Özgür Muzik Kitap: Im Gespräch mit Memduh Özdemir
Özgür Muzik Kitap hat eines von vielen unauffälligen Schaufenster an der Feldbergstrasse: Bücher, eine Plastikpflanze und einer dieser grossen, blauen Aufkleberahmen der einem sagt, dass es hier auch SIM-Karten gibt. Wer den Laden betritt, dem fallen als erstes die übervollen Regale auf. Vom Boden bis unter die Decke voll mit Tonbandkassetten, die wenn du sie einem Teenager zeigst wohl nur fragende Blicke auslösen. Ganze 15'000 Stück - CDs hat es ebensoviele. An der Wand eines kleinen Ganges hängen bauchige Saiteninstrumente – aus dem Hinterzimmer dringen die Stimmen einer angeregten Diskussion nach vorne, gemischt mit Teegeruch. Den Laden betreibt Besitzer Özdemir nun schon seit rund 22 Jahren.
Lieber Memduh, wer steckt hinter Özgür Muzik Kitap und seit wann existiert dieses?
Mein Name ist Memduh Özdemir, ich bin 1986 mit 17 Jahren in die Schweiz gekommen, dass ist schon rund 31 Jahre her. Ich war dazumal 17 Jahre alt und musste meine Heimat aus politischen Gründen verlassen. Die Situation war so verschärft, dass wenn du damals an der in der Schule das falsche Buch gelesen hast, warst du schon ein Terrorist. Heute ist es auch fast wieder so. Item, anfänglich arbeitete ich in einer Metzgerei, danach auf dem Bau und habe nebenbei mir zusätzliches Geld, mit Kassetten- (später CDs) und Bücherimport verdient. Die Nachfrage stieg an, es kamen schweizweite Bestellungen von türkischen Geschäften herein. 1995 fasste ich den Mut und eröffnete an der Feldbergstrasse mein Geschäft «Özgür Musik Kitap» (kitap trk., Buch). Während andere sich dem Dönerbusiness gewidmet haben, empfand ich es nötig der Stigmatisierung entgegenzuwirken; einerseits um aufzuzeigen, dass es mehr als Döner gibt in Verbindung mit aus der Türkei stammenden Bevölkerung und andererseits, dass nicht alle aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus politischer Verfolgung geflüchtet sind. Diese gaben nicht nur ihre Heimat auf, sondern die Chance eines akademischen Werdegangs.
Was bedeuten dir Bücher?
Bücher sind meine grosse Leidenschaft! Alleine schon der Geruch und dann diese Unendlichkeit von Möglichkeiten, Denkansätze, Anstösse, die dir schon eine einzige Zeile mitgeben kann. Kurz gesagt, Bücher bedeutet für mich Derya und Derya steht im Türkischen für das unendliche Meer. Wenn ich in meinem Laden bin, dann ist es so als würde ich mich im unendlichen Meer des Wissens befinden.
Was alles habt ihr im Sortiment?
Wie der Name bereits verrät, findet man bei mir Bücher, Musikträger und Instrumente wie Baglama, Saz und Ud. Das sind lautenartige Saiteninstrumente, die überall im Geschäft hängen. Die Kurse kann man auch gleich bei mir im Geschäft Mittwochs und Freitags besuchen. An Samstagen probt die Theatergruppe Biz Bize im Keller, während Gäste in den Büchern rumschneuken, andere Cay oder Kaffee trinken, dazu Zeitung lesen, Backgammon spielen oder über die neusten politischen Wirren in der Türkei diskutieren. Es ist ein spannender und diverser Sozialraum, der sowohl Begegnung als auch Rückzug ermöglicht.
Was ist dein Lieblingsbuch im Sortiment und weshalb?
Ich habe kein bestimmtes Lieblingsbuch, denn jedes Buch ist ein Schatz für sich. Wenn ich aber ein paar nennen müsste, so würde in meinem Katalog von Zülfü Livaneli «Serenade für Nadja», von Amin Maalouf «Die Verunsicherten» und eines von Ahmet Ümit aufgelistet sein.
Was ist dein türkisches Lieblingslied?
Auch da gibt es nicht nur das eine Lieblingslied. Lieder sind stimmungsabhängig und dann gibt es da auch so viel verschiedene Genres, die ich sehr mag. Im Genre der türkischen Volksmusik mag ich Erdal Erzincan und wenn es in Richtung Pop geht so mag ich auch Tarkan. Natürlich darf man Sezen Aksu nicht vergessen, von ihr hör ich am liebsten «Git».
Wie würdest du deine Kunden beschreiben?
Ich habe sehr viele weibliche Kunden über 30. Türkischsprachige Männer, vor allem Erstgeneratiönler meinen sowieso, sie wüssten alles besser! Die zweite Generation liest eher deutschsprachige Bücher, weil sie in der Heimatsprache sattelfester sind. Ich habe vor allem auch Besuch von alten Freunden, die zum Tavla (Backgammon) spielen vorbei kommen oder um sich auszutauschen. Nebst Bücherwürmern kommen auch Kunden die einen sozialen Kontakt und den Austausch suchen.
