schweiz gehabt hätten.


Hat Basel als Stadt in Sachen Mode überhaupt Potential?
Ugo: Basel ist trotz der eher bescheidenen Grösse eine durchaus modische Stadt. Natürlich kaum zu vergleichen mit den grossen Modemetropolen – da ist in Basel das allgemeine Interesse an Mode zu wenig ausgeprägt. Dank der jungen, florierenden Kunst- und Kulturszene sieht man dennoch immer wieder modeaffine Menschen in der Stadt. Und dem Institut Mode Design sei Dank, hat es auch sehr viele talentierte Designer in Basel. Ich würde mir wünschen, dass zeitgenössische Mode genau gleich gefördert wird, wie zeitgenössische Kunst – und das nicht nur in Basel, sondern in der ganzen Schweiz.

Woher kommt die Inspiration für die Kollektion TastyDilemma?
Anaïs: Wir zeigen 13 Looks aus 24 Teilen. Es geht um die gustatorische, also geschmackliche Wahrnehmung – den Geschmackssinn sowie die fünf Sinne salzig, süss, sauer, bitter und umami. Die geschmackliche Erfahrung haben wir in Volumen, Farben und Details übersetzt und so die Kollektion entwickelt.


Was ist Umami?
Ugo: Umami ist aus dem Japanischen abgeleitet und bedeutet schmackhaft, würzig – Fleisch ist Umami, aber auch Parmesan, reife Tomaten oder Sojasauce.

Ihr habt Phonecases entworfen und für den Launch lasst ihr die Models mit Selfie-Sticks, Smartphones und weiteren Gadgets interagieren – was hat es damit auf sich?
Ugo: Die Phonecases sind ein Seitenprojekt, welches aber in die Kollektion TastyDilemma hineinspielt. Es geht auch da um Geschmack und wie unser Labelname Collective Swallow dies erahnen lässt, ums Schlucken. Wir fanden die Ästhetik von Stockphotos spannend, diese überpolierten Images, die das Verb schlucken in einem Bild zu erklären versuchen – damit haben wir gearbeitet.
Anaïs: In der Präsentation dienen die Smartphones dazu, die Models von den Besuchern abzuschirmen. Sie ziehen eine unsichtbare Grenze, der Raum ist eng und Besucher und Models deshalb nahe beieinander. Es geht uns darum, den Besucher zum Beobachter zu machen, welcher die Kollektion auf seinem Rundgang durch die Galerie selbst entdeckt. Die Models sind in Gruppen arrangiert und machen ihr Ding, sind in ihrer eigenen Welt, sie sind mit ihren Smartphones beschäftigt, was dem Betrachter erlaubt sie ungestört zu beobachten. Natürlich sind es Smartphones aus dem Jahre 2017, mit denen sich die Models beschäftigen und es wären vor 15 Jahren noch Bravo Hefte, Discman und Einwegkameras gewesen.




Ihr widerspiegelt mit eurer Inszenierung den Zeitgeist der heutigen Jugend – wird diese Ästhetik in der nächsten Kollektion wieder aufgegriffen?
Anaïs: Als Designer lassen wir uns von der Umgebung und unserer Herkunft inspirieren. Diese Einflüsse verarbeiten wir in unseren Kollektionen. Dadurch ergibt sich eine gewisse Aktualität, welche wir auf jeden Fall auch weiterhin verfolgen und in unsere Kollektionen einbauen werden.
Ugo: Wir sind dabei die Handschrift unseres Labels zu entwickeln. Das ist ein nicht abgeschlossener Prozess. Die erste Kollektion ist ein Teil davon, doch die Reise geht weiter.


Wer trägt eure Kollektion?
Anaïs: Wir machen Kleider die Gender unabhängig sind. Alle, die Lust auf TastyDilemma haben, sollen sie tragen.


Sind in der Kollektion weitere Accessoires zu den Looks vorgesehen?
Ugo: Die Idee hinter Collective Swallow ist es, immer wieder mit anderen Designern Kooperationen zu machen und dadurch immer weitere Artikel hinzukommen zu lassen. Im Moment gibt es noch nicht viele Accessoires. Sonnenbrillen sind in der Entstehung. Ich denke auch an Taschen, aber für die erste Kollektion haben wir uns auf Kleidung fokussiert.