Wenn du deinen Laden mit einer Mahlzeit beschreiben müsstest, welche wäre das?
Ganz klar nach meiner Leibspeise «Hingel». Das sind mit einer Kartoffelmasse gefüllte Teigtaschen, welche mit einer Jogurtsauce serviert werden. Hingel ist die türkische Antwort auf Tortellini.
Wo in Basel gehst du am liebsten einkaufen und was?
Ich bin gerne in der Bucherhandlung Ganzoni und früher im Musik Hug.
Wo ist dein Lieblingsort in Basel?
Wenn ich unter Leuten sein will, bin ich gerne am belebten Barfüsserplatz, da gibt es immer wieder unterhaltsame Szenarien zu beobachten und wenn ich den Bedarf nach Kultur habe, so bin ich in der Altstadt anzutreffen. Mein absoluter Geheimtipp ist ausserhalb von Basel, vor allem an warmen Tagen – wenn das Rheinufer aus allen nähten platzt – dann halte ich mich gerne am Hüningenkanal in St.Louis auf. Da kann man Radfahren, joggen oder einfach flanieren und verweilen.
Was ist das Besondere daran einen solchen Laden an der Feldbergstrasse zu haben?
Vor 21 Jahren wollte ich einfach dem Zielpublikum nahe sein. Die Feldbergstrasse war vor allem von Zuwanderern bewohnt, unter anderem waren im Quartier viele türkische Migranten zu Hause; es gab wenig Einheimische. In den letzten Jahren wurde die Strasse sehr aufgewertet. Junge Menschen haben sich kreativ eingebracht und für eine spannende Durchmischung gesorgt. Da wo jetzt die Galerie Idea Fixa ist, da waren schon ein Reisebüro, ein Zeitungsverlag und mehrere Friseure eingemietet, von meinem Plätzchen aus, durfte ich den ganzen Wandel erleben – allein das ist besonders.
Wie wärs mal mit...
… mehr lesen, mehr Musik hören – denn während diesen zwei Aktivitäten, tragen wenigstens die Welt und die Mitmenschen keine grösseren Schäden.
Wir bedanken uns herzlichst bei Memduh für das freundliche Gespräch und falls jemand mal Tavla (Backgammon) spielen lernen möchte oder eine Tasse Cay (türkischer Tee) geniessen will, dem können wir einen Besuch im Özgür Muzik Kitap nur wärmstens empfehlen.
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von Derya Cukadar
am 15.5.2017
Fotos und Einleitungstext
von Florian Bärtschiger für Wie wär's mal mit
Özgür Muzik Kitap hat eines von vielen unauffälligen Schaufenster an der Feldbergstrasse: Bücher, eine Plastikpflanze und einer dieser grossen, blauen Aufkleberahmen der einem sagt, dass es hier auch SIM-Karten gibt. Wer den Laden betritt, dem fallen als erstes die übervollen Regale auf. Vom Boden bis unter die Decke voll mit Tonbandkassetten, die wenn du sie einem Teenager zeigst wohl nur fragende Blicke auslösen. Ganze 15'000 Stück - CDs hat es ebensoviele. An der Wand eines kleinen Ganges hängen bauchige Saiteninstrumente – aus dem Hinterzimmer dringen die Stimmen einer angeregten Diskussion nach vorne, gemischt mit Teegeruch. Den Laden betreibt Besitzer Özdemir nun schon seit rund 22 Jahren.
Lieber Memduh, wer steckt hinter Özgür Muzik Kitap und seit wann existiert dieses?
Mein Name ist Memduh Özdemir, ich bin 1986 mit 17 Jahren in die Schweiz gekommen, dass ist schon rund 31 Jahre her. Ich war dazumal 17 Jahre alt und musste meine Heimat aus politischen Gründen verlassen. Die Situation war so verschärft, dass wenn du damals an der in der Schule das falsche Buch gelesen hast, warst du schon ein Terrorist. Heute ist es auch fast wieder so. Item, anfänglich arbeitete ich in einer Metzgerei, danach auf dem Bau und habe nebenbei mir zusätzliches Geld, mit Kassetten- (später CDs) und Bücherimport verdient. Die Nachfrage stieg an, es kamen schweizweite Bestellungen von türkischen Geschäften herein. 1995 fasste ich den Mut und eröffnete an der Feldbergstrasse mein Geschäft «Özgür Musik Kitap» (kitap trk., Buch). Während andere sich dem Dönerbusiness gewidmet haben, empfand ich es nötig der Stigmatisierung entgegenzuwirken; einerseits um aufzuzeigen, dass es mehr als Döner gibt in Verbindung mit aus der Türkei stammenden Bevölkerung und andererseits, dass nicht alle aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus politischer Verfolgung geflüchtet sind. Diese gaben nicht nur ihre Heimat auf, sondern die Chance eines akademischen Werdegangs.
Was bedeuten dir Bücher?
Bücher sind meine grosse Leidenschaft! Alleine schon der Geruch und dann diese Unendlichkeit von Möglichkeiten, Denkansätze, Anstösse, die dir schon eine einzige Zeile mitgeben kann. Kurz gesagt, Bücher bedeutet für mich Derya und Derya steht im Türkischen für das unendliche Meer. Wenn ich in meinem Laden bin, dann ist es so als würde ich mich im unendlichen Meer des Wissens befinden.
Was alles habt ihr im Sortiment?
Wie der Name bereits verrät, findet man bei mir Bücher, Musikträger und Instrumente wie Baglama, Saz und Ud. Das sind lautenartige Saiteninstrumente, die überall im Geschäft hängen. Die Kurse kann man auch gleich bei mir im Geschäft Mittwochs und Freitags besuchen. An Samstagen probt die Theatergruppe Biz Bize im Keller, während Gäste in den Büchern rumschneuken, andere Cay oder Kaffee trinken, dazu Zeitung lesen, Backgammon spielen oder über die neusten politischen Wirren in der Türkei diskutieren. Es ist ein spannender und diverser Sozialraum, der sowohl Begegnung als auch Rückzug ermöglicht.
Was ist dein Lieblingsbuch im Sortiment und weshalb?
Ich habe kein bestimmtes Lieblingsbuch, denn jedes Buch ist ein Schatz für sich. Wenn ich aber ein paar nennen müsste, so würde in meinem Katalog von Zülfü Livaneli «Serenade für Nadja», von Amin Maalouf «Die Verunsicherten» und eines von Ahmet Ümit aufgelistet sein.
Was ist dein türkisches Lieblingslied?
Auch da gibt es nicht nur das eine Lieblingslied. Lieder sind stimmungsabhängig und dann gibt es da auch so viel verschiedene Genres, die ich sehr mag. Im Genre der türkischen Volksmusik mag ich Erdal Erzincan und wenn es in Richtung Pop geht so mag ich auch Tarkan. Natürlich darf man Sezen Aksu nicht vergessen, von ihr hör ich am liebsten «Git».
Wie würdest du deine Kunden beschreiben?
Ich habe sehr viele weibliche Kunden über 30. Türkischsprachige Männer, vor allem Erstgeneratiönler meinen sowieso, sie wüssten alles besser! Die zweite Generation liest eher deutschsprachige Bücher, weil sie in der Heimatsprache sattelfester sind. Ich habe vor allem auch Besuch von alten Freunden, die zum Tavla (Backgammon) spielen vorbei kommen oder um sich auszutauschen. Nebst Bücherwürmern kommen auch Kunden die einen sozialen Kontakt und den Austausch suchen.
Wenn du deinen Laden mit einer Mahlzeit beschreiben müsstest, welche wäre das?
Ganz klar nach meiner Leibspeise «Hingel». Das sind mit einer Kartoffelmasse gefüllte Teigtaschen, welche mit einer Jogurtsauce serviert werden. Hingel ist die türkische Antwort auf Tortellini.
Wo in Basel gehst du am liebsten einkaufen und was?
Ich bin gerne in der Bucherhandlung Ganzoni und früher im Musik Hug.
Wo ist dein Lieblingsort in Basel?
Wenn ich unter Leuten sein will, bin ich gerne am belebten Barfüsserplatz, da gibt es immer wieder unterhaltsame Szenarien zu beobachten und wenn ich den Bedarf nach Kultur habe, so bin ich in der Altstadt anzutreffen. Mein absoluter Geheimtipp ist ausserhalb von Basel, vor allem an warmen Tagen – wenn das Rheinufer aus allen nähten platzt – dann halte ich mich gerne am Hüningenkanal in St.Louis auf. Da kann man Radfahren, joggen oder einfach flanieren und verweilen.
Was ist das Besondere daran einen solchen Laden an der Feldbergstrasse zu haben?
Vor 21 Jahren wollte ich einfach dem Zielpublikum nahe sein. Die Feldbergstrasse war vor allem von Zuwanderern bewohnt, unter anderem waren im Quartier viele türkische Migranten zu Hause; es gab wenig Einheimische. In den letzten Jahren wurde die Strasse sehr aufgewertet. Junge Menschen haben sich kreativ eingebracht und für eine spannende Durchmischung gesorgt. Da wo jetzt die Galerie Idea Fixa ist, da waren schon ein Reisebüro, ein Zeitungsverlag und mehrere Friseure eingemietet, von meinem Plätzchen aus, durfte ich den ganzen Wandel erleben – allein das ist besonders.
Wie wärs mal mit...
… mehr lesen, mehr Musik hören – denn während diesen zwei Aktivitäten, tragen wenigstens die Welt und die Mitmenschen keine grösseren Schäden.
Wir bedanken uns herzlichst bei Memduh für das freundliche Gespräch und falls jemand mal Tavla (Backgammon) spielen lernen möchte oder eine Tasse Cay (türkischer Tee) geniessen will, dem können wir einen Besuch im Özgür Muzik Kitap nur wärmstens empfehlen.
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von Derya Cukadar
am 15.5.2017
Fotos und Einleitungstext
von Florian Bärtschiger für Wie wär's mal mit