Für TastyDilemma habt ihr mit einer Textildesignerin zusammengearbeitet.
Anaïs: In Zusammenarbeit mit der Schweizer Textildesignerin Nitya Park unter dem Label UNJU sind die Rose Petal Confit Prints auf den Stoffen entstanden. Diese sind Transferdrucke auf Bade Stoff gedruckt.
Ugo: Die Schnallen an den Kleidungsstücken haben wir zusammen mit Stefan Staub, einem Schweizer Industriedesigner entwickelt. Es gibt verschiedene Varianten davon. Alle sind 3D Drucke und abstrahierte Formen von Geschmacksknospen. Beim Mantel zum Beispiel werden sie als Stopper für die Bänder eingesetzt, mit denen man die Ärmel des Mantels raffen kann.



Latex, Spandex, diverse Stoffe – was gibt es zu den Materialien zu sagen?
Ugo: Wir sind beide fasziniert von Latex als Material, seinem speziellen Fall und Glanz und haben darum versucht, damit Kleidung herzustellen, die wegkommt von dem verruchten Fetish Image. Wir haben beide schon vor dieser Kollektion mit Latex gearbeitet und wollten unser Wissen nun vertiefen. Ja, unsere Latex Teile sind aufwändig mit den Raffungen und jeweils nur mit mindestens vier Händen herstellbar.
Anaïs: Die Hose trägt den Namen Tom Yam Gung – benannt nach der Thailändischen Suppe. Jedes Stück trägt den Namen eines Gerichts, entsprechend des bereits angesprochenen Geschmackssinns.




Was kann man sich unter der Tom Yam Gung Suppe vorstellen?
Anaïs: Eine klare scharf-saure Suppe aus der thailändischen Küche mit Gemüse, Pilzen, Schalotten, Zitronengras, Koriander und Tamarinde. Auf dem Hangtag der Stücke sind jeweils der Name des Gerichtes und die Ingredienzen abgedruckt – weniger als Rezept, eher, um sich den Geschmack besser vorstellen zu können. Die verwendeten Materialien, Farben, Volumen und Details der Kleidungsstücke sind unsere visuelle Übersetzung der Geschmackserfahrung des jeweiligen Gerichtes.

Eure persönlichen Lieblingsstücke?
Ugo: Ceviche. (Latex Dress)



Was ist Ceviche?
Ugo: Ein peruanisches Fischgericht, nicht gekocht, roher Fisch in Limettensaft mariniert. Aber eigentlich auch die schwarzen Brodo Pants, in die hab ich enorm viel investiert, um sie herzustellen – darum auch eines von meinen Lieblingspieces.
Anaïs: Den Mantel Berner Platte mag ich sehr, aber auch das Nadelstreifen Hemd mit den Ärmeln in Überlänge (Caramel Salidou).


Wenn wir schon beim Geschmack sind - welche Musik ist während der Realisierung von TastyDilemma gelaufen?
Anaïs: Para One – Liege

Ugo: Der Dritte Raum - Hale Bopp


Wo kann man die Kollektion kaufen und wie geht es weiter für Collective Swallow?
Ugo: Bald online auf Bestellung unter www.collectiveswallow.it und im OPEN Store Basel.
Anaïs: Weiter geht's mit der Suche nach neuen Leuten für die nächsten Kollaborationen, Produktion von bestellten Stücken und gleichzeitig die nächste Kollektion entwerfen.


Wie wär’s mal mit...
Ugo: …Bernerplatte.
Anaïs: …Bernerplatte...schlemmen.




Wir danken Anaïs und Ugo für das spannende Gespräch über Latex, rohen Fisch und Umami und hoffen, dass es sie mittlerweile seltener nach Berlin zieht – denn auch Basel braucht aktive junge Modedesigner.


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Interview und Fotos von Shirin Zaid
am 13.02.2017

Einleitungs- und Schlusstext
von Ana Brankovic


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